Startseite > MarktWirtschaft > MarktWirtschaft: Aktien und Immobilien als Inflationsschutz – Anatomie eines Missverständnisses (I)

MarktWirtschaft: Aktien und Immobilien als Inflationsschutz – Anatomie eines Missverständnisses (I)

14. Februar 2012

Es gibt Artikel, die fallen einem als Autor schwer zu schreiben. Dieses Stück ist so eines. Denn einerseits finde ich die Angst vieler deutscher Anleger vor Aktien bedauerlich, ja sogar gefährlich und rate immer zu einem ordentlichen Aktienanteil in der Vermögensplanung. Andererseits kaufen viele Investoren aber Aktien aus den falschen Gründen. Zum Beispiel, weil ihnen die ganze Eurokrise und die Notenbankmaßnahmen nicht geheuer sind und sie Angst vor einer hohen Inflation haben. Wir leiten dann aus der Tatsache, dass Aktien sehr langfristig hohe reale (also inflationsbereinigte) Renditen eingebracht haben – im Schnitt 5,4 Prozent pro Jahr weltweit in den letzten 110 Jahren – ab, dass es eine clevere Idee sein müsste, Aktien zu kaufen und dann gelassen möglichen Inflationsschüben entgegen sehen zu können. Sind ja Sachwerte. Unsinn!

Die Rechnung hinkt an zwei Stellen. Erstens gibt es im gesamten Finanzmarkt keinen derart stabilen Zusammenhang wie dem zwischen Aktien und der Inflation – und zwar in dem Sinne, dass eine stark steigende Inflation katastrophal für die Aktienmärkte ist, und das nominal wie real. Zweitens sind wir gerade in Deutschland geprägt von der Erfahrung zweier Währungsreformen, durch die man in der Tat mit Aktien gut „segeln“ konnte. Solche Währungsreformen mit Sparerenteignung sind aber bei globaler Betrachtung in Industrieländern ein Extremereignis, mit dem man sehr vorsichtig argumentieren sollte und dem ebenfalls desaströse Kursentwicklungen vorangegangen sind. Die Angst vor einer Inflation, der Wunsch nach realem Kapitalerhalt ist meiner Beobachtung nach allerdings derzeit das wichtigste Investitionsmotiv in Deutschland, vor allem in der „Erbengeneration“ zwischen 40 und 60. Meist landet man bei Immobilienkäufen (dazu in einigen Tagen mehr). Seltener bei Aktien.

Wer indes Aktien unter dem Aspekt des Inflationsschutzes kauft, sollte sich darüber im Klaren sein, dass er auf dem Weg zum gewünschten Inflationsschutz Nerven aus Stahl brauch und mit zwischenzeitlich sehr hohen Kursverlusten rechnen muss. Oder, in der Ableitung: Wer wirklich mit einem Inflationsschub rechnet, wird, sofern er Recht behält, nochmal deutlich günstigere Kaufkurse sehen. Dennoch sind sich selbst Fondsgesellschaften und -manager nicht zu schade, mit dem Kaufargument „Aktien = Inflationsschutz“ zu werben, weil sie genau wissen, damit den Nerv vieler Anleger zu treffen.

Die Analysten der Credit Suisse und der London Business School haben die Zusammenhänge noch einmal über einen extrem langen Betrachtungszeitraum untersucht – nämlich über 112 Jahre und für die 19 wichtigsten Länder der Erde. So etwas nenne ich belastbar.  Zwischen den Zeilen ihres Investment Yearbooks lassen sie durchblicken, dass ihnen die Untersuchung selbst ein bisschen unangenehm ist, denn es gebe unzählige Studien aus den letzten 40 Jahren, die ja alle zum gleichen Schluss gekommen seien – Inflation ist Gift für Aktien.

Aus einer einfachen Regressionsanalyse zwischen den realen Aktienerträgen eines jeden Jahres in jedem Land und der Inflationsrate seit 1900 errechnen sie einen Korrelationskoeffizienten von Minus 0,52. Dieses Fachchinesisch sinngemäß aufgeklärt: Bei einem Korrelationskoeffizienten von +1 gäbe es einen direkten, linearen Zusammenhang zwischen realen Renditen mit Aktien und den Inflationsraten, bei  einem Korrelationskoeffizienten von -1 wäre es genau umgekehrt, also führten hohe Inflationsraten immer zu einem realen Verlust. Diese Zahl sagt also aus, dass Inflationsraten und reale Aktienmarktrenditen stark negativ korreliert sind.

Man muss dazu auch keine komplexe Analyse bemühen, sondern sich einfach ein bisschen Börsengeschichte anschauen: Inflationsschübe in den USA um das Jahr 1918, Ende der 40er Jahre und dann wieder zwischen 1965 und 1982 waren grottige Aktienmarktphasen. So verliefen die beiden „Jahrzehnte der Inflation“ – die 40er- und 70er-Jahre – für Anleger in den US-Aktienmarkt enttäuschend. In den 40ern legte der Dow-Jones-Index 2,7 Prozent pro Jahr zu, in den 70ern sogar nur 0,5 Prozent. Dabei waren die 40er-Jahre das Jahrzehnt mit dem real höchsten US-Wirtschaftswachstum seit dem Beginn des Jahrhunderts – und auch in den 70er-Jahren wuchs die US-Wirtschaft allen Unkenrufen von der „Stagflation“ zum Trotz real im Schnitt um 3,0 Prozent pro Jahr. Der Rückgang der Inflation wiederum war Triebfeder für den Superbullenmarkt der 80er und 90er Jahre.

Machen wir es noch plastischer: Man muss nur einfach über die relative Attraktivität von Aktien im Vergleich zu Anleihen nachdenken, wenn die Teuerung kommt. Klettert die Inflation auf, sagen wir, acht Prozent pro Jahr in der Eurozone, wird das die nominale Rendite von Bundesanleihen ebenfalls in die Höhe treiben. Käufer von Bundesanleihen würden dann dem Bund mutmaßlich nur dann die Stange halten, wenn er ihnen 11 oder 12 Prozent Zinsen pro Jahr für zehnjährige Anleihen bietet. Schließlich wollen sie für die Inflation entschädigt werden nominal und müssten zudem das Risiko einer weiter steigenden Inflation tragen.

Warum? Die Investoren wissen, dass Anleihen noch inflationssensitiver sind als Aktien (wenngleich bei weitem nicht so, wie man intuitiv vermuten könnte, für kurzlaufende Staatsanleihen beträgt der Korrelationskoeffizient zwischen Inflationsrate und realer Rendite über 112 Jahre „nur“ -0,62 vs. -0,52 bei Aktien!). Erhält man aber wieder elf bis zwölf Prozent Rendite mit Bundesanleihen, sinkt die Attraktivität der Aktien, deren Kurse erst einmal so weit sinken, bis Bewertung und Dividendenrenditen wieder in einem erträglichen Verhältnis zur risikolosen Anleihenrendite stehen. Es liefe vermutlich im Szenario mindestens auf eine Kurshalbierung des DAX hinaus – nominal.

Weil die Forschung diesen Effekt – kommt die Inflation, brechen Aktien ein – längst hinreichend untersucht hat, ist man schon einen Schritt weiter und forscht, warum denn das so ist. Dafür gibt es eine ganze Menge Erklärungen, und das blöde ist: Sie stimmen irgendwie alle.

  • Wir stellen uns einen Anstieg oder Abfallen der Inflation als schleichenden Prozess vor. Tatsächlich aber fluktuieren Inflationsraten gewaltig von Jahr zu Jahr oder gar Monat zu Monat, wenn es denn soweit ist. Diese Fluktuation erhöht die Unsicherheit bei Investoren, sie wollen, wenn sie schon ins Risiko gehen, dafür dann auch saftig belohnt werden (was im Beispiel von acht Prozent Inflation, zwölf Prozent Anleihezins nur der Fall wäre, wenn Aktien nicht günstig, sondern schlicht brutal unterbewertete Schnäppchen wären, also etwas der ganze DAX nur mit dem fünf- bis sechsfachen seiner laufenden Gewinne bewertet wäre und zehn Prozent Dividendenrendite böte). Unrealistisch? Gehen Sie dazu mal in eine gut sortierte Universitätsbibliothek (oder Ihrem Speicher 🙂 ) ins Archiv und nehmen ein Capital-Magazin aus Mitte der 70er Jahren zur Hand und schauen in den Statistikteil. Deutsche Standardwerte waren zu Kurs-Gewinn-Verhältnissen von fünf bis sieben zu haben und boten tatsächlich zehn Prozent Dividendenrendite. Es ging trotzdem weiter jahrelang abwärts.
  • Hohe Inflationsraten nagen freilich nicht nur am „Kurs“ in der Formel des Kurs-Gewinn-Verhältnisses, sondern auch am Gewinn, denn sie gehen oft einher mit verunsicherten Verbrauchern, verunsicherten Konzernen und Gewinneinbrüchen, einer stark fluktuierenden Angebot und Nachfrage, steigenden Rohstoffpreisen. Ob sich Investitionen rechnen, wird schwerer planbar, Fremdkapital aufnehmen oder alte Schulden refinanzieren plötzlich sehr teuer. Ein Anstieg der Kapitalmarktzinsen auf über zehn Prozent über einen längeren Zeitraum würde eine Menge Firmen kurzerhand in die Pleite treiben
  • Hohe Inflationsraten sorgen dafür – so einfach es klingen mag – dass der allgemeine Wohlstand sinkt und die Risikoaversion steigt. Wenn es wirklich „zur Sache“ geht mit der Teuerung, ist der Kauf einer unterbewerteten Apple-Aktie oder eines DAX-Indexfonds vermutlich tatsächlich das letzte, woran man denkt.

Vor dem Hintergrund der hieb- und stichfesten Sachlage bin ich auch immer wieder erstaunt, wenn Analysten oder Fondsmanager argumentieren, eine bestimmte Aktie könne die steigende Inflation „gut weitergeben“ an Verbraucher. Nahrungsmittelkonzerne oder Versorger fallen dann oft als Beispiele.  Bemüht werden dann aber empirisch bestenfalls die letzten 20 Jahre (im Sinne von: Was lief gut, wenn die Inflation anzog), einer Phase, in der die Notenbanken Inflation in den meisten Industrieländern und selbst den meisten Schwellenländern sehr gut im Griff hatten.  Die Studie der Credit Suisse über die letzten 112 Jahre legt indes nahe, dass die realen Erträge von Aktien bei Inflationsraten jenseits der Marke von fünf Prozent „kippen“, und zwar richtig.

Ich sehe die zweifelnden Blicke mancher Leser nun vor mir. „Aber wenn man 1950 eine Coca-Cola-Aktie gekauft hätte oder 1899 zum Börsengang Siemens, dann wäre man trotzdem heute ein König!“ – Ja, das stimmt. Denn tatsächlich muss man als Halter von Bargeld auf Dauer auch ohne Währungsreform eine saftige Entwertung hinnehmen, der US-Dollar hat seit 1900 zum Beispiel 96,2 Prozent an Kaufkraft verloren. Und es ist nicht unwahrscheinlich, dass sich ein Land wie die USA auf Dauer über eine höhere Inflation als bisher kalt entschulden will.

Die Renditen von Aktien sind aber nicht deshalb so lukrativ, weil sie einen tollen Inflationsschutz auf kurze und mittlere Sicht böten. Sondern weil man auf lange Sicht eine hohe Aktienrisikoprämie einsackt, mit der man für das ganze Chaos, die inflations- und krisenbedingten Einbrüche um bis zu 90 Prozent, fluktuierende Bewertungen zwischen KGVs von 5 oder 50, zermürbende Seitwärtsbewegungen über 15 Jahre, Weltkriege, Beinahe-Nuklearkriege belohnt wird. Die Betonung liegt auf lange Sicht, also 20 Jahre und mehr. Umgkehrt wird daher ein Schuh draus: Die langfristigen (realen) Renditen sind deshalb so hoch, weil ich eben genau das Risiko des Schlitten fahrens den Berg hinunter tragen muss in inflationären Phasen.

Das heißt auch (ich weiß, ich wiederhole mich): Wer Aktien als Inflationsschutz kauft oder gar als Sicherung gegen Währungsreformen, muss damit rechnen, unterwegs einen Höllenritt hinnehmen zu müssen. Darüber lohnt es sich ex ante nachzudenken, um im Fall der Fälle nicht kopflos zu werden. Und gilt im übrigen gleichermaßen für Immobilien. Wer davon überzeugt ist, ein Inflationsschub stehe vor der Tür, sollte sein Pulver trocken halten und wird noch fantastische Kaufgelegenheiten im Aktienmarkt sehen.

Wer sich über „su ne Driss“, wie der Rheinländer sagt, keinerlei Gedanken machen will, hört nicht nur weg, wenn er beim Smalltalk mal wieder hört, Aktien seien ein toller Inflationsschutz. Das ist eine bedingt durch zwei Währungsreformen sehr deutsche und vor allem irreführende Behauptung, die durch Wiederholung der Marketingabteilungen der  Fondsgesellschaften nicht richtiger wird. Er setzt auch einfach auf ein gut gemixtes Depot, in dem Aktien, Anleihen und als Beimischung Gold vertreten sind, möglichst auch über verschiedene Währungsräume.  Denn nur das rüstet für jedes Szenario zwischen übler Inflation und auch einer Deflation – ein Szenario, das zu Unrecht kaum eine Rolle spielt in den Überlegungen vieler Investoren.

Wer jedenfalls unter 60 ist und auf das Geld ein paar Jahre verzichten kann, sollte sich immer gute Aktien oder Aktienfonds ins Depot packen und zurück lehnen. 30 Prozent Aktienanteil tun dann selbst im Falle eines weiteren Crashs, es wäre dann der dritte binnen gut zehn Jahren, niemandem übel weh: Unterstellen wir eine Vermögensverteilung von 70 Prozent in sichere Zinspapiere und 30 Prozent in Aktien, so beträgt der Verlust bei  einem Kurseinbruch am Aktienmarkt um 50 Prozent binnen zwei Jahren bereinigt um mögliche Zinsen und Dividenden im aktuellen Umfeld vielleicht 10 Prozent (bezogen auf das Gesamtvermögen). Und dürfte dann eine schöne Nachkaufgelegenheit sein, in der man weitere 10 Prozent aus Zinsanlagen in den Aktienmarkt herüberschiebt.

In den kommenden Tagen stellen wir hier die Untersuchungsergebnisse für andere Vermögensklassen vor. Wer Lust hat, sich tiefer einzulesen, dem sei das Jahrbuch der Credit Suisse empfohlen. Eine gute Zusammenfassung der bisherigen Studien bietet dieses Artikel von John Tatom.

===

NACHTRAG vom 10. Oktober 2012: Leider bin ich erst vor einigen Tagen auf einen sehr schönen und ausführlichen Artikel aus dem Jahr 1977 gestoßen, der schon damals treffend analysiert hat, warum die Sache mit den Aktien als Inflationsschutz  nicht funktioniert. Autor ist – Warren Buffett! Bitte sehr:

http://features.blogs.fortune.cnn.com/2011/06/12/warren-buffett-how-inflation-swindles-the-equity-investor-fortune-1977/

%d Bloggern gefällt das: