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Die Kolumne – Chinas Crash von 2015

29. April 2011

Die asiatische Wirtschaft ist binnen Kurzem zum Motor für die globale Konjunktur geworden. Großartig. Die Frage ist, wie lange noch. Könnte sein, dass die Zeit des Booms bereits abläuft.

China rettet die Weltkonjunktur. Zumindest seit Amerika in die Finanzkrise geschlittert ist. Seither wachsen nirgends die Märkte so vielversprechend. Im März kauften die Chinesen fast doppelt so viel im Rest der Welt wie vor Ausbruch der Krise. Ein Zeitenwandel, der alles Gebrabbel ad absurdum führt, wonach wir unter Chinas Wirtschaftskraft leiden.

Die Frage ist eher, wie lang uns die schöne neue Wachstumswelt noch erhalten bleibt, wie lange Chinas Boom noch dauert. Immerhin lehrt die Erfahrung anderer Länder, dass solchen Boomphasen früher oder später ein mehr oder weniger abruptes Ende folgt. So wie es bei Japanern, Koreanern und anderen zwischenzeitlichen Wunderländern auch war. Ein Ende, das für Chinas Wirtschaft näher sein könnte, als es die florierenden Boomprojektionen suggerieren.


Abschied vom Angstgegner

In den 80er-Jahren waren es die Japaner, die als gefährlich und mysteriös dauerboomende Konkurrenten der etablierten westlichen Industriestaaten galten – bis sich das Wachstum in jahrelange Deflation verwandelte. Dann waren es die Koreaner, die uns als die Totengräber der hiesigen Autoindustrie versprochen wurden – und die plötzlich als asiatische Hochlöhner mit gravierenden Wachstumsproblemen dastanden. Ähnliches gilt für die vormals boomenden Deutschen, die in den 70ern vom Angstgegner zum ökonomischen Problemfall wurden.

Das Phänomen ist stets ähnlich – und die Fortschreibung menschlich. Je länger das Wachstum hält, desto lauter werden die Lobeshymnen. Umso weniger vorstellbar scheint, dass es noch mal anders sein könnte. Das gilt jetzt auch für China. Es wimmelt nur so von Projektionen, nach denen die Wirtschaft des Landes noch jahrzehntelang um zehn Prozent pro Jahr wachsen wird.

Dass es so kommt, ist ziemlich unwahrscheinlich. Zumindest nach aller historischen Erfahrung mit schnell wachsenden Volkswirtschaften. Berkeley-Ökonom Barry Eichengreen hat in einer neuen Studie weltweit alle möglichen Fälle seit 1957 überprüft, in denen Länder plötzlich zu boomen aufhörten; wo das Wirtschaftswachstum im Mehrjahresschnitt um mindestens zwei Prozentpunkte absackte.* Das passierte einer Reihe europäischer Länder in der ersten Hälfte der 70er-Jahre. Ebenso wie Korea 1997. Oder Argentinien 1998. Japan bremste in zwei Etappen: in den frühen 70ern und ab 1992, nach dem Platzen der Häuserblase – um insgesamt zehn Wachstumspunkte.

Das eindrucksvolle Ergebnis: Meist war Schluss, wenn das Pro-Kopf-Einkommen rund 17000 Dollar (nach Kaufkraft von 1995) erreichte – was ein wenig nach Voodooregel klingt, sich ökonomisch aber begründen lässt. Bei aufholenden Ländern werde das Wachstum lange dadurch getragen, dass Know-how aus dem Ausland importiert wird und Arbeitskräfte von der Landwirtschaft in die Industrie wechseln, so Eichengreens Vermutung. Oder dass es einen hohen Anteil Jüngerer in der Bevölkerung gibt. Dann komme der Bruch, eine Art Reifekrise.

Japan galt einmal als Dauerboomland
Erreicht so ein Land ein bestimmtes Entwicklungsniveau, sei das meist damit verbunden, dass gar nicht mehr so viel Know-how importierbar ist, es weniger Landbevölkerung gibt, die noch in die Industrie wechselt, die Unternehmen technologisch zugleich immer weniger aufzuholen haben, die Schulausbildung internationale Standards erreicht und die Gesellschaft zunehmend altert. Dann komme es darauf an, eigene Wachstumsquellen zu finden, für Nachfrage und Innovation im eigenen Land zu sorgen, so Eichengreen. Das sei viel schwieriger.
Der Ökonom fand auch dafür empirische Belege. So endeten die Boomgeschichten der Vergangenheit, wenn im Schnitt der Industrieanteil an der Beschäftigung 23 Prozent erreichte. Der Beitrag, den der Produktionsfortschritt zum Wachstum leistete, fiel danach im Mittel von gut drei auf knapp über null Prozent.

Ob es im Einzelfall wirklich zum Absturz kommt, hängt nach Eichengreens Schätzung von mehr oder weniger günstigen Umständen ab. Das Risiko ist kleiner, wenn der Konsum im Inland vorher auf 62 bis 65 Prozent der Wirtschaftsleistung gestiegen ist – weil dann die Abhängigkeit von externen Schocks geringer ist (in Deutschland ist die Quote niedriger). Die Gefahr steigt, je älter im Schnitt die Bevölkerung ist. Und je stärker ein Land seine Währung unterbewertet hält – weil es dann ebenfalls stark am Export hängt, statt auf eine ausgewogenere Gesamtkonjunktur zu setzen. Das traf auf Korea ebenso zu wie auf die Deutschen; auch die D-Mark war vor Ende des Wirtschaftswunders (real) stark unterbewertet.

Für China ist all das gleich mehrfach ein Warnsignal. Wenn das Wachstumstempo bis dahin anhält, wird das Land 2015 jene kritische Pro-Kopf-Einkommensschwelle erreichen, die regelmäßig zu Einbrüchen führte. Der Industrieanteil an der Beschäftigung dürfte schon vorher auf die Bruchmarke von 23 Prozent steigen.
Dazu kommt, dass die Umstände im Fall Chinas per saldo eher ungünstig sind. Dass der Renminbi stark unterbewertet sei, erhöhe die Wahrscheinlichkeit eines Wachstumseinbruchs von knapp 50 auf 70 Prozent, kalkuliert Eichengreen. Ähnliches gelte für die Konsumquote, die in China unter 50 Prozent liege. Auch der steigende Anteil Älterer ist bedenklich. Das könnte auch den vermeintlichen Vorteil der bisher hohen Investitionsquote oder den des anhaltend hohen Nachholbedarfs wettmachen.

Ginge es nur um ein paar Punkte weniger Wachstum, wäre auch das womöglich halb so wild. Nur ist der Übergang selten glimpflich, oft eher krisenhaft – etwa weil Lohnkosten, Aktien- oder Immobilienpreise zuvor vor lauter Euphorie untragbar gestiegen sind. Was zu Crashs wie einst in Japan führt und womöglich bald in China. Auch das belegen Eichengreens Schätzungen: Die Wahrscheinlichkeit eines Wachstumseinbruchs ist mit 71 Prozent fast doppelt so hoch, wenn die Wirtschaft in den Jahren davor um astronomische zehn statt fünf Prozent gewachsen ist.

Sollte die strukturelle Reifekrise mit solchen Crashs zusammenfallen, wird dem Boom auch in China die ganz große Ernüchterung folgen. Vielleicht ja tatsächlich 2015. Dann könnte China das Japan von morgen sein. Und dann könnte es auch mit dem chinesischen Wunderbeitrag zur Weltkonjunktur wieder vorbei sein.

Email fricke.thomas@guj.de

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