[MarktWirtschaft] Prügel für die Falschen
Nachdem die Online-Kollegen der FTD kurz vor Mitternacht auf Facebook die Herabstufung der Bonität Griechenlands auf die Stufe „Selective Default“ vermeldet hatten, entstand dort schnell eine rege Diskussion. Viele Nutzer äußerten Unmut über Ratingagenturen. Zu Unrecht.
Das schöne am Social-Media-Portal Facebook ist, dass man einen direkten und ungefilterten Eindruck davon bekommt, was die FTD-Follower bei Facebook derzeit umtreibt. „Eilmeldung: Die Welt stuft die Rating-Agenturen auf „nutzlosen Bullsh*t“ herunter!“ kommentierte heute Nacht ein Nutzer die Meldung über die Herabstufung Griechenlands – und erntete dafür von den übrigen FTD-Fans 34x ein „Gefällt mir“. Generell spricht blanke Wut aus vielen Kommentaren über Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch.
Das zeigt, dass Politiker und Notenbanker mit ihren Schelten einen guten Job gemacht haben. Aber ist die Wut berechtigt? Zwar sind inzwischen die Gerüchte weitgehend verstummt, die Ratingagenturen seien Teil einer angloamerikanischen Verschwörung gegen Europa und den Euro – diese These war noch bis zur Herabstufung der USA Anfang August häufig zu hören und zu lesen. Dennoch ist der Ärger weiter groß. Dabei sind es vor allem die Nutzer der Urteile der Ratingagenturen, die die Auguren so mächtig gemacht haben.
- So kettet sich die EZB an das Urteil, indem sie bestimmte Mindestbonitätsnoten vorschreibt, die Wertpapiere mindestens haben müssen, damit sie die Notenbanker als Pfand akzeptieren.
- Bei der Ermittlung von Solvabilitätskennziffern von Finanzunternehmen spielen Ratings der gehaltenen Wertpapiere eine große Rolle
- Viele Investmentfonds stützen sich auf Ratingurteile, indem sie Anlegern zusichern, nur Wertpapiere ab einer gewissen Bonität ins Fondsvermögen aufzunehmen oder Wertpapiere minderer Bonität nur bis zu bestimmten Höchstgrenzen
- Auf die Abhängigkeiten wurde noch einer „draufgesetzt“, als man sich auf EU-Ebene verständigte, die Rettungsfonds EFSF müsse mittels Garantien so konstruiert werden, dass er auf jeden Fall das Rating „AAA“ erhält, um günstig Kapital aufnehmen zu können. Das fand ich jenseits der gebotenen Logik, es genau so zu machen, besonders bemerkenswert. Bei Schelten für Ratingagenturen und Forderungen, deren Macht müsse beschnitten werden, kann man sich als Politiker jedenfalls sonst des Applauses sicher sein. Aber erinnert die EFSF-Konstruktion in ihrem Ansatz nicht fatal an die Praxis in den USA, hypothekenbasierte Wertpapiere genau so zu schneidern, dass sie „AAA“ sind?
Die Forderung, man müsse sich von Ratingurteilen emanzipieren, fällt jedenfalls immer dann, wenn diese Ratingurteile schmerzhaft sind. Dabei läuft dieser Prozess längst – die Akteure am Anleihenmarkt etwa haben die Griechenpleite längst eingepreist, und auch andere Harabstufungen hatten zuletzt kaum noch kursbeeinflussende Wirkung – und zudem gerät schnell in Vergessenheit, dass man Ratingagenturen jahrelang vorgeworfen hat, in den großen Firmenpleiten von Enron, Worldcom, Lehman und Co. nicht auf der Höhe gewesen zu sein und zu spät und zu lasch reagiert zu haben. Das wollen die Ratingagenturen nicht auf sich sitzen lassen und sind spätestens seit Beginn der Euro-Krise recht aggressiv unterwegs. Wie hätten’s denn nun gerne ihre Ratingagentur, zart oder hart?
Ich hätte sie jedenfalls gerne hart. Und ich glaube nicht, dass mehr Wettbewerb wirklich hilfreich wäre, denn auch neue Ratingagenturen können sich letztlich nur beim gleichen Datenmaterial bedienen wie die bestehenden. Und wenn es sechs oder sieben mehr oder minder gleichwertige Akteure in diesem Markt gäbe, würde sich vermutlich die Tendenz perpetuieren, bei unliebsamen Urteilen schlicht den Ratingauftrag zu kündigen und zur nächsten Ratigangentur weiterzuziehen.
Eine „Emanzipation von Ratingurteilen“ klingt gut und logisch, ist nur in der Praxis teuflisch. Was wäre wohl los, wenn der Manager eines Investmentfonds, der zusichert, 90% des Fondsvermögens in „AAA“ Staatsanleihen anzulegen, sich mal emanzipiert und bündelweise Ramschpapiere kauft – und die Sache geht in die Hose? Wie stünde die EZB da, wenn sie sich bei ihren Sicherheiten von Ratingurteilen emanzipiert und Staatsanleihen annimmt, die dann später ausfallen? Und wie darf man sich die Emanzipation beim Eigenkapital von Banken vorstellen – können dann Banken der Bafin oder EBA sagen: „Passen’s mal auf, wir haben hier Peripheriebonds, die sind nicht mehr so gut geratet, aber unsere Volkswirte und unsere Treasurer sagen: Das ist übertrieben, der Schuldner zahlt schon?“
Die Macht der Ratingagenturen, die ihnen die Akteure an den Finanzmärkten verliehen haben, ist schlicht ein Ergebnis des exponentiellen Wachstums der globalen Anleihenärkte, egal, ob es um Staats-, Firmenanleihen oder strukturierte Produkte geht. Kein normaler Mensch kann hier ohne einen „Filter“ wie dem eines Ratingurteils den Überblick behalten. Dabei entstehen mitunter ärgerliche Abhängigkeiten, dabei sind auch schlimme Skandale passiert wie etwa im Zuge der Subprime-Krise. Niemand darf sich blind auf Urteile verlassen oder herausreden, er habe eine vernünftige Prüfung an einer Ratingagentur delegiert.
Aber als Mindeststandards sind Ratingurteile gut und richtig. Und: Ratingagenturen haben in der Vergangenheit auch dazu beigetragen, dass ein vernünftiger Kapitalmarkt wie der klassischer Staats- und Firmenanleihen prosperieren kann, dass sich heute beispielsweise ein mexikanischer Autoreifenhersteller von Banken emanzipieren kann und bei indonesischen Investoren Geld aufnehmen kann, sie flankieren den so wichtigen Prozess des Risikotransfers, sie tragen bei zum Prozess der Globalisierung. Vor 30 Jahren gab es einen mikroskopisch kleinen Markt für Firmenanleihen in den USA, in den Schwellenländern und Europa quasi gar keinen. Kredit war Banksache, fertig. Ich fühle mich jedenfalls in einem System der Mindeststandards für Fondsmanager, Notenbanken und Bankenaufseher besser aufgehoben als in einem System, in dem man sich von unliebsamen Urteilen emanzipieren kann.
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Moin, Zustimmung. Man hat sich a) die Agenturen selbst ins Boot geholt und b) ersetzt ein Rating kein eigenes Research. Im Falle Worldcom und Enron lagen Fake-Zahlen vor, keine Chance, das zu entlarven, wenn man sie nicht selbst gefaked hatte.
Bei den Subprimepapieren liegt das Problem mE wieder anders, es werden/wurden diese Papiere einem rein quantitativen Rating unterzogen, also hauptsächlich basierend auf Warscheinlichkeiten. Das Emittenten-Ratings, im Gegensatz zu Länderratings, vom Auftraggeber bezahlt werden, erschwert die Sache zusätzlich.
Es gibt sicher einiges zu kritisieren, an den Agenturen, aber viele Äusserungen entsprechen Unkenntnis und/oder sind Ablenkungsmanöver von eigenen Fehlern.
Rant end….. 😉