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Fabian Fritzsche – Schluß mit dem Moralisieren

21. Juni 2012

Volkswirtschaftslehre und Moralphilosophie scheinen sehr eng miteinander verwoben zu sein. Adam Smith, der oft als Begründer der Ökonomik gilt, war von Haus aus Moralphilosoph ebenso wie viele andere klassische Ökonomen. Im Deutschen kommt die Nähe z.B. auch in der etymologischen Verwandtschaft von „Schulden“ und „Schuld“ zum Ausdruck. Obwohl die heutigen Volkswirte ihr Fach eher im Bereich der exakten Naturwissenschaften ansiedeln, hält diese Verbindung bis heute und offenbar nicht nur in der akademischen Lehre, sondern auch in der breiten Bevölkerung. Seit Beginn der Krise wird diese Verbindung wieder sehr deutlich: Der Begriff Schuldensünder führt bei einer Google-Suche zu 146.000Treffern. Ganze Volkswirtschaften werden also zu Sündern deklariert, die nun bestraft werden müssen bzw. denen aktuell die gerechte Strafe in Form von Rezession und Massenarbeitslosigkeit zuteilwird.

Diese Vorstellung ist jedoch aus vielerlei Gründen abzulehnen. Der Begriff Schuld setzt mindestens ein aktives  Handeln voraus, welches dann negative Konsequenzen für andere hatte und eigentlich müssen diese negativen Konsequenzen für andere zumindest fahrlässig in Kauf genommen werden. Doch die spanischen Jungendlichen, die nun zu 50% arbeitslos sind, haben weder Hypotheken aufgenommen noch zu hohe Löhne verlangt und erhalten. Die sind also nicht „schuld“, indem sie zumindest irgendwie an der Entstehung der Krise beteiligt waren. Aber auch spanische Häuslebauer haben sicherlich nicht boshaft zu viele Schulden gemacht, um damit jemandem zu schaden, sondern sind natürlich von der Tragfähigkeit der Hypothekenlast ausgegangen. Das gleiche kann auch von den spanischen Banken gesagt werden, die nun sicherlich lieber nicht auf einem Berg fauler Kredite sitzen würden.  Bei den Häuslebauern sowie den Banken könnte man die Schuld möglicherweise in Gier (nach Wohneigentum und Zinsen) und schlicht Blauäugigkeit sehen und somit eine gewisse Fahrlässigkeit hinsichtlich der Konsequenzen für andere unterstellen. Dem Hypothekenschuldner wäre demnach durchaus bewusst gewesen, dass er den Kredit möglicherweise nicht bedienen kann und dem Banker, dass der Kredit möglicherweise ausfällt, aber dieses Risiko wurde akzeptiert.  Doch selbst wenn man so eine moralische Schuld konstruieren möchte, ist eine Bestrafung für ein solches lediglich moralisches Vergehen nicht sinnvoll.

Ein offensichtlicher Grund ist, dass die Strafe nicht unbedingt die vermeintlichen Sünder trifft, sondern die Bevölkerung relativ ungleichmäßig und unabhängig vom vorherigen Verhalten trifft. Ein Banker, der zu leichtfertig Kredite vergeben hat, ist möglicherweise nicht betroffen, während eine Familie erst die Arbeit und dann das Haus verliert, obwohl der Kredit eigentlich nicht übermäßig hoch war. Wer also Rezessionen und ihre Folgen als Strafe für vorangegangenen Schuld(en) sieht, nimmt ganze Volkswirtschaften in Sippenhaft. Doch selbst die Bestrafung einzelner Personen oder Gruppen, bei denen eine Schuld vermutet wird, ist nicht zielführend. Ziel der Marktwirtschaft sowie der Wirtschaftspolitik ist die Wohlstandssteigerung und einen Arbeitslosen bewusst in der Arbeitslosigkeit zu belassen, schadet nicht nur dem direkt Betroffenen, sondern reduziert den Wohlstand der gesamten Volkswirtschaft. Nun fordert natürlich niemand so direkt, die Arbeitslosigkeit hoch zu belassen, aber letztlich ist es genau das, wenn von „Strafe nach dem Exzess“ oder vom „Entzug für Schuldenjunkies“ gesprochen wird.

Liegen Fehlanreize vor, die etwa zu einer leichtfertigen Kreditvergabe führen, müssen diese Fehlanreize beseitigt werden, aber nicht diejenigen bestraft werden, die sich gemäß der Anreize verhalten haben. Der Einzelne trägt keine Schuld an verlorener Wettbewerbsfähigkeit, weil er eine Lohnerhöhung akzeptiert hat und wer niedrige Zinsen nutzt, um ein Haus zu bauen, ist nicht an einer Immobilienblase schuld. Jeder verhält sich innerhalb der vorgegebenen Rahmenbedingungen nutzenmaximierend, darauf beruht die Funktionsfähigkeit der Marktwirtschaft. Man wird weder die aktuelle Krise bekämpfen noch künftige Krisen verhindern können, indem man eine moralischere Marktwirtschaft fordert und damit den überlegenen Steuerungsmechanismus einschränkt. Wenn es gesamtwirtschaftlich nützlich ist, die Banken zu stützen, überschuldete Häuslebauer oder Staaten zu entlasten, dann sollte dies getan werden, auch wenn manch einer dies als „unfair“ empfindet.

  1. H.Ewerth
    23. Juni 2012 um 08:30

    @Nemo
    Sie haben den Schuss nicht gehört! Lesen Sie einmal den Beitrag Ihres Vorgängers noch einmal genau durch, um zu erkennen, dass man einen Staatshaushalt nicht mit einer „Schwäbischen Hausfrau“ vergleichen darf oder kann, schon gar nicht mit einer Gartenlaube. Schauen Sie sich einmal an, was in Argentinien passiert war und davon könnte man noch viele nennen. Die Finanzmärkte wurden nicht gewählt, sondern Regierungen, welche die Interessen der Bürger vertreten sollten, tun sie das effektiv? Mitnichten, nur für das obere 1 Prozent, Milliarden Menschen auf der Welt die Hungern und täglich sterben einhunderttausend Menschen an Hunger und deren Folgen. Wenn damit nicht Milliardenfach belegt ist, dass die Welt so wie es sich die“ Neu Liberalen“ vorstellen gescheitert ist. Die Lehre sollte sein, aus den Fehlern der Vergangenheit die richtigen Schlüsse zu ziehen, statt dessen wird daran festgehalten, im Zweifel müssen sich Milliarden Menschen eben irren, denn ich das eine Prozent hat ja immer Recht, welch ein Wahnsinn.

  2. John Doe
    22. Juni 2012 um 14:00

    Hallo Herr Fritsche,
    der Doyen der Österreichischen Wirtschaftswissenschaften, Kurt W. Rothschild zum Thema:

    Bekanntermaßen ist diese Entwicklung darauf zurückzuführen, dass man die Physik oder die Naturwissenschaften als Vorbild genommen hat, in dem Glauben, man könne in der Ökonomie etwas Ähnliches erreichen. Die dominierende Bedeutung des neoklassischen Theoriegebäudes und die damit einhergehende Verdrängung der anderen Paradigmen ist die Schwäche der Ökonomie. Eine vergleichbare Entwicklung findet man kaum in einer anderen Sozialwissenschaft.

    Die neoliberale Theorie basiert wirklich auf der Pars-pro-toto-Denkweise bzw. auf der atomistischen Vorstellung von der Realität, die man der klassischen Physik abgeguckt hat. Die neoliberale Theorie hat aber überhaupt nicht mit bekommen, dass die Physik dieses Modell schon längst ins Museum verbannt hat. Es waren Dampflockingenieure die durch ihr Gleichgewichtsmodell eine partikel-mechanische Auffassung der Marktwirtschaft theoretisch realisierten, und dass sie unheimlich stolz darauf waren, die damalige (klassische) Mechanik nachahmen zu können. Sie inszeniert sich so als ob es eine „neutrale“ Mathematik gäbe, die sich notwendigerweise auf die „objektive“ Welt bezieht. Die Mathematik wird sie immer als Nachahmer der mechanischen bzw. atomistischen Sichtweise der Welt entlarven!

    Haben Sie sich jemals damit beschäftigt, was sie kann? Die Aufgabe für Sie, der Washington Consensus, der aber nur einen Teil der neoliberalen Positionen umfasst. Die Neoliberalen Positionen gehen noch weit darüber hinaus (Nitsan Chorev: On the Origins of Neoliberalism: Political Shifts and Analytical Challenges. In: K.T. Leicht, J.C. Jenkins (Hrsg): Handbook of Politics: State and Society in Global Perspective, Berlin, Springer, 2010, S. 127-144.):

    Der politische Konsens von Washington hatte die erklärte Absicht, einfache Wege zur Erreichung von mehr makroökonomischer Stabilität aufzuzeigen, den extremen Protektionismus der lateinamerikanischen Staaten abzubauen und das Potenzial des wachsenden globalen Handels sowie das Auslandskapital besser zu nutzen. Darüber hinaus wurde 1990 in Washington die Erwartung geäußert, die Globalisierung und die Reformen würden nicht nur die Erreichung eines hohen wirtschaftlichen Wachstums, sondern auch eine signifikante Reduzierung der Armut und eine Nivellierung der Einkommensverteilung zur Folge haben. Die Werkzeuge:

    * Nachfragedrosselung und Kürzung der Staatsausgaben durch Fiskal-, Kredit- und Geldpolitiken
    * großflächig durchgeführte Senkungen, besonders im Finanz-, u. Industreibereich, der Vermögenssteuern und verwandter Steuern
    * Wechselkurskorrektur (Abwertung) und Verbesserung der Effizienz der Ressourcennutzung in der gesamten Wirtschaft (Rationalisierung und Kostenökonomie)
    * Liberalisierung der Handelspolitik durch Abbau von Handelsbeschränkungen und Handelskontrollen, sowie verbesserte Exportanreize
    * Deregulierung von Märkten und Preisen (was oft auch die Abschaffung von Preissubventionen für Grundbedarfsartikel bedeutete, Deregulierung der Finanzmärkte,
    * Liberalisierung und Deregulierung der Arbeitsmärkte, durch Lohnsenkung und Abbau seiner sozialen Sicherungs- und Schutzsysteme
    * Haushaltskürzungen
    * Privatisierung öffentlicher Unternehmen und Einrichtungen
    * Entbürokratisierung
    * Abbau von Subventionen
    * trickle-down-Ökonomie

    Wow, und was ist dabei heraus gekommen? Totaler Zusammenbruch von Gesellschaften, gigantische Einkommens-, und Vermögensdisproportinalitäten, gigantische Verschuldung über alle Bereiche einer Gesellschaft hinweg, und das tw. schon zu Beginn ihrer Herrschaft. Den vorläufigen Schlußpunkt setzt die, seit 1998 (LTCM), spätetens seit der Ackermannsche Forderung nach Bad Banks, im Jahre 2007 voll ausgebrochene Finanzmarktkrise.

    Völlig irrational ist das Verhalten ggü. dem Finanzmarkt. Er greift andauernd ganze Firmen, Gesellschaften an. Was machen Sie mit jemandem, der Ihnen dauernd Feuer an Ihr Haus legt? Auch Sie fordern andauernd, dass man ihm noch mehr Zündmittel in die Hand soll, damit er endlich damit auf hört rum zu zündeln, ihr Haus nicht an zünden soll!

    Sind Sie noch nie auf die Idee gekommen ihm die Streichhölzer als einzig helfendes Mittel ab zu nehmen? Was hindert Sie rational zu handeln, sich das Rechtsinstitutes des Notwehrrechts zu Nutze zu machen?

  3. Nemo
    22. Juni 2012 um 12:24

    Warum nur nimmt die EZB nicht eine Gartenlaube als Sicherheit? Ich hätte eine, in guter, begehrter Lage. Sie steht kurz vor der Sanierung (ohne Fremdfinanzierung!) und ist nach langem juristischen Tauziehen samt belastungsfreiem Grundstück in festes Eigentum übergegangen. Aber nein, statt dieser Perle holt sich die EZB Schrott in Form spanischer strukturierter Immobilienpapiere in die Bücher und gibt dafür bares Geld.
    Ach ja, Herr Fritzsche verbietet sich solches Lamentieren über Fairness. Dafür serviert er etwas dürftige Kost zum Thema Schulden und Schuld, um ganz nebenbei über Gerechtigkeit zu sinnieren. Der Autor meint offnebar ernsthaft, dass schuldhaftes Verhalten lediglich vorsätzich sein darf. Wäre dem so, könnten wir das geltende Zivil- und Strafrecht (und damit das Fundament unseres an Sühnemorden und Bürgerkriegen glücklicherweise recht armen Alltagslebens) ignorieren, das übrigens sehr wohl zwischen Bankrott und betrügerischem Bankrott zu unterscheiden weiss. Künftig darf – frei nasch Fritzsche – für alle Autofahrer gelten, die einen Fußgänger überrollt haben: Es war nicht beabschtigt, also brauchen wir nicht von Schuld zu reden und können uns damit auch das Schmerzensgeld (das wären unter Umständen die daraus erwachsenen Schulden) sparen.
    Was einen Staat von einer Räuberbande unterscheidet ist das Recht und die Gleichheit vor dem Gesetz. In der EU sieht es hier nicht sonderlich gut aus und in der Bundesrepublik zunemend schlechter. Regeln haben bestenfalls noch den Charakter von Empfehlungen, an die man sich hält oder auch nicht. Überschuldete Staaten und ihre Regierungen greifen beim Nachbarn ungeniert in die Kasse, ignorieren unter Verweis auf einen Notstand ihre Parlamente, beugen ihre Verfassungen bis sie brechen. Die EZB ist in ihren Entscheidungen längs so unabhängig wie die Geisel in einer Bankfiliale. Das ist für die Geisel weder gerecht noch rechtens. Aber, um bei Frtzsche zu bleiben, wenn mir die Bankfiliale gehört und der Schaden vieleicht auch noch versichert ist, dann sei es drum.

    • Fabian Fritzsche
      22. Juni 2012 um 17:39

      Sehr geehrter Nemo,

      auch im deutschen Recht wird ein absichtliches Verhalten anders geahndet als unabsichtliches. Wer bei einem Unfall einen Personenschaden verursacht wird anders behaltet als jemand, der sein Auto als Waffe verwendet.

      So, nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich. Beim Schmerzensgeld erhält der Geschädigte Geld vom Unfallverursacher, das finanzielle „Leiden“ des Verursachers gleicht also das körperliche Leiden des anderen u.U. partiell aus. Doch wo ist da der Zusammenhang zum spanischen Häuslebauer? Ist dieser nun Schadenverursacher oder Geschädigter? Wer erhält einen Vorteil/Ausgleich durch dessen finanzielle Probleme? Und genau das ist der Punkt: Selbst wenn man der Ansicht ist, die spanischen Häuslebauer müssten für ihr (moralisches) Fehlverhalten nun bestraft werden, sollte bedenken, dass durch die finanzielle Problemlage der spanischen Häuslebauer die gesamte Volkswirtschaft Nachteile hat.

  4. Take-it-away-Jay-Emm-Kay
    22. Juni 2012 um 11:47

    Ist natürlich alles 100% korrekt, was Sie schreiben. Aber konservative Leser haben schon seit langem ihre Entscheidung getroffen: „die Menschen in Club Med sind alles faule Parasiten die an UNSER Geld wollen, um ihren übertriebenen Lebensstil nicht einschränken zu müssen. Aber so gehts ja wohl net!!!!“

    Und wenn konservative Menschen einmal eine Position gefunden haben, wird diese Position auf Teufel komm raus verteidigt, und NIEMALS überdacht (Ich bin hier weniger polemisch als es mir selbst lieb wäre)

    Unsere konservativen Mitbürger sind und bleiben also unbelehrbar, und Demagogen wie Sarrazin oder Josef Joffe (Zeit) oder Holger Steltzner (FAZ) oder Hans-Werner Sinn werden dies weiter ausnutzen (und die BILD sowieso).

    Also sind Artikel/Blog posts wie dieser im Endeffekt ja sehr erfreulich, aber ist es mehr als „preaching to the [progressive] choir“? Ich fürchte nein.

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