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David Milleker – Der überschätzte Wechselkurs

7. Juni 2012

Das flexible Wechselkurse aufgrund ihrer positiven Effekte auf Leistungsbilanzanpassungen eingesetzt werden, ist nicht ganz richtig. Gründe, die für flexible Wechselkurse sprechen, sind andere.

In der jüngsten Zeit ist eine interessante öffentliche Ökonomendebatte darüber entstanden, wie notwendig eine Wechselkursanpassung für den Ausgleich von defizitären Leistungsbilanzsalden eigentlich ist. Dabei ist stärker ins Rampenlicht gerückt, mit welchem Tempo der Leistungsbilanzausgleich in der europäischen Peripherie (Griechenland, Irland, Italien, Spanien, Portugal) vorangekommen ist. Die vier Länder zusammen konnten – gemessen an der gesamten Wirtschaftsleistung der Währungsunion – ihre gemeinsame Defizitposition von 2,3 Prozent Ende 2008 auf 1,3 Prozent reduzieren, obwohl ihnen keine Wechselkursanpassung offen stand. Großbritannien, dessen Währung im gleichen Zeitraum in handelsgewichteter Betrachtung um 22 Prozent abgewertet hat, konnte sein Leistungsbilanzdefizit dagegen von 3,2 Prozent der Wirtschaftsleistung nur auf knapp 2 Prozent verbessern.

Somit kann auf den ersten Blick die Frage aufkommen, ob der Wechselkurskanal denn wirklich so prima wirkt, wie manchmal gerne unterstellt. In aller Kürze lautet die Antwort natürlich nein. Mit Blick auf eine Leistungsbilanzanpassung führen theoretisch viele Wege nach Rom, nur sind davon einige schöner und andere weniger schön. Wie wir allerdings zeigen, sind in der beobachtbaren Realität die allermeisten weniger schön.

Das lässt sich etwa am Einbruch des Welthandels während der Finanzkrise 2008/09 sehr plakativ darstellen. Unser konkretes Beispiel ist dabei Spanien: In der Ausgangslage liegen die Importe bei 80 Mrd. EUR, die Exporte bei 50 Mrd. EUR. Im Zuge des einbrechenden Welthandels reduzieren sich die Importe auf 50 Mrd. und die Exporte auf 37 Mrd. EUR. Das Außendefizit halbiert sich in diesem Prozess von 30 Mrd. auf 13 Mrd. EUR. Es dürfte jedoch kaum jemanden geben, der diese Form der Anpassung als sonderlich positiv bewertet. Sie kommt ja allein dadurch zustande, dass der Import stärker schrumpft als der Export.

Eine schöne Form der Anpassung wäre dagegen dann gegeben, wenn der Export schneller wächst als die Importe. Das klassische Lehrbuchmodell würde dies im Falle einer Abwertung – zumindest relativ zu einem alternativen Status-quo – als Standardlösung angeben. Für Großbritannien ist dieser Effekt trotz einer deutlichen Abwertung bislang allerdings nicht auszumachen. Man kann bestenfalls argumentieren, dass die Tendenz zu immer höheren außenwirtschaftlichen Defiziten aus Vorkrisenzeiten durch die Abwertung zum Stillstand gekommen ist. Die Gesamtkorrektur seit 2007 ist jedoch vollständig auf den Importeinbruch während der Krise 2008/09 zurückzuführen. Zudem muss berücksichtigt werden, dass die britische Wirtschaft in der Zeit seit der Finanzkrise alles andere als kräftig gewachsen ist.

Ökonomisch gibt es einen guten Grund dafür, dass Wechselkurse einen weit geringeren Beitrag zur Leistungsbilanzanpassung leisten als gemeinhin angenommen. Der Wechselkurs beeinflusst maßgeblich das relative Preisgefüge zwischen Export- und Importgütern (Preiskanal). Daneben gibt es freilich auch den Einkommenskanal. Vereinfacht ausgedrückt: Was an Auslandsgütern nachgefragt wird, hängt maßgeblich vom Wachstum in einer Volkswirtschaft ab. Leider zeigt die praktische und statistisch messbare Erfahrung, dass der Einkommens- den Preiskanal um den Faktor 3 bis 4 zu 1 von seiner Wirksamkeit übertrifft. Die USA sind sogar ein gut dokumentiertes Beispiel dafür, dass – zumindest in der kurzen Frist – eine Abwertung durch negative Rückkopplung auf das Wachstum im Ausland die Handelsbilanz verschlechtern kann.

Zusammengefasst bedeutet dies nichts anderes, als dass das Gros der Leistungsbilanzanpassung so gut wie immer über eine Anpassung der Wachstumsraten zwischen einem Land und dem Rest der Welt stattfindet. Die Rückführung eines Leistungsbilanzdefizits geht eigentlich immer mit erheblichen Wachstumseinbußen im Korrekturland einher, die sich in der Größenordnung von 0,6 bis 0,8 Prozentpunkten Abschlag gegenüber dem Potenzial je Prozentpunkt Verbesserung im Leistungsbilanzsaldo relativ zur Wirtschaftsleistung bewegen. Entsprechend selten sind dann auch Leistungsbilanzverbesserungen anzutreffen, die nicht mit einer deutlich steigenden Arbeitslosigkeit einhergehen.

Der eigentliche Grund, weshalb man sich als Ökonom mit flexiblen Wechselkursen (und Verschuldung ausschließlich in Inlandswährung) wohler fühlt, liegt nicht so sehr daran, dass dies die Korrektur von Leistungsbilanzdefiziten hinsichtlich der Wachstumskosten extrem erleichtert. Er liegt vielmehr darin, dass es in einem solchen System faktisch unmöglich ist, eine Volkswirtschaft durch Abschneiden vom Kapitalmarkt in die Insolvenz zu treiben. Das spricht nicht gegen eine Währungsunion, setzt dann aber zwingend Automatismen voraus, welche die Funktion des Wechselkurses mit Blick auf den Liquiditätskreislauf ersetzen (siehe etwa auch unseren Blogbeitrag Das einfache Recyclingproblem hinter Europas schwieriger Institutionenfrage vom 2. November 2011).

  1. Berndt
    7. Juni 2012 um 11:33

    Bei dieser Diskussion vergessen die meisten, dass der eigentliche Treiber der Leistungsbilanzdefizite die Kapitalbilanzüberschüsse sind. Die ausländischen Investitionen sind in den genannten Ländern nach 2007 dramatisch eingebrochen (zugespitzt gesagt: keiner kauft mehr Häuser in Spanien). Diese Passivierung der Kapitalbilanz muss nun mal durch eine Aktivierung der
    Leistungsbilanz stattfinden (da keine bedeutenden Währungsreserveänderungen im Euroraum stattfinden).

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