Die Kolumne – Exportjunkie, noch ein Schuss
Deutschlands Hardliner kämpfen gegen den Verdacht, das Modell ewig hoher Exportüberschüsse sei gescheitert. Dabei hat der Egotrip die globale und die hiesige Krise befeuert – und könnte es bald wieder tun.
Der Absturz ist gestoppt, die Konjunktur zieht an. Schon gibt es Anzeichen, dass weltweit auch wieder Waren „made in Germany“ gefragt sind. Und schon tönen erste Experten, das sei der Beweis, dass Deutschlands Geschäftsmodell doch funktioniere. Als wäre (fast) nichts gewesen.
Das Fazit hat etwas grotesk Hastiges. Es hat ja niemand Ernstzunehmendes gesagt, dass die Deutschen nicht mehr exportieren sollen und der Rest der Welt nie mehr deutsche Produkte kauft. Es geht vielmehr um die dramatisch schiefe Bilanz aus viel Export und wenig Import. Und da drängt sich am Ende der Jahrhundertkrise zusehends der Verdacht auf, dass die Deutschen erstens zum globalen Crash beigetragen haben – und zweitens im Crash vor lauter Sparen zum Opfer der eigenen Tugendhaftigkeit wurden. Wie sonst lässt sich erklären, dass die anfangs finanziell so solide aufgestellten Deutschen am Ende stärker unter die Räder kamen als andere? Wenn das kein Zufall war, droht der neue Aufschwung beim alten Exportweltmeister früher oder später in einer noch furchtbareren Krise zu enden.
Es können nicht alle Überschüsse haben
Noch scheinen selbst dämlichste Argumente gut genug. Da poltert der Chef des irrtümlich als besonders weise geltenden Sachverständigenrats, es gebe gar kein steuerbares deutsches Geschäftsmodell, so was ergebe sich in den Firmen. Dabei haben Mainstream-Ökonomen wie Wolfgang Franz in den vergangenen Jahren stets gedrängt, (fast) jede wirtschaftspolitische Maßnahme auf niedrigere Kosten und höhere Exportfähigkeit zu trimmen – und inländische Konsumenten bei jeder Gelegenheit zu besteuern. Eher frech, dann zu sagen, die Folge – drastisch steigende Exporte bei depressiver Binnennachfrage – habe sich halt so ergeben.
Weniger schlämmerhaft wirkt die neuere Idee, die Deutschen müssten wegen kollektiver Alterung mehr für später vorsorgen – und daher erstens ganz viel (Export-)Geld verdienen und zweitens nicht so viel für Importe verplempern. Nur ist auch sie irgendwie schräg. Immerhin sind die Deutschen mit dem Altern nur etwas früher dran als andere. „Erst war es Japan, in ein paar Jahren folgen Amerikaner, Chinesen und Osteuropäer“, sagt Andreas Rees, Chefökonom bei Unicredit. Da sehen Geburtenraten teils schlimmer aus als im Von-der-Leyen-Land.
Müssen die dann auch alle mehr verkaufen als ausgeben? Das könnte rein logisch eng werden. Schließlich können ja nicht alle auf der Welt Exportüberschüsse haben. Wobei das Altern ohnehin kein Grund ist, dass nicht jeder ein bisschen mehr Geld zum Konsumieren kriegen kann. Rees errechnet in einer Simulation, dass der deutsche Leistungsbilanzüberschuss 2008 fast 40 Mrd. Euro niedriger gelegen hätte, wenn bei unverändert gestiegener Sparquote die Realeinkommen seit 2000 jährlich um 0,5 Prozentpunkte schneller gestiegen wären – weil dann automatisch mehr importiert würde. Bei einem Anstieg um jährlich 2,3 Prozent wie in Frankreich wäre Deutschlands Außenbilanz mit 0,8 Prozent des Inlandsprodukts sogar fast ausgeglichen.
Stattdessen gab es Überschüsse von acht Prozent – und ein Problem. Für jedes Exportgeschäft streichen Unternehmen Forderungen ein, die sie in der Regel der Bank verkaufen, die das Geld irgendwo anzulegen versucht, erklärt Kai Carstensen, Konjunkturchef am Ifo-Institut. Das gleicht sich bei entsprechenden Importen aus. Im Fall Deutschland summieren sich die Exportüberschüsse seit 2002 aber auf enorme 900 Mrd. Euro – die, sagen wir, deutsche Landesbanken möglichst lukrativ im Ausland zu platzieren hatten. Sagen wir, in US-Immobilien. Oder Island.
Kein Zufall: Deutschlands Nettokapitalexport in die USA ist hochgeschnellt, als die Finanzblase wuchs (siehe Grafik): 2007 gingen 30 Prozent des Geldes, das die Deutschen beim Export netto machten, in US-Wertpapiere und Finanzderivate. Dann kam der Crash – bei US-Immobilien wie deutschen Banken: vom Exportweltmeister zum Finanzkrisenimporteur.
Das würde erklären, warum es gerade hier Landesbanken- und HRE-Debakel oder Ex-Kaupthing-Anleger gibt, weniger in Frankreich. Warum Abschreibungen höher scheinen – obwohl kaum ein Land vor der Krise scheinbar so solide dastand. Verbraucher hatten ihre Schulden brav abgebaut; die Unternehmen machten riesige Überschüsse. Selbst der deutsche Staat war erstmals seit Jahrzehnten nicht im Minus.
„Für Gläubiger werden Überschüsse zum Problem, wenn die Schuldner Probleme kriegen“, sagt Carstensen. Das Fatale für Deutschland sei, dass eines das andere bedinge, so Unctad-Chefökonom Heiner Flassbeck: Je mehr die Deutschen Kosten kürzten und auf Exportüberschüsse setzten, desto stärker rutschten andere (ökonomisch wie mathematisch) ins Minus – bis es crasht und die ach so soliden, aber von Schuldnern abhängigen Deutschen mitreißt. Wie 2008. Da stürzt schnell mal eine Krone und pulverisiert den Wert deutscher Anlagen im Land.
Weil sie so viel Geld aus streberhaften Außenüberschüssen unterkriegen mussten, trugen deutsche Finanzjongleure besonders zur globalen Finanzblase bei – und machten die Deutschen zugleich umso anfälliger für die Konsequenzen. Es ist ökonomisch zweifelhaft und gefährlich, netto immer mehr Auslandsvermögen aufzubauen, anders als es hiesige Export-Gralshüter vorgaukeln.
Seit der deutsche Export wieder anzieht, steigt auch der zwischenzeitlich abgestürzte Überschuss wieder, seit Januar um monatlich zehn Prozent. Das Exportieren hilft bei der Krisenüberwindung – prima. Beim jüngsten Tempo aber würden die Deutschen schon Anfang 2010 neue Überschussrekorde aufstellen. Und die Banken müssten wieder durch die Welt ziehen, um das ganze verdiente Geld kreativ anzulegen. Das Modell ist einfach Schrott.
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