Startseite > Chefökonom > Straubhaar-Debatte – Reaktion von Bert Rürup

Straubhaar-Debatte – Reaktion von Bert Rürup

19. März 2012

Und hier in voller Länge die ausführliche Reaktion von Bert Rürup, ehemals Chef des Sachverständigenrat, heute Vorstand der Beratungsfirma MaschmeyerRürup:

„Die Kritik von Thomas Straubhaar ist zu pauschal, wenn er von einem Scheitern „der“ Ökonomie spricht. Richtig ist, dass die der Deregulierungsphilosophie und -politik zugrunde liegende neoklassische Finanzmarktökonomie mit ihren Annahmen effizienter Kapitalmärkte und stets alle verfügbaren Informationen rational verarbeitenden Marktteilnehmern ist bei der Prognose der Finanzkrise 2007/8 grandios versagt hat, die Krise vorherzusagen. Ein Schritt zurück zu den älteren geldtheoretischen Vorstellungen zum Beispiel eines Schumpeters oder Wicksells, in denen Kategorien wie Vertrauen, Ungewissheit oder Panik bei der Erklärung von Kapitalmarktentwicklungen eine wichtige Rolle spielen, könnte ein Fortschritt sein

Die Ökonomie steht wie die anderen Sozialwissenschaften vor dem Problem der unendlichen Komplexität der Gesellschaft. Und wie jede der anderen gesellschaftswissenschaftlichen Teildisziplinen muss sie die Welt durch eine Brille – ihre Theorie – betrachten. Dabei kann es nicht darum gehen, die unendliche Komplexität des sozialen Geschehens abzubilden, sondern darum, diese Komplexität zu reduzieren -im Interesse belastbarer Aussagen zu den dieses Fach interessierenden wirtschaftlichen Zusammenhängen. Wie die Soziologie, Psychologie, Geschichtswissenschaft etc. muss auch die Ökonomie mit Modellen arbeiten, die natürlich je nach der Fragestellung unterschiedlich spezifiziert sein müssen. Die mathematische Modellierung ist dabei eine wichtige Herangehensweise, der wir beachtliche Fortschritte verdanken, sie darf aber nicht die einzige sein.

Die Forderung nach einem Paradigmenwechsel ist schnell und leicht erhoben aber wohlfeil, und die Forderung nach einer radikalen Abkehr vom Homo Oeconomicus, der als Entscheidungsträger in den neoklassichen Modellen agiert, ist überzogen. Der Homo Oeconomicus ist nicht die Idealvorstellung der Ökonomen von Menschen. Jeder Wirtschaftswissenschaftler weiß, dass Entscheidungen oft so gefällt werden, wie man es  in der Vergangenheit getan hat, d. h. pfadabhängig sind, dass Unternehmer, um ihre Unsicherheit zu reduzieren Berater befragen, die auch eigene Interessen verfolgen und dass es auch Arbeitgeber gibt, denen die Zufriedenheit ihrer Arbeitnehmer am Herzen liegt. Der Homo Oeconomicus ist eine „Als-ob-Annahme“, um zu halbwegs allgemeinen und gegebenenfalls gesamtwirtschaftlichen Aussagen zu gelangen. Deshalb kann es nicht um eine völlige Abkehr von diesem fiktiven, am Eigennutz orientieren Entscheidungsträger gehen, sondern um eine Einbindung dieses Entscheidungskalküls in die jeweiligen institutionellen, sozialen und historischen Zusammenhänge. Und genau das macht die empirische Wirtschaftsforschung, bei der meines Erachtens die Zukunft unseres Faches liegt.

Was man nicht dem Fach Ökonomie, wohl aber vielen Ökonomen anlasten kann, ist der Irrglaube, allkompetent für die verschiedensten Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens – sogar für Fragen der Verteilungsgerechtigkeit – zu sein und die eigene Sicht der Dinge, das eigene Paradigma, als einzig richtig und entscheidend zu erachten. Angesichts der unbestreitbaren kommerziellen Durchdringung immer weiterer Bereiche der Gesellschaft treffen sie dabei auf ein hohes Interesse der Öffentlichkeit, die Antworten und Erklärungen auch für Fragen suchen, auf die es keine ökonomisch richtigen Antworten geben kann.

Es ist nicht die – im Interesse des wissenschaftlichen Fortschritts unabdingbare – fachliche Ausdifferenzierung und Spezialisierung, die dazu führt, dass die Fähigkeit zur Politikberatung vieler akademischer Ökonomen verkümmert, sondern die unzureichende Vermittlung von institutionellen Aspekten und Fakten  in der Lehre und eine fehlende Würdigung institutionell orientierter Arbeiten in der karriereförderlichen Forschung. Brauchbare Politikberatung muss den Mut haben, sich in die institutionellen Niederungen zu begeben und sich ändernde gesellschaftliche wie historische Realitäten anzuerkennen und darf sich nicht in aus formalen Modellen abgeleiteten Empfehlungen erschöpfen.“

  1. Heinz Stiller
    21. März 2012 um 13:16

    Manche lernen es eben nie. Natürlich sind Entscheidungs- und Denkwege „pfadabhängig“, wie Herr Rürup es ausdrückt. Bei Ökonomen offenbar ganz besonders.
    Sieht er immer noch nicht die Gefahren, die das typisch ökonomische „als-ob-Denken“ impliziert? Auch Politologen und andere haben ja in abgehobenen Modellen geschwelgt und sich selbst dafür gehörig gebauchpinselt, bis unter anderem der Fall des Ostblocks über eine relative Ent-Ideologisierung auch wieder eine stärkere Hinwendung zu überprüfbaren Realitäten brachte.
    Sicher ist Reduktion von Komplexität (Luhmann) in vieler Hinsicht nötig. Sie spiegelt ja auch reale individualpsychologische geistige und emotionale Prozesse wider. Aber sie muss eben den Praxistest bestehen. Zur Not muss man eben auch mal sagen können, zum Teufel mit der Wissenschaftlichkeit, ich stelle jetzt etwas dar, wie es „ist“. Auch wenn ich damit keine Komplexität reduziere, kein Modell und kein Theorem bastle; auch wenn ich damit bei Kollegen keine Blumentöpfe gewinne, sondern als Fliegenbeinzähler angesehen werde.
    Wer war der grössere Sozialwissenschaftler, Parsons oder Macchiavelli?
    Mut zur Realität bitte!

  1. No trackbacks yet.
Kommentare sind geschlossen.
%d Bloggern gefällt das: