Die Kolumne – Huch, wir sind Wirtschaftswunder
Deutsche Experten erklären dem Rest der Welt gerade erstaunlich selbstsicher unseren Erfolg. Dabei hatte damit vor ein paar Jahren gar keiner gerechnet. Eine Erinnerungshilfe.
Die Story klingt überzeugend. Während der Rest der Welt lange geschludert hat, sind wir durchs Tal der Tränen gegangen, haben uns angepasst, verzichtet – und rums sind die anderen in der Krise. Und bei uns ist der Boom da. Jetzt ist von dauerfetten Jahren die Rede, wie sie der frühere Sachverständigenchef Bert Rürup für die nächsten Jahre prophezeit. Oder vom zweiten Wirtschaftswunder, das uns unversehens ereilt hat. Und vom Vorbild: für alle, die nun kriseln.
Die Sache hat eigentlich nur einen ganz kleinen, aber blöden Schönheitsfehler: dass uns das Wunder keiner so richtig vorhergesagt hat. Zumindest nicht die, die das jetzt so märchenhaft erzählen. Im Gegenteil. Die Erklärung wirkt ein bisschen nachgereicht. Was wiederum zweifeln lässt, ob sie überhaupt stimmt – und wir dem Rest der Welt zur Nachahmung nicht gerade ziemlichen Quatsch empfehlen. Kleine Zeitreise.
Nörgelnde Propheten
Der Anfang vom Wunder lässt sich irgendwann auf den Herbst 2005 datieren. Seitdem wächst die Wirtschaft mit kleiner Pause kräftig. Seitdem gibt es erstmals wieder einen richtigen Aufschwung statt jährlich neue Meldungen über Pleiten und Jobverlagerungen. Seitdem ist die Arbeitslosigkeit um zwei Millionen gefallen.
Das kollidiert mit dem, was die Auguren zur Zeit dieser Wende noch prophezeiten. „Die deutsche Volkswirtschaft zeigt sich weiterhin in keiner guten Verfassung“, nörgelte der heutige Prophet der fetten Jahre Rürup noch im November 2005, damals als Chef des Sachverständigenrats: Daran werde sich bei einem Potenzialwachstum von einem Prozent „auch 2006 nichts ändern“. Ein Lamento, das da noch zum guten Ton deutscher Standortschimpfer gehörte.
Die Beschäftigung werde „in den kommenden Jahren bestenfalls stagnieren“, orakelte im November 2005 Jörg Krämer, damals Chefökonom der HVB, heute bei der Commerzbank – weil Angela Merkels Große Koalition, die damals gerade angetreten war, „durchgreifende Arbeitsmarktreformen nicht einmal erwogen“ habe. Jetzt werde der „Fluch der unterlassenen Reformen“ über uns kommen, versprach Krämer. Ähnlich klang’s bei Rürups Sachverständigen: Die Haushaltslage sei „desolat“, das geringe Wachstumspotenzial behindere „eine durchgreifende Erholung“.
Tolle Prognose: Im Jahr darauf folgten drei Prozent Wirtschaftswachstum – und (dadurch) das niedrigste Staatsdefizit seit vielen Jahren.
Nun könnte sein, dass einfach nach dieser Zeit, als Hartz IV längst in Kraft war, noch unabsehbare Reformen dazukamen, die erst den sagenhaften Boom brachten. Das Ding ist nur, dass es da nicht mehr viele gab. Kanzlerin Angela Merkel kündigte Ende 2005 im Gegenteil eine Reformpause an, nachdem sie mit ihrem Leipziger Parteitags-Reformeifer bei der Bundestagswahl bekanntlich nicht so richtig gut angekommen war. Nach 2005 habe es eigentlich keine großen Reformen mehr gegeben, räumt auch Rürup ein. Außer vielleicht die Rente mit 67. Nach Rangliste der OECD gab es seit 2007 nirgendwo sonst einen so stark nachlassenden Reformeifer wie in Deutschland. Keine Spur von durchgreifenden Radikalveränderungen.
So mancher verhinderte Prophet wird nun sicher erklären, dass Reformen – wie die vor 2006 – halt immer mit Verzögerung wirken. Was Ökonomen gern sagen, wenn sie etwas nicht so genau belegen können, aber gern würden, allerdings die Frage offenlässt, warum die Auguren dann nicht 2005 wenigstens so etwas wie einen Aufschwung in Aussicht gestellt haben. Und warum sie so lange noch das krasse Gegenteil vorhersagten.
Der Exportboom sei „eine Art Supernova, die dem Sterben des Sterns vorausgeht“, meinte noch im Februar 2007 Ifo-Chef Hans-Werner Sinn. Das einzige Rezept sei, den Arbeitsmarkt zu flexibilisieren – da war die Agenda 2010 schon umgesetzt. Offenbar nicht genug. Der Sachverständigenrat wollte Ende 2005 noch weniger Kündigungsschutz und neue Niedriglöhne. Sonst werde das mit dem Wachstum nichts. Und der sonst so bedächtige Chef des Instituts für Weltwirtschaft, Dennis Snower, befand, dass die Hartz-Reformen am Arbeitsmarkt gar nicht wirken könnten – weil die Anreize, Jobs aufzunehmen, dadurch „kaum verändert“ worden seien.
Diagnoseproblem mit Sinn
Noch im zweiten fetten Aufschwungjahr 2007 diktierte Absturzguru Sinn: „Der derzeitige Konjunkturaufschwung ist und bleibt nur ein Konjunkturaufschwung, der durch eine sich anschließende Flaute abgelöst werden wird.“ Leicht daneben.
Jetzt haben wir seit 2007 weder die Löhne wunschgemäß gesenkt noch den Kündigungsschutz gelockert oder Hartz IV herabgesetzt. Und Exportboom wie Aufschwung halten noch immer an. Lebhafter Boom statt sterbender Stern. Wie kam das?
Vielleicht war einfach die Diagnose falsch – und ist es damit auch der heutige Versuch, das neue deutsche Wunder nachträglich durch dieselben Reformen zu erklären, über deren völlige Unzulänglichkeit dieselben Experten vor ein paar Jahren noch theatralisch geschimpft haben.
Es spricht viel dafür, dass es bis 2005 zwar einiges an hilfreichen Reformen gab, Deutschland aber nicht so radikal wandelte, wie es heute erzählt wird. Gute deutsche Produkte und Exportbooms gab es vorher auch. Umgekehrt ist nach OECD-Urteil der Kündigungsschutz heute noch strikter als anderswo, zählen die Arbeitszeiten zu den kürzesten und sind die Lohnkosten immer noch spitze.
Wenn es dennoch ein Wunder gibt, zeigt das, dass besagte Standortfaktoren dafür gar nicht so wichtig sind. Dann muss es andere Gründe dafür geben, warum die deutsche Wachstumswelt just ab 2006 so anders auszusehen begann als vorher.
Vielleicht stand die deutsche Wirtschaft per se nie so schlecht da, wie sie in den Jammerjahren nach 2001 geredet wurde. Vielleicht lag die Wende dann mindestens so stark daran, dass die Kanzlerin mit dem Reformstopp auch mal für Stabilität beim Wirtschaften sorgte. Oder dass sie Ende 2005 ein Konjunkturpaket auflegte, um die Konjunktur überhaupt nach Jahren mal wieder anziehen zu lassen – ebenso wie 2009; während die Globalkonjunktur ab 2005 noch mal anzog und bei uns die Nachwehen der Einheit etwa am Bau ausliefen.
Seitdem wirkt bei uns ein Phänomen, das sich ergibt, wenn eine Wirtschaft wieder auf Wachstumskurs ist: dass sich Dinge gegenseitig verstärken – mehr Jobs für mehr Konsum sorgen, mehr Einkommen für höhere Bauinvestitionen, mehr Geld in den Betrieben für mehr Zukunftsausgaben und sinkende Arbeitslosigkeit für mehr Zuwanderung von Kräften.
Dann sollten unsere Experten jetzt allerdings auch aufhören, Spaniern, Italienern und anderen auf der Welt verklärt romantisierend zu erklären, dass sie nur so glorreich reformieren und verzichten müssen, wie wir das angeblich gemacht haben. Die deutsche Erfahrung bis 2005 lehrt eher, dass so was allein nicht reicht; was mittlerweile auch die Griechen berichten können – und dass unsere Experten über Wachstumspotenziale auch ziemlich viel Unsinn erzählen und vorhersagen können.
Email: fricke.thomas@guj.de
Hallo Thomas
Ein ausgezeichneter Artikel. Für mich im Fazit bleibt unterm Strich nur übrig dass wenn man mal in einer Position ist weiter oben, praktisch einen Persilschein und Narrenfreiheit hat soviel Unsinn zu verzapfen wie man will.
Das Motto der meistens ist eben:
Absolut sicheres Auftreten bei völliger Ahnungslosigkeit.
Walter Fricke
http://www.1star1.com