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Die Kolumne – Wir basteln uns Europa schön

30. März 2012

Euro nur für Nordländer oder Extrastimmrecht für Bundesbanker – gegen deutsche Isolation scheint gerade jeder Unsinn recht. Schwachen Ideen fehlt die Überzeugungskraft.

In Europas Zentralbank galt bis kürzlich eine magische Regel: Nichts, was im Eurotower gemacht wurde, durfte gegen die Deutsche Bundesbank geschehen. Das steht so zwar in keinem Vertrag. Und es spiegelt auch einen mutigen Glauben an die Allwissenheit unserer Währungsbeauftragten. Für ein entsprechendes Beben sorgte es dennoch, als im Sommer eine Mehrheit der Ratsmitglieder dafür stimmte, zur Krisenabwehr italienische und spanische Staatsanleihen zu kaufen – offenbar gegen die heiligen Vertreter der Bundesbank. Affront.

Seitdem kursieren im Mutterland aller Stabilitätskriege die tollsten Verschwörungstheorien und Vorschläge, das Ungemach zu beseitigen. Da wird gemutmaßt, wie schön Euroland wäre, wenn man nur noch unter Stabilitätskulturländern wäre. Oder empfohlen, einen Luxemburger ins EZB-Direktorium zu nehmen – weil der immer so schön sagt, was die Bundesbank sagt. Oder herumgerechnet, wie es wäre, Bundesbankern doppelt so viele Stimmen zu geben. Weil das die Gefahr senkt, in Isolation zu geraten. Höhere Mathematik.

Da helfen keine Luxemburger

Dabei entpuppt sich manche Idee als atemberaubend undurchdacht. Zumal das Problem zu sein scheint, dass manche deutsche Position in dieser Krise zu schwach ist, um im Rest der Welt zu überzeugen. Gegen eine solche Isolation helfen dann auch keine Luxemburger. Ob es eine gute Idee wäre, uns nur mit Ländern abzugeben, die nach Bundesbank-Verständnis unseren stabilitätskulturellen Geist beherbergen, ist fraglich. Zwar reden holländische, österreichische und luxemburgische Notenbanker so knurrig wie unsere. Ebenso wie mittlerweile der Finne und der Este.

Ein bisschen skeptisch macht, dass unsere kuscheligen Holländer seit Kurzem selbst arge Schwierigkeiten haben, ihr Staatsdefizit unter drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu kriegen – was niederländische Finanzminister jahrelang mit sehr viel Entrüstung von anderen verlangten. Da boomte die holländische Wirtschaft noch. Jetzt steckt sie in der Rezession, und plötzlich gibt es dort auch Sozis, die – zu Recht – vor überhasteter Konsolidierung warnen und Frau Merkels Fiskalpakt ablehnen.

Ebenso wie im geldpolitisch angeheirateten Österreich, wo es die Regierung bisher nicht geschafft hat, die Schuldenbremse in die Verfassung zu bringen; die ist jetzt ein einfaches Gesetz, das man jederzeit ändern kann. Na, das ist ja eine Stabilitätskultur.

Ähnlich Pikantes ließe sich von Luxemburg sagen. Das Land hat zwar einen Notenbankchef, der bei jedem Verdacht von Präinflation eifrig nach Zinserhöhung ruft, was bei der Bundesbank als Ausweis von Stabilitätskultur im Grunde reicht. Nach einer Studie der Stiftung Marktwirtschaft hat das Land gemessen am BIP aber die zweithöchste offene und verdeckte Staatsverschuldung im Euro-Raum; was doch eher für einen Vertreter aus Spanien spräche, das weniger Schulden hat (siehe Grafik).

 

Jetzt muss man Luxemburg nicht auf ewig aus der EZB-Führung ausschließen, weil das so ein niedlicher Mikrostaat ist. Kurios ist aber schon, wenn der Grund zu sein scheint, dass der Mann die bessere Bundesbank-Gesinnung hat. Von einem solchen Kriterium steht nichts im Vertrag. Zumal der Luxemburger Jurist Yves Mersch auch nicht zu den großen Denkern der Ökonomie zählt und vor allem mit administrativer Erfahrung glänzt. In einem Land, in dem es übrigens – apropos Tradition – bis 1998 gar keine Notenbank gab (weil es geldmäßig mit Belgien vereint war).

Da scheint vor lauter Eifer kaum aufzufallen, dass die gelobte Ernennung eines Luxemburgers mit der ebenso beliebt scheinenden Idee kollidiert, die Stimmen im EZB-Rat künftig nach dem eingezahlten Geld in den ESM-Rettungsfonds zu gewichten, wie es kürzlich die CDU forderte.

Klar, wer mehr zahlt, darf mehr bestimmen. Zahlokratie. Blöd nur: Das könnte zwar der Bundesbank eine Extrastimme bescheren, unsere Luxemburger Kumpel aber stimmenmäßig auf 0,25 Prozent schrumpfen. Was nicht richtig im Sinne der Bundesbank ist. Zumal auch unsere anderen Lieblinge unglücklicherweise nicht aus richtigen Riesenreichen kommen. Beim ESM machen die Holländer weniger als sechs, die Österreicher nicht mal drei und die Finnen weniger als zwei Prozent aus. Das Stabilitätsimperium Estland würde bei Stimmengewichtung mit 0,19 Prozent in den Rat krachen. Nimmt man den gelobten Nordkulturkreis zusammen, ergibt das knapp 38 Prozent im EZB-Rat – etwas weniger als Frankreich und Italien. Vielleicht doch keine so tolle Idee mit dem Gewichten.

Gefährliches Herumdoktern

Ganz im Ernst: Es kommt einem gefährlichen Herumdoktern gleich, Stimmengewichte ändern zu wollen, nur weil der Rat mal nicht die Geldpolitik der Bundesbank macht. Ähnliches gilt, wenn jener Jürgen Stark herausposaunt, in der Minderheit gewesen zu sein, dessen Bundesbank selbst jahrzehntelang jede Protokollführung abgelehnt hat, weil der Eindruck von Unstimmigkeiten die Glaubwürdigkeit beschädige.

All das vermittelt den fatalen Eindruck, dass Prinzipien nur gelten, wenn sie gegen andere verwendet werden. Dabei haben Währungsexperten wie Mario Draghi oder Jean-Claude Trichet im Zweifel mehr geld- und stabilitätspolitische Kompetenz als mancher deutsche Parteigesandte in den Zentralbankräten.

Deutschlands Krisenmanager sind ja seit Ausbruch der Krise nicht nur in Südländern auf wenig Verständnis gestoßen. Wenn Kanzlerin und Bundesbankchef gegen Hilfen votieren, Noteinsätze von Notenbanken ablehnen und brachiale Austerität empfehlen, stößt das fast überall auf der Welt auf Unverständnis. Und man kann nicht sagen, dass die Wirklichkeit ihnen seitdem recht gegeben hat, wie die griechische Depression oder die Eskalation der Krise nach Privatsektorbeteiligung gezeigt hat. Am Ende musste eben doch die Notenbank eingreifen, um das Desaster zumindest vorerst zu stoppen, was Frau Merkel und Herr Weidmann zuvor monatelang verhindern wollten.

Vielleicht wäre es besser einzugestehen, dass es nicht so viel hilft, nur stabilitätskulturelle Sprüche zu klopfen und zu allem Nein zu sagen. Und stattdessen die eigenen Empfehlungen mal zu überprüfen. Mit überzeugenderen Gegenvorschlägen könnten wir weit mehr erreichen als mit dem ewigen Lamento, benachteiligt zu sein, oder dem Versuch, uns Europa schönzubasteln. Das Ergebnis zählt.

Email: fricke.thomas@guj.de

  1. Christoph Strebel
    1. April 2012 um 18:41

    Die wahre Ursache der Schuldenkrise ist der Mangel an Steuereinnahmen
    Staaten haben Aufgaben, die bezahlt werden müssen! Sozialstaaten sind etwas teurer. Einflussnahme auf die Konjunktur ebenso, Bankenrettung noch mehr, Kriege erst recht.
    Um kreditwürdig zu sein, müssen Staaten auch mal Überschüsse erzielen können, wenn die Konjunktur einigermaßen gut läuft. Staaten können allein mit Verbauchs- und Lohnsteuern nicht ihre Aufgaben finanzieren. Sie brauchen auch Steuern auf Kapitalerträge, Unternehmensgewinne, Erbschaften und Vermögen. Durch den weltweiten Wegfall von Kapitalverkehrskontrollen, Zöllen und Umzugshemmnissen haben aber Unternehmen und reiche Leute die Macht bekommen, mittels Abwanderungsdrohung alle westlichen Staaten zu Steuersenkungen zu nötigen. Alle demokratischen Staaten des Westens und zahlreiche Entwicklungs- und Schwellenländer liegen gegeneinander in einem ruinösen Wettbewerb um die niedrigesten Kapital-…-Steuern. Außerdem hat sich die Verteilung der Unternehmensgewinne weg vom Faktor Lohn hin zum Faktor Kapital verschoben. Hierdurch bricht allen Staaten eine wesentlicher Säule ihrer Einnahmen weg. So wurden sie unfähig, die für ihren Betrieb nötigen Steuern einzunehmen. Zugleich ist auf der Kapitalseite durch zu geringe Besteuerung ein Forderungüberschuss entstanden.
    Der Ausweg aus der Krise: Europa-Steuern auf Kapitalerträge, Unternehmensgewinne, Erbschaften und Vermögen, Zentraleuropäische Steuerfahndung, moderate Zölle (Emfänger- und Absenderstaat bekommen je die Hälfte der Zollabgabe)
    Wenn der Staat eine Entscheidungsgewalt abgibt, ist es nicht sicher, dass diese ankommt bei den vielen einzelnen Menschen im Sinne von mehr persönlicher Freiheit, die Entscheidungsgewalt kann häufig dann ein anderer bekommen, der ähnlich gut organisiert und mächtig wqie ein Staat ist, nämlich ein anderer Staat oder ein großer Konzern oder ein sehr reicher Mensch.
    Die Abgabe von Steuerkompetenz auf die EU ist kein Verzicht auf Souveränität zu Lasten der Einzelstaaten und zu Gunsten eines EU-Zentralstaats, sondern nur das Eingeständnis, dass durch die Zollfreiheit und die Europäische Grundfreiheit des Kapitalverkehrs die Souveränität längst verloren ist, bislang nur eben nicht an Zentral-Europa, sondern an andere Staaten mit niedrigeren Steuertarifen oder an internationale Konzerne und sehr reiche Leute.

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