Sony Kapoor – Riesig groß und doch zu klein
Selbst die Hebelung des Rettungsschirms wird nicht reichen. Langfristig führt kein Weg an einem stärkeren Engagement der Europäischen Zentralbank in der Schuldenkrise vorbei.
Vergangenes Jahr haben wir vorgeschlagen, dass die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) Anleihegarantien bietet und keine Kredite. Dadurch muss der Rettungsfonds nicht erst Geld aufnehmen, das er dann weiter verleiht. Die zusätzlichen Kosten dafür fallen weg. Den angeschlagenen Ländern weiterhin Zugang zu den Märkten zu sichern, hat aber noch einen weiteren Vorteil: Es könnte nützliches Feedback über die Wirkung der Reformen liefern und den Ländern helfen, schneller wieder auf die Beine zu kommen.
Angesichts der Widerstände gegen eine Ausweitung der EFSF – die nötig ist, um das Vertrauen wiederherzustellen – schlugen wir im Januar 2011 vor, dass der Rettungsfonds Teilgarantien ausspricht. Dadurch wächst das effektive Volumen der Sicherung. Statt einem Land, für das die Finanzierung über die Märkte zu teuer geworden ist, 10 Mrd. Euro zu leihen, könnte die EFSF skeptische Gläubiger mit Kreditsicherungen dazu bringen, niedrigere Zinsen zu akzeptieren. Der Rettungsfonds könnte zum Beispiel für bis zu ein Drittel der Darlehenssumme eine Kapitalgarantie aussprechen. Dann reichen 10 Mrd. Euro Einsatz für 30 Mrd. Euro Kredit.
Magie? Nein. Wer mit 30 000 Euro Eigenkapital kein 30 000 Euro teures Strandhäuschen, sondern ein 100 000 Euro teures Haus kauft, geht mehr Risiko ein. Wenn die EFSF mit ihren Mitteln größere Kredite stützt, ist das mit einem höheren Risiko verbunden. Daran führt kein Weg vorbei.
Als sich die Krise noch auf die Länder am Rand der Euro-Zone beschränkte, hätte eine solche Ausweitung der effektiven Größe der EFSF vielleicht noch ausgereicht, um das Vertrauen wiederherzustellen. Jetzt, wo die Krise systemisch geworden ist, ist es dafür vielleicht zu spät. Die Allianz hat unseren ursprünglichen Vorschlag auf die Spitze getrieben – und ist damit zu weit gegangen. 2000 Mrd. Euro Kapazität ist nicht realisierbar.
Jede Ausweitung der EFSF muss daran gemessen werden, ob sie den Rettungsfonds in die Lage versetzt, Italien, das Auge des Sturms, zu stützen. Die Verschuldung des privaten Sektors ist in Italien gering, daher ist das Land grundsätzlich solvent, solange es zu vernünftigen Zinsen Geld leihen kann. Wenn die momentan untragbar hohen Zinsen nicht bald gesenkt werden, ist die Euro-Krise nicht mehr beizulegen. Eine stark gehebelte EFSF schafft das nicht, vor allem, wenn man sie rein als Finanzinstrument begreift, wie die Allianz dies getan hat.
Je niedriger der Anteil der EFSF-Garantien, desto höher ist die Kapazität. Theoretisch. Wenig sinnvollen Schätzungen zufolge lassen sich die 250 Mrd. Euro freie Kapazität der EFSF (nach Rekapitalisierung der Banken) auf bis zu 2500 Mrd. Euro hebeln, wenn der Kapitalschutz auf zehn Prozent reduziert wird. Das ist Unsinn. So eine minimale Garantie wird Gläubiger, die sechs Prozent von Italien verlangen, wohl kaum dazu bewegen, ihre Zinserwartungen zu senken, zumal ein derart großer Hebel auch das Risiko für die EFSF selbst erhöhen würde. Wenn der Rettungsfonds die Fremdkapitalkosten nennenswert senken will, muss er höhere Kapitalgarantien aussprechen, vielleicht für ein Drittel oder die Hälfte.
Aus rein finanzieller Sicht ist die EFSF-Garantie nicht besonders glaubwürdig. Jedes Land der Welt, das EFSF-Garantien in Anspruch nehmen würde, wenn Italien zahlungsunfähig wird, würde in diesem Fall auch andere Länder und Banken in ernste Schwierigkeiten bringen. Die wirtschaftlichen Verflechtungen in Europa sind einfach zu eng. Es wäre schwer, die Investoren davon zu überzeugen, dass die EFSF-Garantien auch tatsächlich eingehalten würden.
Je mehr der Rettungsfonds seine Kapazität auslastet, desto stärker wächst das Risiko für die Länder, die hinter der EFSF stehen. Frankreichs AAA-Rating, das angesichts der Rezession und des angeschlagenen Bankensystems bereits bröckelt, könnte fallen, wenn das Risiko von EFSF-Verlusten deutlich steigt. Das würde den Rettungsfonds lähmen, und die EZB müsste einspringen.
Die EFSF verteilt das Risiko auf die Mitgliedsstaaten, und die meisten von ihnen haben kaum noch Geld in der Staatskasse. Deshalb ist auch die Schlagkraft der EFSF begrenzt. Eine Unterstützung durch die EZB verteilt das Risiko im gleichen Verhältnis auf die Mitgliedsländer, aber da die Notenbank auf künftige Seigniorage zählt, kann sie das Risiko auch über die Zeitachse verteilen und in die Zukunft strecken. Doch die Möglichkeit, die Rolle der EZB auszuweiten, bleibt vorerst tabu.
Als Finanzinstrument wird eine gehebelte EFSF nicht funktionieren, aber gar nichts zu unternehmen ist eben auch keine Lösung. Vielleicht funktioniert der gehebelte Rettungsfonds als politisches Instrument, zumindest vorübergehend.
Niemand glaubt unseren Politikern, wenn sie jetzt sagen, Italien sei zahlungsfähig. Das sagen sie auch über Griechenland. Glaubwürdiger wäre es, die EFSF als Erstausfallversicherung darzustellen, als politisches Signal, dass die EU ihren Worten Taten folgen lässt.
Im Mikrofinanzierungsmarkt werden bei einigen der ärmsten, risikoreichsten Schuldner die Ausfallquoten niedrig gehalten, indem eine Reihe solcher Schuldner gemeinsam für die Rückzahlung der Kredite einstehen müssen. Dadurch sehen sich die Schuldner gegenseitig auf die Finger und es wird ein gewisser Gruppenzwang aufgebaut. Genau so sollte auch eine gehebelte EFSF verkauft werden. Wenn 16 Länder für eventuelle Verluste Italiens geradestehen müssen, dann werden die Gläubiger davon ausgehen, dass selbst ein Berlusconi an die kurze Leine genommen wird. Letztlich wird es erforderlich sein, die Rolle der EZB auszuweiten. Dies politisch durchzusetzen, könnte leichter gehen, wenn zunächst die EFSF etwas gehebelt wird – selbst wenn das schiefgeht. So wird nämlich deutlich, dass es keine andere vernünftige Alternative gibt, um die Euro-Krise beizulegen.