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Was Angela Merkel von Elinor Ostrom lernen kann

13. Juni 2012

Wie es mit dem Euro weitergeht, hängt, so sieht es nun aus, vor allem von Angela Merkel ab. „Angela, können wir denn nicht mal endlich die Maschinen anwerfen?“ fragt der „Economist“ in einem Titel-Cartoon mit einem längst untergegangenen Tanker. Selbst in Washington schaut man mit Sorge auf Berlin, weil man glaubt, es hinge nun alles in Europa vom Wort der Kanzlerin ab. Wird sie bei ihrer Meinung bleiben, oder wird sie sie ändern – dazulernen oder umfallen, je nach Blick?

Das Prinzip der Europäischen Union war bislang das: gemeinsame Sache, aber getrennte Kasse. Ein bisschen Hilfe für Krisenländer war gerade noch okay, so lange sie „freiwillig“ geschieht, nicht auf der Basis von vertraglichen Verpflichtungen. Aber eine Haftungsgemeinschaft in Europa oder für den Euro, das kam nicht in Frage. „No-bailout“, wenigstens nicht verpflichtend. Euro-Bonds und eine Bankenunion also nur dann, wenn klar ist, dass der, der Geld und Garantien gibt, vorher auch mitredet. Merkel nennt es die Fiskalunion. Dann wären tatsächlich auch Euro-Bonds, also gemeinsame Anleihen, für die letztlich die Deutschen haften, denkbar. Aber das ist noch weit hin.

Warum ist sie so stur? Sie hat eben ihren Ökonomen zugehört, denn die sagen auch nur das, was der gesunde Menschenverstand sagt: So sagte sie am Dienstag vor dem Wirtschaftsrat der CDU in Berlin: „Gemeinsame Haftung und gemeinsame Kontrolle müssen in einer Hand liegen.“ Alles andere, also Euro-Bonds vor Klärung der Haftung würde „Das Pferd von hinten aufzäumen“.

Keine Frage: Die Angst vor der gemeinsamen Kasse ist begründet. Es geht sicher um eine der wichtigsten und schwierigsten Entscheidungen in Europa seit den Römischen Verträgen. Trauen die Deutschen den anderen Europäern genug, um das Prinzip der gemeinsamen Kasse zu akzeptieren – hinter das es dann wohl kein Zurück mehr gäbe?

Am gleichen Tag, als Angela Merkel diesen seltsamen, etwas redundant klingenden Satz mit „gemeinsamer Haftung“ und „gemeinsamer Kontrolle“ „in einer Hand“ sagte, starb in Amerika in ihrer Heimat Bloomington in Indiana, Elinor Ostrom, die 2009 als erste und bislang einzige Frau den Wirtschaftsnobelgedenkpreis erhalten hat. Was haben Ostroms Ideen mit Merkels Entscheidungsproblem zu tun?

Ostrom bekam den Nobelpreis, weil sie „challenged the conventional wisdom that common property is poorly managed and should be either regulated by central authorities or privatized“, so das Nobelkomittee damals zur Begründung.

Dass Gemeinschaftsgüter vor die Hunde gehen, weil sich keiner richtig drum kümmert. Von der WG-Küche über die Fischschwärme in den Weltmeeren und dem Weltklima – das Problem ist aus der Sicht von Standardökonomen immer das Gleiche: So lange keiner den Hut auf hat, geht alles vor die Hunde. In den 60er Jahren beschrieb ein Biologe das als „Tragedy of the Commons“, also als Tragödie der Allmende. Ihm folgten 40 Jahre Privatisierung und Aufteilung von Gemeinschaftsland in Afrika und Lateinamerika. Immerhin begann der Kapitalismus ja auch mit den Einhegungen von gemeinschaftlichem Weideland in England im 17. Jahrhundert. Fortschritt gab es nur mit Privatbesitz, hieß es eben.

Nun zeigte Ostrom mit ihren Forschungen, dass das nicht immer stimmt. In bestimmten Fällen funktioniert die gemeinsame Wirtschaft, wenn auch vor allem in traditionellen Agrargesellschaften, in der Fischerei oder der alpinen Almwirtschaft. Kann man das übertragen auf die moderne Welt? Zweifel sind berechtigt. Immerhin aber gibt es auch in der Internet-Ökonomie offensichtlich zunehmend Situationen, in denen das Privateigentum nicht mehr überzeugt.

Aber könnten Ostroms Ideen helfen bei der Frage nach der Euro-Haftung? Ostrom fand heraus, dass Menschen auch mit gemeinschaftlichem Besitz vernünftig wirtschaften können, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Einige Gesellschaften scheitern, in anderen funktioniert es. Sie müssen dazu eine besondere Art von Selbst-Organisation entwickeln, die nicht automatisch passiert, die aber auch nicht immer gleich ist.

Zu diesen Bedingungen zähen etwa eine klare Definition der Akteure, persönliche Bekanntschaft und Überschaubarkeit (also keine Anonymität), ein gutes Monitoring, Regeln  und Sanktionen, Mechanismen zur Konfliktlösung, Kongruenz zwischen Kosten und Nutzen der Kooperation und noch ein paar mehr.

Gelten diese Bedingungen – zum Teil wenigstens – vielleicht doch für die Finanzen der Euro-Zone? Die Zahl der Akteure, nämlich die Regierungen, ist überschaubar, Staatsfinanzen lassen sich im Prinzip gut beobachten, usw. Darüber ließe sich ja mal nachdenken.

Merkels Position ist in Deutschland sehr populär und gilt als common sense. Aber sie ist natürlich nicht „alternativlos“. Vielleicht sind die Regierungen der Euro-Zone doch in der Lage, den Euro als Common Good, als Gemeinschaftsgut, zu „bewirtschaften“. Bislang hat es nicht gut geklappt. Musste es so kommen? Oder lag es nicht auch daran, dass man Anreize gegen Schuldensünden geschaffen hat, die mehr an die Regeln der Schulbücherei erinnern?

Und wieso glaubt das gleiche Deutschland beim Klimaschutz daran, dass es hilft, mit gutem Willen der Welt voran zu gehen? Eben für’s große Gemeinwohl, mit wirtschaftlichem Nutzen als Beigabe? Ganz absurd scheint uns Deutschen diese Logik ja offenbar nicht zu sein.

Das Nobelkomitee schrieb 2009: „Beyond showing that self-governance can be feasible and successful, Ostrom also elucidates the key features of successful governance. One instance is that active participation of users in creating and enforcing rules appears to be essential. Rules that are imposed from the outside or unilaterally dictated by powerful insiders have less legitimacy and are more likely to be violated. Likewise, monitoring and enforcement work better when conducted by insiders than by outsiders. These principles are in stark contrast to the common view that monitoring and sanctioning are the responsibility of the state and should be conducted by public employees.An intriguing outcome of these field studies concerns the willingness of individual users to engage in monitoring and sanctioning, despite only modest rewards for doing so. In order to ascertain more about individuals’ motivations for taking part in the enforcement of rules, Ostrom has conducted innovative laboratory experiments on cooperation in groups. A major finding is that many people are willing to incur private costs in order to sanction free-riders.“

Wenn man das Euro-Problem so analysiert, als ob die Akteure, also die Regierungen, anonyme, unkontrollierte und Gewinn-maximierende Privatakteure sind, kommt man natürlich zu einem anderen Schluss.

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  1. Gabun
    14. Juni 2012 um 20:31

    Ostrom ist in der Tat sehr lesenswert, allerdings sprechen ihre Erkenntnisse gerade nicht für ein europäisches Modell, bei dem auf einer quasi zentralstaatlichen EU-Ebene die von Ihnen genannten Normen (und Aktivitäten zur Durchsetzung dieser Normen) von einem Kreis von Entscheidern initiiert und gesteuert werden. Nach Ostrom funktioniert die Bewirtschaftung von Gemeinschaftsgütern nämlich dann gut, wenn, wie wir heute ausdrücken würden, das Prinzip der Subsidiarität beachtet wird: Normen für die Gemeinschaftsgüter auf der Ebene und von den Akteuren gesetzt, kontrolliert und sanktioniert werden, die dafür kompetent sind, weil sie auch das entsprechende Handeln realisieren und zudem die Konsequenzen ihres Tun (das kann bspw. eine Regelverletzung sein) direkt spüren und einordnen können. Nicht umsonst sind Ostroms positive Beispiele fast nur kleinräumige Genossenschaften oder Gemeinden, die natürlich per se nicht anonym sind. Für Ostrom war deswegen schon der Nationalstatt für die erfolgreiche Bewirtschaftung von Gemeinschaftsgütern nicht sonderlich geeignet.
    Im Gegenteil, laut Ostrom musste es in der EU zwangsläufig so kommen, wie es gekommen ist, weil die Ebene der Normierung und die Ebene des Handelns und die Ebene der Haftung weit, weit, weit auseinanderliegen und gänzliche Anonymität herrscht. Beispiel Euro (simplifiziert): Normiert wird auf der Ebene der EU-Politik, gehandelt wird durch nationale Wirtschaften und Banken, die Konsequenzen/Haftung trägt die große anonyme Masse der Bürger.
    Es ist schon erschütternd, wie noch die klarsten Forschungsergebnisse derart gewaltsam umgedeutet werden.

  2. Nemo
    14. Juni 2012 um 19:00

    Elinor Ostroms Untersuchungen beziehen sich mit Almbauern oder Subsitenzgütern auf überschaubare, sich praktisch selbst versorgende Gruppen. Dass die EU mit ihren 27 Nationen und rund 400 Millionen Einwohnern in diese Kategorie fällt, liesse sich allenfalls mit akademischer Weltferne erklären. Solche Problemflucht entspricht der verbreiteten deutschen Sehnsucht, in Europa als größere Schweiz durchzugehen. Dumm nur, dass ausser den Deutschen niemand diese Sichtweise teilt, schon gar nicht die Schweiz.

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