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Die Kolumne – Und wenn die Krise zu Ende ist?

24. Februar 2012

Der griechische Kollaps ist vorerst abgewendet, die Risikoprämien für Staatsanleihen sinken, und der Konjunkturabsturz scheint gestoppt. Zeit für einen Ortungsversuch in der Dauerkrise.

Wenn sich die EU-Chefs nächste Woche zum wahrscheinlich – wer zählt das noch – 879. Euro-Rettungsgipfel treffen, wagt kaum einer noch zu prophezeien, dass das jetzt aber einer der letzten ist. Zu oft hieß es nach solchen Spektakulärtreffen, dass das jetzt der große Schritt gewesen sei. Zu oft kam danach die noch größere Katastrophe, wie nach dem Juli-Gipfel 2011.

Dabei könnte es diesmal durchaus anders kommen. Zumindest hat es lange keinen Gipfel mehr gegeben, der zu einer Zeit so relativ ausgeprägter Entspannung an den schreckhaften Märkten startete; bei dem die Chancen auf ein vorläufiges Krisenende so gut standen. Was nicht unbedingt am Genie der Regierungen liegt. Die Frage ist nur, ob die neue Zuversicht schon so stabil ist, dass sie neue Schocks überleben würde. Ein Ortungsversuch in der Dauerkrise.

Woher die neue Gelassenheit?

Seit Anfang Januar sind die Zinsen auf Italiens zehnjährige Staatsanleihen von panischen gut sieben auf 5,5 Prozent gesunken – und damit fast wieder auf das Niveau, das galt, bevor im Juli 2011 die Vertrauenskrise an den Märkten eskalierte. Ähnliches gilt für Spanien, wo die Renditen sogar niedriger sind als damals.

Selbst zwischenzeitliche Panikattacken in einem Land sorgen derzeit offenbar nicht gleich für Ansteckung wie noch im zweiten Halbjahr 2011, sagt Holger Schmieding, Chefökonom der Berenberg Bank. Als kürzlich Portugals Risikoprämien binnen Tagen um fünf Punkte hochschnellten, fielen Italiens Zinsen weiter. Daran änderte nicht einmal das jüngste Griechenland-Drama etwas.

Woher die neue Gelassenheit? Von der Antwort hängt ab, ob die Wirkung von Dauer ist. Im deutschen Kanzleramt würde man da gern glauben machen, die Wende sei mit Angela Merkels glorreichem Fiskalpakt vom Dezember gekommen; oder durch unseren Druck auf Italiener und Spanier, noch mehr zu kürzen. Eher unwahrscheinlich, sagen die, die näher an den Märkten sind. Nicht nur, weil niemand ernsthaft glaubt, dass der neue Pakt ähnliche Krisen verhindern würde. Als der viel gelobte Mario Monti an die Regierung kam, änderte das an den Zinsen erst mal gar nichts.

Entscheidend war mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit, dass die Europäer auf ganz anderem Weg dafür sorgten, die verselbstständigte Panikspirale (erst mal) zu stoppen: mit mehr oder weniger versteckten Garantien gegen eine Ausweitung und entsprechende Serienpleiten – ob über stetig höhere Rettungsfondsmittel, den Anruf beim Internationalen Währungsfonds oder billiges Geld der Notenbank für die Banken, die damit Staatsanleihen kaufen konnten.

Für die These spricht, dass Italiens Zinsen an exakt dem Tag erstmals abrupt zu sinken begannen, als die Notenbanken Ende November massiv am Euro-Dollar-Markt investierten, um zu zeigen, dass sie bereit sind, ausufernde Marktwellen zu stoppen. Ähnlich wichtig sei gewesen, dass die bis dahin Hilfe bremsenden Deutschen zustimmten, dem IWF Geld zur Euro-Rettung zu geben, so Schmieding. Wenigstens auf Umwegen. Ein Signal für panische Anleger.

Für den Rest sorgte der neue EZB-Chef Mario Draghi, indem er statt den Staaten halt den Banken bis zu 500 Mrd. Euro zum Billigzins anbot. Womit die offenbar (auch) Staatsanleihen zu ordentlichen (Risiko-)Zinsen kauften. Was zu den seither sinkenden Anleihezinsen beitrug.

 

Arg verquast haben Europas Krisenmanager so irgendwie doch gemacht, was Kritiker lange forderten: dass es in so einer Vertrauenskrise eine letzte Instanz geben muss, die beruhigend verkündet, im ausartenden Panikfall alle Anleihen zu kaufen – nicht um das Geld wirklich auszugeben, sondern um Panik gar nicht aufkommen zu lassen. Weil so den Anlegern die kollektiv tückisch selbsterfüllend wirkende Angst genommen wird, ihr Geld zu verlieren.

Das Groteske ist: Die einfache Lösung wäre gewesen, dass das die Europäische Zentralbank macht. Was Deutschlands eilende Stabilitätsvertreter nicht wollten. Mit dem Ergebnis, dass als Ersatz jetzt eine Art Rettungsflickenteppich hermusste: ein Mix aus finanztechnisch heikel gehebelten Rettungsschirmen, panisch vorgezogenen Dauerschirmen, Bettelgeldern vom IWF und niedrigen Zinsen für bettelarme Banken.

Ein eher absurder Tausch, bei dem fraglich ist, ob es wirklich schlimmer gewesen wäre, die EZB hätte einmal klargemacht, notfalls als Lender of last resort zu intervenieren, als Banken jetzt mit Billiggeld zu beschenken, was ordnungspolitisch ja auch nicht so toll ist. Und sich ganz nebenbei von der guten Laune von IWF-Beitragszahlern wie China, Brasilien und den USA abhängig zu machen.

Im Moment scheint das Flickenkonstrukt auszureichen, um an den Märkten den Glauben wachsen zu lassen, dass es keinen Grund mehr zu Panik gibt und italienische Staatsanleihen sicher sind. Da kann aus der fatalen Automatik ständig wachsender Angst ein sich ebenso verstärkender Vertrauenszuwachs werden, sagt Schmieding: Bei sinkenden Zinsen fällt es gleich viel leichter, die Staatsfinanzen zu sanieren. Die Anleger machen außerdem gerade die Erfahrung, dass es lohnt, bei hohen Zinsen (und entsprechend niedrigen Kursen) italienische Anleihen zu kaufen, wenn der Zinstrend so schön nach unten und der Kurstrend nach oben geht. Finanzmärkte reagieren halt in beide Richtungen prozyklisch.

Die Flickenlogik bedeutet allerdings auch, dass das Schicksal der Euro-Gemeinschaft jetzt von ziemlich vielen Leuten abhängt – und schneller löchrig werden könnte. Was die Glaubwürdigkeit der Garantien nicht unbedingt steigert. Sollte die Euro-Zone plötzlich doch mit einer unkontrollierten Pleite Griechenlands konfrontiert sein, könnte der Schock so groß sein, dass die zarte Zuversicht der ersten Wochen 2012 kaum reichen würde. Zumal die Troika wie benommen daran festhält, den Griechen zur Lösung einen Austeritätskurs zu diktieren, der nach aller Erfahrung mehr Depression als Schuldenabbau bringt, wie sich in Griechenland jetzt Monat für Monat bestätigt.

Die nachlassende Panik kann am Ende reichen, den kommenden EU-Gipfel zu einem der letzten Krisengipfel werden zu lassen. Darauf zu vertrauen wäre allerdings fahrlässig. Besser wäre, die Brandmauern zur Sicherheit noch ein Stück höher und dicht zu machen – und im Zweifel die Rettungsfonds aufzustocken, die Notenbank als wirklichen Lender of last resort wirken zu lassen und den Griechen ein richtiges Aufbauprogramm zu finanzieren, als Geld in der Depression zu verbrennen. Die vergangenen Wochen haben gezeigt, dass das viel schneller gegen die Krise wirkt. Dann müssen wir, wer weiß, am Ende womöglich keinen Cent zahlen.

Email: fricke.thomas@guj.de

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  1. hanns
    27. Februar 2012 um 15:38

    Thomas Fricke :
    Ich würde vermuten, dass Italiens Zinsen dann nicht so enorm hoch liegen werden.

    Aber so enorm hoch liegen Italiens und Spaniens Zinsen im historischen Vergleich gar nicht, es gab auch Zeiten, da waren 12 % nicht ungewöhnlich. Auch in den 90ern lief es für Spanien auch mit hohen Zinsen noch ganz prächtig. Erst wenn ein „Tugend“wächter hinter einem steht und man die Kontrolle über die eigene Währung verloren hat, wird das zum Problem …

  2. 27. Februar 2012 um 13:46

    „und im Zweifel die Rettungsfonds aufzustocken, die Notenbank als wirklichen Lender of last resort wirken zu lassen und den Griechen ein richtiges Aufbauprogramm zu finanzieren, als Geld in der Depression zu verbrennen.“

    Griechenland kann derzeit nicht gerettet werden. Richtig wäre ein vorübergehender Ausstieg aus der EuroZone (in der EU natürlich verbleiben), Einführung der Drachme und knallhartes Wirtschaften. Wenn Gr sich dann anstrengt, können sie auch zurück in die Euro-Zone!

  3. Hans Prömm
    26. Februar 2012 um 23:46

    Sie schreiben: „Im Moment scheint das Flickenkonstrukt auszureichen, um an den Märkten den Glauben wachsen zu lassen, dass es keinen Grund mehr zu Panik gibt und italienische Staatsanleihen sicher sind.“ Und was wird passieren, wenn die Banken das EZB-Geld zurückzahlen müssen? Was meinen Sie, wie werden dann die Kurse (und die Zinsen) italienischer Staatsanleihen stehen?
    Und noch besser: „Was die Glaubwürdigkeit der Garantien nicht unbedingt steigert. Sollte die Euro-Zone plötzlich doch mit einer unkontrollierten Pleite Griechenlands konfrontiert sein, könnte der Schock so groß sein, dass die zarte Zuversicht der ersten Wochen 2012 kaum reichen würde.
    HERR FRICKE! Haben Sie etwa noch Zweifel daran, daß die Pleite Griechenlands unkontrolliert ablaufen wird?? Zu kontrollieren wäre nur die Daueralimentation einer entmündigten Provinz, aber das wollen selbst die Griechen nicht. Wachen Sie bitte endlich auf!

    • 27. Februar 2012 um 11:56

      Sehr geehrter Herr Prömm, es kommt einfach darauf an, wie man die Krise interpretiert. Wenn man zu der Erkenntnis kommt, dass sich die Angst an den Finanzmärkten in so einer (im Kern berechtigten) Krise prozyklisch verselbständigt, die Märkte zunehmend dysfunktional werden und das Ergebnis – die Risikoprämien – in zunehmendem Missverhältnis zu realen Verhältnissen steht (warum zahlt Deutschland mit 80 Prozent Staatsverschuldung negative Renditen und Spanien mit 60 Prozent teils absurde Risikoprämien?), kommt es eben erstmal darauf an, diese Spirale zu stoppen und wieder für funktionale Märkte zu sorgen. Wenn die Märkte dann wieder vernünftiger werden, werden wir sehen, wo die Renditen dann stehen. Ich würde vermuten, dass Italiens Zinsen dann nicht so enorm hoch liegen werden.

  4. popper
    25. Februar 2012 um 18:41

    Der immer wiederkehrende Hinweis, man müsse die Märkte beruhigen ist nicht wirklich zielführend. Die sogenannten Märkte tun das, was sie immer tun, sie spekulieren und rennen jedem Erfolg versprechenden Trend wie wild hinterher. Solange der politische Wille nicht vorhanden ist, makroökonomische Standards zu respektieren und nicht einem Finanzmarkt ständig aus der Patsche zu helfen, der den ganzen Schlamassel angerichtet hat, wird es kein Ende geben.

  5. R.B.
    25. Februar 2012 um 12:03

    Sg Hr. Fricke,
    Ich darf Ihren Satz ergänzen:
    „Besser wäre, die Brandmauern zur Sicherheit noch ein Stück höher“ und
    noch ein Stück höher und
    noch ein Stück höher und
    noch ein Stück höher und
    ..
    zu machen, bis es keine Steine mehr gibt oder die Mauer einstürzt.

    • 27. Februar 2012 um 12:01

      Sehr geehrter R.B., da gilt ähnliches wie oben bei Herrn Prömm. Es kommt einfach darauf an, wie man die Krise interpretiert. Ich denke, es spricht eine Menge für die Erklärung, dass es um eine für Finanzkrisen typische prozyklische Ausbreitung von Anlegerpanik geht (die, wie gesagt, im Kern ja einen Grund haben mag, sich aber irgendwann deströs verselbständigt). Wenn das so ist, ist es ein sinnvoller Weg, Brandmauern zu ziehen, die eine weitere Ausbreitung verhindern. Die Sache ist dann etwas anders, als es Ihr Kommentar suggeriert: in der aktuellen Krise wurde stets sehr lange gewartet, bis man dann am Ende Mauern hochzog, die immer ein Stück zu knapp bemessen waren. Das ist dann grotesk: dann hat man Mauern gebaut, ohne das Übergreifen der Flammen zu verhindern, und wundert sich dann, dass es trotz der Mauern nicht aufhört zu brennen – und muss dann die nächste Stufe hochziehen. Deshalb meine ich, dass es besser gewesen wäre, die Mauern von Anfang an etwas höher zu bauen. Wenn die Krisendiagnose stimmt, wäre die Krise heute dann schon längst gestoppt – und wir hätten womöglich weit weniger Mauern bauen müssen.

  1. 27. Februar 2012 um 08:49
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