Startseite > Gästeblock > George Akerlof und Joseph Stiglitz – Ideen aus dem Untergrund

George Akerlof und Joseph Stiglitz – Ideen aus dem Untergrund

30. Oktober 2009

Die große Krise hat auch etwas Gutes: Sie hat eine Vielfalt an ökonomischen Theorien zum Vorschein gebracht, die lange genug vom Mainstream überschattet wurden.

Die Wirtschafts- und Finanzkrise ist ein Moment tiefer Reflexion im ökonomischen Metier, denn sie hat viele lange gepflegte Vorstellungen auf die Probe gestellt. Wenn sich die Wissenschaft durch ihre Fähigkeit definiert, die Zukunft vorherzusagen, dann sollte das Versagen so vieler Ökonomen, die Krise kommen zu sehen, Grund zu großer Besorgnis sein.

Doch gibt es tatsächlich eine sehr viel größere Ideenvielfalt unter Ökonomen, als einem häufig bewusst ist. Die diesjährigen Nobelpreisträger in Ökonomie sind zwei Wissenschaftler, deren Lebenswerk alternative Ansätze untersucht. Die Ökonomie hat eine enorme Vielzahl an Ideen hervorgebracht; und viele davon argumentieren, dass Märkte nicht notwendigerweise effizient oder stabil sind und unsere Gesellschaft durch die Standardmodelle des Wettbewerbsgleichgewichts, die von vielen Ökonomen verwendet werden, nicht gut beschrieben wird.

Die Verhaltensökonomie etwa betont, dass die Marktteilnehmer häufig auf eine Weise agieren, die sich nicht ohne Weiteres mit Rationalität in Einklang bringen lässt. In ähnlicher Weise zeigt die moderne Informationsökonomie auf, dass selbst Märkte, die dem Wettbewerb unterliegen, fast niemals effizient sind, wenn die Informationsverteilung unvollkommen oder asymmetrisch ist, also einige Menschen über Informationen verfügen, die andere nicht haben, was quasi immer der Fall ist.

Eine lange Reihe von Forschungsarbeiten hat gezeigt, dass sich selbst unter Anwendung der Modelle der sogenannten ökonomischen Schule „rationaler Erwartungen“ die Märkte nicht immer stabil verhalten und es zu Preisblasen kommen kann. In der Tat bietet die Krise viele Belege dafür, dass die Anleger nicht rational agieren.

Genau wie sie das Nachdenken über die Notwendigkeit zur Regulierung neu belebt hat, hat die Krise die Erforschung alternativer Gedankenstränge vorangetrieben, die uns bessere Einsichten in die Wirkungsweise unseres komplexen Wirtschaftssystems geben – und vielleicht hat sie auch die Suche nach einer Politik angeregt, die eine Wiederholung der jüngsten Katastrophe verhindern könnte.

Glücklicherweise haben in der Zeit, als einige Ökonomen die Idee selbstregulierender, vollkommen effizienter Märkte propagierten, andere Ökonomen und Sozialwissenschaftler eine Vielzahl anderer Ansätze untersucht. Hierzu gehören agentenbasierte Modelle, die die Vielfalt der Umstände betonen, Vernetzungsmodelle, die sich auf die komplexen Wechselbeziehungen zwischen Unternehmen konzentrieren (etwa solche, die Insolvenzkaskaden ermöglichen), eine Neurezeption des vernachlässigten Werks von Hyman Minsky über Finanzkrisen (deren Häufigkeit sich seit Beginn der Deregulierung vor drei Jahrzehnten erhöht hat) und Innovationsmodelle, die versuchen, die Dynamik des Wachstums zu erklären.

Viele der aufregendsten Arbeiten im Bereich der Ökonomie, die derzeit verfolgt werden, erweitern deren Grenzen, um die Arbeit von Psychologen, Politologen und Soziologen mit einzubeziehen. Auch von der Wirtschaftsgeschichte können wir viel lernen. Bei allem Getöne über Finanzinnovationen ist die derzeitige Krise vergangenen Finanzkrisen bemerkenswert ähnlich – sieht man davon ab, dass die Komplexität der neuen Finanzprodukte die Transparenz verringerte und so die Furcht vor einem Zusammenbruch vergrößerte.

Ideen sind wichtig. Unsere Aufsichtsbehörden und gewählten Vertreter wurden politisch vereinnahmt: Sonderinteressen an den Finanzmärkten profitierten in erheblichem Maße von der ungezügelten Deregulierung und dem Versagen, die aufsichtsrechtliche Struktur an die neuen Produkte anzupassen. Aber unsere Aufsichtsbehörden und Politiker litten auch unter einer intellektuellen Vereinnahmung. Sie hätten ein breiteres und robusteres Portfolio an Ideen gebraucht, auf die sie sich stützen können.

Deshalb ist auch die jüngste Ankündigung von George Soros so aufregend, der eine finanziell gut ausgestattete Initiative for New Economic Thinking (Inet) schaffen will, die diese Ideen unterstützen soll. Forschungsgelder, Symposien, Konferenzen und eine neue Fachzeitschrift: All dies wird dazu beitragen, dass neue Ideen und gemeinsame Bemühungen blühen und gedeihen.

Inet wurde völlige Handlungsfreiheit eingeräumt, sowohl inhaltlich wie in Strategiefragen. Jüngst hat Soros eine bemerkenswerte Gruppe wirtschaftlicher Koryphäen aus dem gesamten Spektrum des Berufsstands zusammengeführt, um die Notwendigkeit und die Aussichten einer derartigen Initiative sowie deren beste Vorgehensweise zu diskutieren.

In den vergangenen drei Jahrzehnten widmete sich ein Strang der Ökonomie der Erstellung von Modellen, die davon ausgingen, dass die Märkte perfekt funktionieren. Diese Annahme überschattete die Tatsache, dass eine breite Gruppe von Forschern bereits erklären half, warum Märkte häufig unvollkommen funktionieren – warum es tatsächlich weitverbreitetes Marktversagen gibt.

Auch der Marktplatz der Ideen funktioniert häufig alles andere als ideal. In einer Welt menschlicher Fehlbarkeit und eines unvollkommenen Verständnisses wirtschaftlicher Komplexität bietet Inet das Versprechen, alternative Gedankenstränge verfolgen zu können – und damit diese kostenträchtige Unvollkommenheit des Marktes zumindest abzumildern.