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Neidgesellschaft im Stresstest

11. Juni 2009

Wenn es um Staatshilfen für Unternehmen geht, sind in Deutschland Ordnungspolitiker und Tante Erna auf einer Linie: Dass irgendwer mehr kriegt, geht gar nicht. Dabei kann das ökonomisch für alle das Beste sein.

Wenn Sie einem Marsmenschen mal verständlich machen müssen, wie der Deutsche tickt, könnten Sie beispielhaft den Satz zitieren: „Da könnte ja jeder kommen.“ Der ist weltweit (wahrscheinlich) einmalig, in Deutschland dafür universell anwendbar: gegen Vordrängeln in der Schlange, Einfädeln aus der Rechtsabbiegerspur – und wenn es um Hilfen vom Staat geht. Letztere beschäftigen die Deutschen seit Wochen: Warum soll Opel Geld kriegen und nicht Bäcker Kunz, warum die Bank, nicht Schaeffler? Wenn da jeder käme? Ein wahrer Stresstest für Tante Erna wie für Ordnungspolitiker, die so was schon immer furchtbar fanden.

Dabei spricht einiges dafür, dass es uns nicht besser ginge, wenn keiner mehr käme. Im Gegenteil. Neid hin oder her. Womöglich führt kein Weg daran vorbei, wirtschaftlich zu testen, in welchen Fällen es sinnvoll oder womöglich gar dringlich ist zu helfen. Nicht um Einzelne besser zu stellen, sondern weil das in bestimmten Krisenfällen ökonomischen Unsinn verhindert und drohende Kollateralschäden begrenzt.

Kurios zunehmende Managementfehler

Seit die globale Krise in den Betrieben ankommt, werden in Deutschland erstaunlich häufig „jahrelange“ Managementfehler oder „strukturelle“ Überkapazitäten entdeckt. Motto: selbst schuld. Nicht unser Problem. Der Befund mag im Einzelfall stimmen, ist in seiner Häufung dennoch kurios. Zumal vor zwei Jahren noch Schlagzeilen zu lesen waren, die „Opels Comeback“ feierten. Selbst Frau Schaeffler galt vor zehn Monaten noch als Heldin.

Bis zum Sekundencrash vom Sommer 2008 lag die Auslastung der deutschen Autoindustrie nicht niedriger, sondern höher als in der Wirtschaft insgesamt (siehe Grafik). Dann kam der Totalabsturz. So schnell können Managementfehler gar nicht zugenommen haben. Nach Umfrage des Ifo-Instituts waren die Fabriken Anfang 2008 mit fast 97 Prozent sogar so gut ausgelastet wie nie seit 1992. Das stützt nicht eben die These, dass es nur Todgeweihte trifft.

Umso naiver wirkt das bemühte Heranziehen des Steuerzahlers, der für die Fehler von Opel und andere aufzukommen habe. Herzzerreißend. Nach Ifo-Rechnungen trägt die Autobranche zu vier Fünfteln ihrer Bruttoleistung dazu bei, dass andere überleben. Die Ökonomen des Hamburger HWWI schätzen, dass ein 15-prozentiger Ausfall der Autoproduktion reicht, um das Desaster herbeizuführen: ein Einbruch des BIP um fast zwei Prozent und der Verlust fast einer halben Million Arbeitsplätze. Nach Faustregeln kostet so etwas den Finanzminister respektive Steuerzahler gut 20 Mrd. E. Nur zum Größencheck: für die avisierte Opel-Rettung müssen wir jetzt 1,5 Mrd. E ausleihen.

Nach neueren Erkenntnissen von Wettbewerbsökonomen ist es schon in Normalzeiten nicht gut, staatliche Hilfen allzu grob nach formaljuristischen Kriterien zu gewähren oder abzulehnen, wie es lange Usus war. Es sei besser, ökonomisch zu prüfen, ob eine Hilfe beitrage, Wohlstand zu steigern, sagt Lars-Henrik Röller, Chef der European School of Management and Technology (ESMT). Das treffe zu, wenn Märkte versagen und die Hilfen dies beheben könne.

Wenn überhaupt, werden solche Tests heute praktiziert, wenn Märkte ungenügende Anreize geben, um etwa Umweltschäden zu stoppen. In der aktuellen Finanzkrise drängt sich die Frage auf, ob das Prinzip nicht auch makroökonomisch gelten sollte: dann, wenn Krisen von Fehlfunktionen auf Öl- oder Kreditmärkten ausgelöst werden – und dies Schockwellen auslöst, die Millionen Jobs kosten oder Firmen vernichten, die so schlecht vorher nicht dastanden und mit den auslösenden Exzessen wenig zu tun hatten. Nach einer Studie des US-Ökonomen James Hamilton wäre die US-Wirtschaft Anfang 2008 nicht in eine Rezession gerutscht, hätten nicht die Ölmärkte verrückt gespielt und wäre der Preis nicht auf 145 $ pro Barrel geschossen – was sich in diesem Ausmaß nicht ernsthaft als sinnvolles Marktsignal zurechtlegen lässt*.

Ist es ökonomisch effizient, wenn unter solchen Extremumständen Unternehmen verschwinden, die sonst zumindest noch eine Chance zur Neuaufstellung hätten? Die Unternehmen kommen ja nicht einfach zurück.

Da scheint es sinnvoller, nach ökonomischer Prüfung die ein oder andere bedingte Überbrückungshilfe zu geben. Ob das Unternehmen rettenswert ist, kann der Markt beurteilen, wenn er wieder zur Besinnung kommt und sich der gesamtwirtschaftliche Rahmen normalisiert hat. Jetzt macht so eine Abschätzung wenig Sinn. Wie gut man dafür sorgen kann, dass Hilfsempfänger demütig bleiben, zeigt der jüngste Eifer von US-Banken, ihre Staatshilfen zurückzuzahlen – um die damit verbundenen Auflagen loszuwerden.

Besser ökonomische als politische Kriterien

Natürlich wäre es nicht nur für Tante Erna und Ordnungshüter, sondern auch realökonomisch verträglicher, auf Einzelfallhilfen zu verzichten oder extreme Krisen gar nicht erst zuzulassen. Hamilton zufolge hätte die US-Regierung das Schlimmste „noch verhindern können, wenn sie in der Frühphase 2008 Öl verkauft und das spekulative Momentum nicht hätte aufkommen lassen“. Auch deutsche Warenhäuser würden nicht so atemberaubend kriseln, wenn der Export nicht zuvor zum wirtschaftspolitischen Fetisch gemacht und Konsumdepression nicht zur Tugend verklärt worden wären. Nur lässt sich das schlecht rückgängig machen.

Wenn Schätzungen den Verdacht nahelegen, dass eine (wirkliche) Opel-Pleite in ohnehin labiler Lage zu neuen Schockwellen führt, geht es darum zu verhindern, dass die Kollateralschäden für das Land samt Steuerzahlern, Tante Erna und Ordnungspäpsten explodieren. Und da ist es besser, ökonomische Kriterien für Notfälle aufzustellen, als vor Neid und Grundsatztreue zu erstarren. Sonst machen es die (wahlkämpfenden) Politiker trotzdem – nur ohne ökonomisch nachvollziehbare Maßstäbe.

* „Causes and Consequences of the Oil Shock 2007/08“, James Hamilton, NBER Working Paper 15002, Mai 2009

E-Mail fricke.thomas@guj.de

 

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