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Die Kolumne – Angst essen Agenda auf (ergänzt)

12. Oktober 2007

Die Reformen sollten den Deutschen ordentlich Druck machen. Jetzt zeigt sich, dass sie mehr Eindruck gemacht haben, als ökonomisch verträglich ist. Willkommen im Land der Zaghaften und Angstsparer. Teil 2 der Agenda-Bilanz*

Durch die Agenda 2010 wurden die Handwerksordnung gelockert, der ein oder andere Steuersatz gesenkt und angeblich unwilligen Arbeitslosen mehr Druck zur Arbeitssuche gemacht. All das dürfte das Wachstum ein bisschen beschleunigt haben.* Klar. Zur Zwischenbilanz der Reformen gehört aber auch das, was die Agenda an Begleitschäden womöglich angerichtet hat.

Die Deutschen haben über Jahre gehört und gespürt, dass sie weniger Geld kriegen, mehr selbst zahlen müssen, sich auf nichts mehr verlassen sollen, schneller arbeitslos werden können und dann auch schneller kein Geld mehr bekommen. Die Botschaft scheint angekommen – womöglich mehr, als ökonomisch sinnvoll ist. Die Deutschen sind auf zweifelhaftem Weg, zum Volk von Angstsparern und Zurückhaltungsweltmeistern zu werden. Ein Trend, der sich gerade derzeit als gefährlich erweist – und Jobs wie Wachstum kosten könnte.

Wachstum von der Sparquote entkoppelt

Es mag sinnvoll sein, mehr für die Rente vorzusorgen, erhöhte Eigenbeteiligungen bei Arzneimittelkäufen zu leisten oder sich schneller um einen neuen Job zu kümmern. Die Frage ist nur, ob Deutschland in der Summe nicht übers Ziel hinausgeschossen ist. Zufall oder nicht: In keinem Industrieland haben die Menschen ihre Ersparnisse in den vergangenen Jahren so stark aufgestockt wie in Deutschland, wo zuletzt knapp elf Prozent der laufenden Einkommen ohne konsumptive Verwendung blieben. Im Jahr 2000 waren es 9,2 Prozent. Das ist umso erstaunlicher, als die Sparquote zu Beginn früherer Aufschwünge immer erst mal sank, Mitte der 80er- wie 90er-Jahre.

Nach alter Ökonomenlehre wäre so etwas eigentlich gut: möglichst viel sparen, damit Geld zum Investieren da ist. Nur: Neuere Forschungen deuteten darauf hin, dass es für das Wachstum wichtiger sei, wie innovativ eine Wirtschaft sei, sagt Harvard-Ökonom Philippe Aghion**. Und das hänge nicht an der Menge Kapital, die im eigenen Land gespart werde – erst recht in einer globalisierten Finanzwelt. Nach Aghions Studien gibt es in entwickelten Ländern so gut wie keinen Zusammenhang mehr zwischen Sparquoten, Investitionen und Wachstum. Was auch der Blick auf die jüngste Vergangenheit zu belegen scheint: Die höchsten Sparquoten haben in der OECD Länder wie Deutschland, Frankreich und Italien. In langjährig erfolgreichen Ländern wie Australien, den USA, Kanada oder Finnland liegen die Raten auffällig niedrig.

Gegen die These vom tollen Sparen spricht auch, dass hinter dem auffällig erhöhten deutschen Sparen auch kein weitsichtiges Anlegerverhalten (und nur bedingt eine höhere Altersvorsorge) stecke, wie die Deka-Volkswirte gerade diagnostizierten – sondern sorgenvolles Geldhorten. Fast ein Drittel der Geldvermögensbestände liege „in sehr risikoarmen und damit relativ renditearmen Anlagen“, so die Deka-Leute. Die Unsicherheit über zukünftige Einkommen mindere die Risikofreude. Nach Schätzungen der Bundesbank horten die Deutschen zwischen 15 und 27 Prozent ihres gesamten Vermögens allein aus Vorsicht – was locker ein paar Hundert Milliarden Euro sind.

Am mangelnden Vertrauen in die Konjunktur konnte so viel Angst zuletzt kaum noch liegen. Nach Umfragen zeigten sich die Deutschen in Sachen Aufschwung und Arbeitsmarktperspektiven in den vergangenen Monaten so optimistisch wie seit Jahrzehnten nicht. Der Unterschied ist, dass sie daraus keine Zuversicht in die eigene Einkommenszukunft ableiten – hier sind die Antworten weit skeptischer als früher.

Auch mit der Globalisierung ließe sich das Phänomen bestenfalls ansatzweise erklären. Die wirkt erstens auch in anderen Ländern, ohne dass die Leute dort in Angstsparen verfallen. Und zweitens sollten ja gerade die Reformen die Angst vor dem weltweiten Wettbewerb nehmen. Auch die Bundesbanker ahnen, dass die besorgniserregende Verzagtheit wohl mit den Reformen zu tun hat: „Die verbreitete Unsicherheit über die Auswirkungen der Arbeitsmarktreformen dürfte dazu geführt haben, dass vielfach vorhandene Konsumwünsche aus Vorsichtsgründen aufgeschoben wurden.“

Die Agenda 2010 hat die Leute im Land ziemlich kirre gemacht, ohne zugleich die Zuversicht in ihren künftigen Wohlstand zu erhöhen – was die Reformen eigentlich bewirken sollten. Jetzt wundern sich alle, dass die Deutschen nicht befreit vor sich hin konsumieren. Sie verzichten nun sogar auf Dinge, auf die man ökonomisch sinnvoll gar nicht verzichten sollte.

Marktvorteile auf Kosten des Konsums

Nach Jahren rekordverdächtiger Lohnzurückhaltung braucht man nicht immer mehr davon, um die atemberaubenden Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen in Europa noch größer werden zu lassen – auf Kosten von Konsum und Binnennachfrage. Laut Bundesbank „hätten die Konsumausgaben seit Mitte 2003 mit jährlich zwei Prozent wachsen müssen, statt weitgehend zu stagnieren“ – wenn man frühere Aufschwünge zum Maßstab nehme.

Die Deutschen werden – nicht nur wegen der Mehrwertsteuer – 2007 weniger konsumieren als 2006. Dafür aber mehr sparen. Das ist hochgradig grotesk mitten im Aufschwung. Und es macht diesen weit anfälliger für globale (Finanz-)Schocks, als er es in dieser Phase eigentlich sein dürfte. Vieles spricht dafür, dass das Agenda-Reformieren hierzu einen zweifelhaften Beitrag geleistet hat – was derzeit sogar die mühsam diagnostizierten Wachstumseffekte der Agenda wettzumachen droht. Wenn die Agenda korrigiert oder ergänzt werden soll, dann hier: mit allem, was den Eindruck widerlegt, dass aus Angst Wachstum entsteht.

* Teil 1: siehe Kolumne vom 5. 10.

Zusatz – 13. Oktober 2007:

**Die zitierte Studie von Philippe Aghion zum Zusammenhang zwischen Sparen und Wirtschaftswachstum finden Sie hier : When Does Domestic Saving Matter for Economic Growth? Sehr interessant.

Schätzungen zum Einfluss veränderter Einkommensverteilung auf die Gesamtsparquote findet man im Monatsbericht der Bundesbank von September 2007 – im Kapitel zum Konsum seit der Einheit (ab Seite 48). Zitat: „Berechnungen (…) weisen darauf hin, dass Veränderungen in der Einkommensverteilung zu einem Anstieg der Sparquote von mindestens 0,3 Prozentpunkten zwischen den Jahren 2000 und 2004 geführt haben.

E-Mail fricke.thomas@ftd.de

 

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