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Die Kolumne – Rettung zur Selbstrettung

15. Juni 2012

In der deutschen Industrie nimmt die Haltung zu, dass uns der Kollaps im Euro-Raum kaum scheren muss – weil ja der Rest der Welt für Wachstum sorge. Ein trügerischer Befund.

Anleger ziehen Geld ab, deutsche Firmen stoppen Investitionsvorhaben in südlichen Ländern. Schon aus Angst, die Krise könnte nach der griechischen Wahl am Sonntag eskalieren. Das ist der Stoff für richtige Katastrophen, in denen die Angst sich irgendwann verselbstständigt und der Kollaps zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung wird.

Umso erstaunlicher ist, wie gelassen deutsche Wirtschaftslenker, Politiker und Experten derzeit deklarieren, uns müsse der Kollaps immer neuer Euro-Länder nicht wirklich ernst bedrohen: weil die Euro-Zone für unsere beschleunigt globalisierte Exportwirtschaft ohnehin nicht mehr so wichtig sei. Oder weil wir vom Euro nicht so viel haben – wie der findige Thilo Sarrazin jüngst meinte. Und weil die Dynamik ja ohnehin im Rest der Welt liege, ob in China, Indien oder Brasilien.

Was für ein Irrglaube. Gerade für die deutsche Wirtschaft, die ohne die Geldausgabefreude der Südeuropäer selbst damals nie so schnell aus der Krise gekommen wäre.

Optische Täuschung

Natürlich gibt es seit Jahren höheres Wachstum in den Schwellenländern. Und natürlich hat Chinas Nachfrage nach 2009 beigetragen, unsere Exportwirtschaft nach dem Lehman-Schock wieder anzuschieben. Nur steckt hinter mancher Wachstumszahl auch eine arithmetisch-optische Täuschung: Auf niedrigem Ausgangsniveau ergeben sich schnell hohe prozentuale Zuwächse. Bei aller Dynamik in China verkaufen die Deutschen nur immer noch mehr an das kleine und (seit Mittwoch in jeglicher Hinsicht) kriselnde Holland. Monat für Monat gehen nach wie vor doppelt so viele deutsche Exporte in die EU als in den gelobten Rest der Welt.

Kleines Rechenexempel: Um genauso viel Milliarden zu exportieren, wie ein Prozent Wachstum der Exporte in die Euro-Zone ausmacht, müssen die deutschen Ausfuhren nach China um 6,4 Prozent steigen. Näher betrachtet wird der Befund noch ein Stück spektakulärer: Nimmt man allein das Milliardenvolumen der Exporte statt trügerischer Raten, sind unsere Exporte in den Euro-Raum seit Beginn der Währungsunion stärker gestiegen als die Verkäufe in die rund 150 Länder außerhalb Europas, samt Schwellenländern. Achtung: Zehn Jahre danach lag der Abstand zwischen Euro- und Rest-der-Welt-Verkäufen sogar doppelt so hoch wie 1999 (siehe Grafik).

So viel zum Gequassel, dass uns der Euro nicht sonderlich mehr Geschäfte gebracht hat.

Im Grunde gilt sogar das Gegenteil. Zumindest wenn es darum geht, aus dem bilateralen Handel zu ermitteln, wo die Deutschen in ihren eigenen Krisenjahren das meiste Wachstum (wieder-)gefunden haben, um aus dem Desaster herauszukommen. In den ersten zehn Euro-Jahren schnellte der deutsche Exportüberschuss gegenüber den anderen im Euro-Raum um enorme 75 Mrd. Euro hoch – gegenüber dem Rest der Welt nur um 38 Mrd. Euro.

Sprich: 66 Prozent des Per-saldo-Exportbeitrags in den 2000er-Jahren entstanden durch unsere Handelssalden im Euro-Raum. Und da der Anstieg unseres Bruttoinlandsprodukts in dieser Zeit rechnerisch zu fast 80 Prozent vom Anstieg der Handelsüberschüsse kam, heißt das, dass wir die Hälfte unseres gesamten Wirtschaftswachstums bis 2007 den lieben Partnern zu verdanken haben.

Kleiner Wink an alle, die jetzt bis zum Herzstillstand über die Ausgabenschluderei anderer Euro-Länder schimpfen. Komisch: Als es uns geholfen hat, hat keiner geschimpft, dass die da auf Pump unsere schönen Maschinen kaufen.

Zumal dazu immer zwei gehören: einer, der zu viel Kredit aufgenommen hat; und einer, der den Kredit offenbar leichtsinnig vergibt. Ein dauerhaft hoher Exportüberschuss ist halt auch nichts anderes als das Ansammeln von Krediten gegenüber Defizitländern.

Das Tückische ist, dass sich das Ganze für Deutschlands Exporteure jetzt umkehrt – weil Korrekturen in den Krisenländern nötig sind, zunehmend aber auch durch das Krisenmanagement, das mittels panischer Kürzungen und Steueranhebungen weit übers Ziel hinaus geschossen ist.

Der Abstand zwischen Deutschlands Exporten in den Euro-Raum und den Rest der Welt ist in den vergangenen Monaten unter das Niveau beim Euro-Start abgestürzt. Und: Wenn unser Exportüberschuss seit 2008 gefallen ist, dann nur wegen des Rückgangs der Salden mit dem Euro-Raum. Sprich: Jetzt ist der Wachstumsbeitrag der Freunde negativ.

In den beiden vergangenen Jahren wurde das noch durch beschleunigte Zuwächse im China-Export ausgeglichen. Jetzt sind selbst große Euro-Länder wegen des Austeritätsdogmas in tiefe Rezessionen gestürzt. Und: Im ersten Quartal reichte der Anstieg der Verkäufe nach China nicht mehr aus, um allein den Einbruch in Italien auszugleichen (siehe Grafik unten). Nimmt man die vier südeuropäischen Rezessionsländer zusammen, lagen die deutschen Einbußen dort zuletzt zweieinhalb mal so hoch wie der Anstieg im China-Geschäft.

Alle Mächte schrumpfen mal

Noch erweisen sich die Unkenrufe über das Ende von Chinas Boom als verfrüht. Nur heißt das nicht, dass der nicht früher oder später zu Ende gehen wird – so wie bei allen zeitweise als unschlagbar gehandelten neuen Mächten, von Japan über Korea bis hin zu Deutschland. Was passieren kann, wenn allein die Absatzmärkte in Europa wegbrechen, war in den 90er-Jahren zu beobachten. Damals verloren die Deutschen an Wettbewerbsfähigkeit, weil die anderen abwerteten. Zwischen 1990 und 1998 stieg das Volumen deutscher Europaexporte nur halb so stark wie in den Rest der Welt, und es gab jahrelang Gezeter um den Standort – kleiner Merkposten für alle, die schwärmen, wie schön es wäre, wenn Griechen und andere wieder eigene Währungen hätten.

Wenn der Beitrag der Euro-Länder zum deutschen Wiederaufstieg bis 2007 viel höher war, als es hierzulande wahrgenommen wird, droht der Wegfall der Stütze ein umso böseres Erwachen auszulösen. Wir tun gut daran, alles daran zu setzen, dass die Euro-Krisenländer wieder wachsen – und bloß keiner austritt. Aus eigenem Interesse. Sonst könnten sich deutsche Unternehmer, Politiker und Experten bald wundern, wie wenig uns die tolle globale Dynamik vor dem Sturz in die Krise geschützt hat.

Email: fricke.thomas@guj.de

  1. WILHER
    27. Juni 2012 um 17:54

    Monat für Monat gehen nach wie vor doppelt so viele deutsche Exporte in die EU als in den gelobten Rest der Welt.<

    Sehr geehrter Herr Fricke, Sie übertreiben ein bisschen.
    Nur noch 59,2 % der deutschen Exporte gingen im Jahre 2011 in die EU, folglich 40,8 % in Länder außerhalb der EU. Früher waren es deutlich mehr.

    Und zweimal 40,8 % sind 81,6 %, die Ihrer Ansicht nach in der EU abngesetzt werden.
    Ich will nicht kleinlich sein, aber Sie übertreiben mit ihrer Aussage, dass doppelt so viel in der EU abgestzt werden wie außer der EU.

  2. 21. Juni 2012 um 07:54

    Thomas Fricke :
    Nur kurz zur Klärung: unsere Staatsschuldenquote ist von gut 60 auf gut 80 Prozent zwischen 2007 und 2009 gestiegen …… Kleiner Tipp: die Banken. Nicht die bösen Südeuropäer.

    Hochmut ist immer schlecht, und wir dürfen uns ruhig an Axel Weber erinnern, der geglaubt hat, dem Verbriefungsspiel der angelsächsischen Finanzhütchen intellektuell gewachsen zu sein. Während Draghi seine italienischen Banken vor diesem Hochmut bewahrt hat.

    So bekenne denn auch ich, dass ich minder intelligent bin gegen Krugman, Roubini oder Stiglitz.
    Aber wer uns drängt, ein Mehrfaches unseres Bundeshaushalts zur Rettung unserer Brüder im Euro und der Weltwirtschaft zu bezahlen bzw. zu riskieren ist nichts als ein Reservespieler der Hütchenmannschaft.
    Das weiß ich gewiss. Und spiele nicht mit.

    Und dass Ihr Lied, Herr Fricke, auf den Refrain komponiert ist: „Weil wir alle Sünder sind, zahlt Deutschland für das Sü(n)denkind“ – das immerhin erkenne ich auch noch.

  3. rasenderrolli
    18. Juni 2012 um 11:55

    hätte man damals eine volksabstimmung gemacht, dann wäre deutschland bis heute hin ohne euro. nicht um sonst waren 78% der Bevölkerung dagegen. nun treiben wir selbst dank Grieschenland und anderen die nicht mit Geld umgehen können dick in die Pleite.

    • 18. Juni 2012 um 15:53

      Woher kommen eigentlich unsere 80 Prozent Staatsschuldenquote? Wo wir so gut mit Geld umgehen können? KLeine Denkaufgabe. Finden Sie nicht, dass uns ein bisschen weniger Großmut gut zustände?

      • 18. Juni 2012 um 17:04

        RICHTIG, Herr Fricke, endlich erkennen sogar Sie
        „dass uns ein bisschen weniger Großmut [also Bürgschaften und Zahlungen „für den Euro“] gut zustände!“

        Aber das war wohl nur ein Sprachversehen, nicht wahr?

        Gemeint haben Sie zweifellos: Weil wir selber nun auch schon 80% Staatsschulden haben, (wieviel davon entfällt übrigens auf die Eurozonen“rettung“?) ist es nur logisch, dass wir noch mehr Schulden aufnehmen müssen – um das Geld brüderlich an andere zu verteilen.

        Oder anders: Weil wir ja selbst nicht sonderlich gut mit Geld umgehen können, müssen wir in Zukunft noch schlechter damit umgehen!

      • 20. Juni 2012 um 22:28

        Nur kurz zur Klärung: unsere Staatsschuldenquote ist von gut 60 auf gut 80 Prozent zwischen 2007 und 2009 gestiegen – da gab es noch gar keine Euro-Rettungsaktionen. Seitdem ist sie eher gesunken. Kleiner Tipp: die Banken. Nicht die bösen Südeuropäer.

    • John Doe
      20. Juni 2012 um 08:17

      SgH. rasenderrolli,

      hm, die offiziell genannte Zahl hat aber mit der Wirklichkeit wenig zu tun.

      Die USA haben offiziell $ 15 Trillion an Schulden. Die inofizielle Zahl liegt bei $ 75 Trillion. Die $ 15 Trillion kamen durch die Rettung der Finanzbranche durch den Staat zu Stande. Er hat in den US Finanzsektor mal so dir nichts $ 5 Trillion rein gekippt. Stichworte sind: Tresuary Dept. bail out funds: $ 7,2 Trillion, paid $5 Trillion; FedReserve bail out funds, $ 7,2 Trillion, paid $ 700 Billion. Hinweis: Die USA haben kein Griechenland an Bord, es wurde das dortige Finanzsystem gerettet!Wer wohl in den USA „schlecht“ gewirtschaftet hat und wer steht dort für die Schulden gerade?
      Wer hat in Island schlecht gewirtschaftet, der Staat oder die Kaupthing Bank? Der Staat Island ist jetzt pleite, weil er alle Schulden des Finanzsektors übernommen hat! Der Staat Irland hat ebenfalls die Schulden seines Finanzsektors übernommen und ist jetzt pleite. Spanien hatte vor der Übernahme der Schulden des „freien“ Finanzsektrors eine Quote von 89 %, heute, nach Übernahme der Finanzmarktschulden ist Spanien pleite.In GR wird nicht der „gemeine Grieche“ gerettet, es werden die einheimischen und ausländischen Banken gerettet. Die EFG Bank des Herrn Latsis, jetzt in Luxemburg ansässig, erhält aus dem europäischen Rettungsfonds dieses Jahr und das nächste in der Summe 11 Mrd. € Kompensation für schief gegangenen Geschäften mit der Volkswirtschaft GR. Egal wo sie hin schauen in Europa, die USA, der Ausgangspunkt war immer das „schlechte“ Wirtschaften des Finanzsektors. Er hat weltweit ein Volumen von $60 Trillion an „Schulden“ miteinenander, untereinander, gegeneinader aufgebaut, dem stehen nur $ 70 Trillion an weltweiter realwirtschaftlicher Leistung gegen über.

      Wer wurde in GR wieder gewählt? Die ND und die PASOK, die Wirtschaft, deren Eliten haben rund 380 Mrd. € von der EU für genehmigte Projekte über 30 Jahre lang erhalten und haben GR auf das Niveau eines Entwicklungslandes geführt. Sie als Empfänger und Verteiler sollten doch etwas vernünftiges damit anfangen. Was haben die politischen und wirtschaftlichen Eliten in GR nur mit dem vielen Geld angestellt?

      Die GRIECHEN haben geprasst. Albern, ein Blick in die Rubrik Arbeitsaufnahme im Ausland des Arbeitsamtes, Untertitel Griechenland entlarvt den Propagandatrick unserer Eliten und auch des Leitartiklers der ftd mit seinem Wahlaufruf. Die Saat Propaganda ist auf gegangen, quod erat …!

      Sie müssen mir erklären, warum Herr Ackermann von Schröder schon 2003 Bad Banks für die deutsche Finanzwirtschaft gefordert hat. Die Petze des Handelsblattes können Sie dort nach lesen. Dort steht auch, wie das Problem gelöst wurde, Die Deutsche Bank hat heute rund 300 Mrd. € EK, aber ein Bilanzvolumen von rund 2000 Mrd. €, Deckungsvolumen liegt bei gerademal 40 % (Tier 1 – 3). Wer dreht hier das große Rad?

      Offiziell liegt die Quote in D bei 89 %, inoffiziell bei 149 %. Es gibt eben vom Gesetz her vorgesehen gebuchte Schulden und ungebuchte Schulden. Ein bisschen Demut wäre angebracht!

      Angebracht wäre auch sich den kummutativen Washington Consensus zur Brust zu nehmen. Er sollte damals die renitenten Südamerikaner an die Kandarre nehmen. Es hat Jahrzehnte gebraucht bis sich Südamerika aus dessen negativen Folgen befreien konnte. Dieser Consensus wird von Frau Merkel und ihren Beratern gerade am Beispiel GR vollstreckt.

      Angebracht wäre es auch sich mal mit der Wirkung der göttlichen Hand der Finanzmärkte zu beschäftigen. Festgestellt ist die Schaffung von sogenanntem „Fiat-Money“, und dass die Finanzwirtschaft Billionen von Derivaten mit toxischem Risiko halten. Der Crash ist als Eingriff einer höheren Macht in die Sünden der Finanzwirtschaft zu werten. Was mag das wohl für eine Hand sein, die während der letzten 40 Jahre schon 127x eingreifen musste um die Sünden der Finanzwirtschaft zu korrigieren. Miese Qualität: sie könnte doch mit einem Supercrash alle Assets platt machen. Dann wäre endlich Ruhe. Jeder neue Crash spricht aber gegen das Wirken einer „göttlichen Hand“.

      Mein Tipp, fallen Sie dauernd auf die Propagandatricks rein, lugen Sie ab und zu mal hinter die Kulissen! Ich habe gerade das Münchau´sche Recht in Anspruch genommen mich ein zu mischen!

  4. Peter Noack
    17. Juni 2012 um 10:59

    Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Fricke!
    Den Unterschied zwischen relativen und absoluten Zahlen musste vor 40 Jahren jeder Pennäler kennen, um das Abitur zu kriegen und studieren zu können. Jeder Wirtschaftsstudent hat dann die statistischen Tricks gelernt. Jeder Interessierte weiß, dass keine Statistik für sich selbst steht, sondern interpretiert werden muss. An dieser Interpretation scheiden sich dann die Geistger, d. h. ein und dieselbe Statistik führt zu völlig verschiedenen einander ausschließenden Interpretationen. Das passiert in den Naturwissenschaften eher selten dafür bei den Wirtschaftswissenschaften fast ohne Ausnahme. Weil das so ist, erklärt man dann die Ökonomie zur nichtexakten Wissenschaft, die vom Verhalten der Menschen geprägt ist. Was dann noch als Wisenschaft übrig bleibt, verschweigen die Auguren.
    Zur Sache: Nun mag die Eurozone politisch und Wirtschaftlich keine Union darstellen, einen Wirtschafts- und Währungsraum stellt die Eurozone aber doch dar oder etwa nicht? Überschüsse bei Gütern und Dienstleistungen haben dann den gleichen Charakter wie solche Überschüsse zwischen Bayern und Sachsen, oder nicht? Zwischenbemerkung: Diesen Gedankenschritt begreifen die Mainstreamökonomen schon nicht mehr. Die Konsequenz daraus zeigt sich unmittelbar, d. h. ohne Vermittlungen oder direkte Einflüsse. Überschüsse und Defizite ergeben sich nur noch auf der Unternehmensebene. Eine gesamtstaatliche Zusammenrechnung macht nur noch Propaganda. Ökonomisch ist diese gegenstandslos und Politik kann darauf nicht einwirken, weil dann der freie Handel beschränkt werden müsste. Wollen Sie das?
    Zur Wiederholung: Die deutschen ein Prozent der Weltbevölkerung könnten über 99 Prozent ihrer Güter und Dienstleistungen exportieren, wenn dann alles, was zum Verbrauch auf dem Binnenmarkt besdtimmt ist, importiert wird. Stimmt das oder nicht?
    Exportüberschüsse sind für den Binnenmarkt Abflüsse von Gütern und Dienstleistungen. Diese können den Wohlstand der Produzenten als Konsumenten nicht mehr steigern. Die gezahlten Löhne finden auf dem Binnenmarkt kein konsumierbares Angebot. Das gilt für Arbeitnehmer wie für Unternehmer. Ebenso gilt das für den privaten Konsum genauso wie für Investitionen und den produktiven Verbrauch von Material und Energie. Die Lohnbestandteile und die entsprechenden Unternehmenserlöse des Exportüberschusses müssen dann gespart werden. Das ist aber Wohlstandsverzicht. Man lebt unter seinen Verhältnissen.
    Das deutsche Wirtschaftsmodell kann in gesättigten Märkten der EU nicht wie gewohnt expandieren. Mit dem wachsenden Anteil der Schwellenmärkte an der Weltproduktion, muss sich folglich der Export in diese Regionen verlagern. Die BRICSTIM Staaten mit Südarfika, Türkei, Indonesien und Mexiko werden schon in einem Jahrzehnt den deutschen Exportanteil in eine gewachsene Eurozone übertreffen. Sollte spätestens dann Deutschland aus der Eurozone austreten? Demagogen sagen ja, je eher desto besser. Was sagt der Ökonom?
    Wenn die Welt zusammenwächst, werden nationale Währungen ihre wirtschaftliche Bedeutung verlieren. Das wird der Dollar schon in den nächsten Jahren zeigen. Am Ende des Jahrhunderts gibt es keine nationale Währung als Weltreservewährung mehr. Dieser Trend wird sich mit oder ohne Euro durchsetzen, ob die Deutschen das glauben oder nicht. Die Deutschen sind wirtschaftlich nicht so einflussreich, das zu verhindern. Das wird wohl erst dann erkannt, wenn Deutschland nicht mehr unter den Topten der Welt stehen wird. (2025) Das schaffen Frankreich, GB oder Italien schon bis 2020

    Möglicherweise war das der letzte Versuch, mit durchdachten Argumenten auf Themen in der FTD zu antworten. Mit den meisten Argumenten von Kommentatoren weiß die FTD ohnehin kaum etwas anzufangen. Das beweist der Wahlaufruf im Leitartikel unzweifelhaft. Redaktionen und Chefredaktion haben sich ohne Not diskreditiert. Vor diesem Hintergrund kann man redaktionelle Beiträge und Kolumnen nicht mehr ernst nehmen. Das Mindeste wäre eine Entschuldigung beim Leser. Die verantwortlich Redakteure können nur zurücktreten, was bei verantwortlichen Politikern ja auch gefordert wird. Der Imageschaden könne allerdings so groß sein, dass auch die FTD aufgelöst und neu gegründet werden muss.

  5. 16. Juni 2012 um 15:13

    Aus meiner Sicht steht im Kern der Debatte eine fundamental falsche Annahme (auch hinter dem Greenspan-Bernanke-Draghi-Monetärschwindel):
    Dass man „Arbeitsplätze schaffen“ müsse.

    Arbeitsplätze kann man ganz leicht schaffen: einfach mehr Leute (z. B. in Griechenland) beim Staat einstellen.
    Aber die Leute wollen kein „Geld“, und man bezahlt sie (letztlich) nicht mit „Geld“. Die wollen (u. a.) einen Volkswagen. Die Frage ist nur: geben sie mir wertlose Draghi-Bernanke-Falschgeld für den VW, oder geben sie mir Oliven, Sonnenenergie, Hotelzimmer, Zweitwohnungen … ?

    Was Vertreter von Thesen wie denjenigen von Thomas Fricke usw. m. E. übersehen (und die Südeuropäer, aber auch Frankreich, sowieso):

    „Arbeitsplätze“ ‚dort unten‘ nützen uns, als solche, nichts. Sie fördern auch nicht unseren Export – es sei denn, wir verschenken unsere Waren.
    Was die Defizitländer brauchen, und was letztlich hinter dem deutschen Ruf nach Reformen für Südeuropa steckt (Reformen brauchen übrigens, in anderer Form, auch die USA!) ist das Bemühen, die Produktion von Gütern und Dienstleistungen dort zu steigern. Das geht (dauerhaft) ohne Transfermaßnahmen aber nur dann, wenn das ökonomische Umfeld dort für Privatinvestitionen interessant wird. Erst dann werden ‚die da unten‘ endlich Güter (Dienstleistungen) in ausreichender Menge produzieren (können), um „mir“ einen REALEN Gegenwert für die von „mir“ produzierten VWs zu liefern!

    Wer dagegen nur „Arbeitsplätze schaffen“ oder „die Wirtschaft zum Blühen“ bringen will (indem er deutsche Steuergelder – auch vorerst als „Kredit getarnte – verschenkt!), wird in den Schuldenländern eine dauernde Transferempfängermentalität etablieren. Wie wir sie am ausgeprägtesten in Griechenland ja längst haben (vgl. auch Süditalien – „Mezzogiorno“).
    Diese sehr reale Gefahr blenden Sie aus, Herr Fricke, indem Sie ständig praktisch nur von notwendigen Transferleistungen sprechen. Und die wären, zumindest unter den gegebenen Bedingungen in Südeuropa (völlig anders als in Deutschland 1950!) sogar kontraproduktiv.

  6. 16. Juni 2012 um 11:54

    Komisch: Wieso verstehe ich bei allen Ihren Rezepten, Herr Fricke (wie aber z. B. auch bei Ihrem Kollegen Henrik Müller vom Manager-Magazin) immer nur eins:

    „Wenn Deutschlands Wirtschaft brummen soll, müssen wir unsere (Überschuss-)Exportgüter verschenken“? (Bzw. für die Vergangenheit: „Unsere Wrtschaft konnte nur blühen, weil wir einen Exportüberschuss hatten. Und jedermann hätte wissen müssen, dass die Schuldnerländer unsere Kredite, mit denen sie ihre Importe finanziert haben (und in der Tat saldenmechanisch zwangsläufig finanzieren mussten), nicht zurückzahlen können.
    Und die muss jetzt der deutsche Steuerzahler übernehmen.

    Fragen:

    1) Welche ALLGEMEINE Sicht der Funktionsweise unserer Wirtschaft steckt dahinter? Unterstellen Sie eine generelle Gesetzmäßigkeit, oder glauben Sie lediglich, dass die Dinge zeitweise falsch gelaufen sind?
    Wenn letzteres: Warum falsch gelaufen, und was kann man tun, dass sie in Zukunft nicht falsch laufen?
    Wer mir keine Theorie anbieten kann, warum ggf. eine Wirtschaft nur mit Exportüberschüssen „blühen“ kann, dem kaufe ich auch seine Lösungsvorschläge nicht ab.

    Für eine solche Sichtweise müsste man nämlich die zentrale Annahme von Adam Smith ff. aufgeben, dass Ökonomie eine (kooperative) win-win-Einrichtung ist.
    Sie wäre vielmehr ein win-lose-Mechanismus, d. h. die Gewinne des einen wären NOTWENDIG die Verluste anderer.

    Also, Herr Fricke: Präsentieren Sie uns eine schlüssige und faktenerklärende ‚Winlosionist‘ Theorie der Weltwirtschaft und der nächste Nobelpreis ist Ihnen sicher!
    Wenn Sie das nicht können, verschonen Sie uns deutsche Steuerzahler bitte mit Vorschlägen, welche den Interessen der Kapitalmärkte (Kapitalbesitzer) und der Schuldenländer dienen!

    2) Weitere (sekundäre) Frage wäre, wieso ausgerechnet der Steuerzahler unsere Exportüberschüsse finanzieren soll.

  7. Very Serios Sam
    16. Juni 2012 um 09:13

    „das Krisenmanagement, das mittels panischer Kürzungen und Steueranhebungen […]“

    Kürzungen, wo? In den Problemländern wurden doch bestenfalls die Steigerungsraten der Schuldenzunahme leicht gekappt. Das mit den Steueranhebungen stimmt: für die, die sich nicht wehren können. Also untere und mittlere Einkommen. Die oberen 10% an Einkommen und Vermögen dagegen sind nach wie vor de facto unbehelligt, überall. Und solange sich das nicht ändert, kann sich auch der Weg ins Desaster nicht umkehren.

    • 16. Juni 2012 um 12:55

      Sie haben Recht, die Verteilung der Lasten ist ziemlich ungerecht. Was ich nicht nachvollziehen kann, ist die Aussage, dass in diesen Ländern nichts gekürzt worden ist. Das ist nun wirklich absurd. In Griechenland sind die Staatsgehälter mit zweistelligen Raten gekürzt worden, die Löhne sind im Schnitt drastsich reduziert worden, es gab eine Rentenreform, die Zahl der Staatsbediensteten sinkt. Alles in allem wurde das strukturelle Staatsdefizit in einer Höhe von mehr als 10 Prozent der Wirtschaftsleistung gesenkt. Das hat es noch nie gegeben. Und jetzt fragen Sie sicher, warum die Schulden nicht sinken: das ist die Botschaft, die ich verzweifelt zu vermitteln versuche. Wenn Sie eine Wirtschaft derart in eine Rezession bzw Depression sparen, dann bricht die Wirtschaftsleistung – um mittlerweile fast 20 Prozent – ein. Dann haben Sie auf der einen Seite zwar Ausgaben gekürzt, müssen an anderer Stelle aber plötzlich viel mehr ausgeben, um Arbeitslose zu stützen (mittlerweile mehr als 20 Prozent in Griechenland, das wären bei uns rund 10 Millionen), und es brechen Ihnen die Steuereinnahmen weg. Ergebnis: das Defizit ist nicht kleiner als vorher – und es sieht aus, als wäre nicht gespart worden. Diese Idiotie muss endlich ein Ende haben.

      • Peter Noack
        17. Juni 2012 um 12:13

        Wirtschaftswissenschaft müsste erklären können, wie hoch das BIP ausfällt, wenn der Staat keine Ausgaben mehr leistet und sämtliche Mitarbeiter des Staatsdienstes entlässt. Der freie Fall muss an einem Punkt enden. Dann erst kann ein Aufschwung folgen. Das kann auch anders gesagt werden: Damit die gleiche Wirtschaftsleistung, BIP, bei Ausgaben-kürzungen des Staates gelingt, müssen Unternehmen und private Haushalte mehr ausgeben für Investitonen und Konsum. Wenn der Staat dafür keine Anreize schafft, siehe Griechenland u. a.
        Der genannte Zusammenhang gilt für alle Staaten auch D. Die USA zeigen, wie mit einer Neuverschuldung von 8 Pro-zent vom BIP ein Wirtschaftswachstum kleriner als 3 Prozent erreicht wird. Wo bleibt der Rest? Wissen Sie die Antwort?

  8. Take-it-away-Jay-Emm-Kay
    16. Juni 2012 um 04:00

    „Umso erstaunlicher ist, wie gelassen deutsche Wirtschaftslenker, Politiker und Experten derzeit deklarieren, uns müsse der Kollaps immer neuer Euro-Länder nicht wirklich ernst bedrohen: weil die Euro-Zone für unsere beschleunigt globalisierte Exportwirtschaft ohnehin nicht mehr so wichtig sei. Oder weil wir vom Euro nicht so viel haben – wie der findige Thilo Sarrazin jüngst meinte. Und weil die Dynamik ja ohnehin im Rest der Welt liege, ob in China, Indien oder Brasilien“

    Ich finde das auch erstaunlich, dann aber auch irgendwie nicht. Erstaunlich ist es nur dann, wenn man sich die Zahlen und Fakten der realen Welt anschaut. Aber weniger erstaunlich, wenn man wie Ich davon ausgeht, dass diese Menschen (als Bsp. kann man neben Sarazin auch Ottmar Issing oder Hans-Werner Sinn nennen, und fast alle konservativen Politiker) heimlich eine Rückkehr zur D-Mark herbeisehnen.

    Und jetzt scheinen wir in einer Situation, wo der Rest Europas (plus die USA) den Austeritätswahnsinn nicht mehr mitmachen wird. Und die hyper-konservativen Ideologen (wie eben Issing oder Sinn oder irgendwelche CDU Politiker) denken sich: OK, wenn die anderen nicht mehr das tun wollen, was wir ihnen diktieren, dann lassen wir den Euro eben über die Klippe springen. Besser zurück zur Mark als den „faulen, dummen, nichtsnutzigen Club-Med Parasiten das Geld in den Po zu blasen, und deren verschwenderischen Lebensstil zu finanzieren“, und die massiven Konsequenzen (die zumindest den nicht-Politikern klar sein dürften) werden dann eben toleriert.

    Manche nennen das Verhalten „Prinzipienreiterei“, was dem von Ihnen beschriebenen Verharmlosungskurs dieser „Eliten“ zugrunde liegt. Aber man kann darin eben auch Kalkül sehen: wenn wir das radikal-konservative Gedankengut, das der Schuldenbremse, Riester-Rente, Agenda 2010, Rente mit 67 usw. zugrunde liegt eben nicht auf Europa ausweiten können, dann können wir diese Agenda doch zumindest noch in Deutschland weiter pushen.

    Genau deswegen denke Ich, dass Merkels Vorstellung von einer Fiskalunion auch in keinster Weise akzeptable sein wird für den Rest Europas, denn Ihr wird sicherlich eine Fiskalunion vorschweben, die auf eben diesem radikal-rechten Gedankengut (welches spätestens seit 2008 intellektuell ja nicht mehr zu verteidigen ist) basiert.

    P.S. Das die politischen und medialen Eliten die Krise so hoffnungslos verharmlosen/falsch einschätzen, ist nicht soooo verwunderlich. Aber wenn, wie hier geschrieben wird, selbst Teile der Industrie so denken, dann ist das für mich schier unerklärlich. Vielleicht können unsere Unternehmer einfach nicht zwischen BWL and VWL unterscheiden. Hätten in der 11. Klasse wohl besser aufpassen sollen…

  9. wetec
    16. Juni 2012 um 00:09

    Ja klasse.
    Deutschlands Wirtschaft ist bedroht, weil China für deutsche Kaufleute ne kleine Nummer ist, und Europa aufgrund der deutschen Austeritätspolitik als Grosskunde unserer Exporteure zunehmend wegbricht. Alles richtig und unschwer zu übersehen.

    Ihre Sorge um die deutsche Exportwirschaft hat neben den von Ihnen beschriebenen Handelsbilanz- Ungleichgewichten einen weiteren Haken: Solange Deutschland zu einem Drittel seiner Wirtschaftskraft von externen Verkäufen abhängig ist, wird dies nicht Ihr letzter Artikel dieser Art sein.

    Warum endet Ihr Kommentar, bei all den plausiblen Fakten nicht mit dem logischen Aufruf, dass Deutschland durch eine starke Binnnennachfrage endlich unabhängiger vom Weltgeschehen wird?
    Es kann doch nur positiv für Europa und besonders für Deutschland sein, wenn sich mehr deutsche Menschen einen „VW Golf“ nicht nur leisten können, sonder das Auto gleich mitbekommen, statt 8 Monate drauf zu warten.
    Einmal abgesehen von dem Rückgewinn der ins Ausland exportierten Wertschöpfung, die Importe von Handelspartnern behindert, und somit zum Handelsungleichgewicht massiv beiträgt.
    Es ist hier aus meiner Sicht alles Richtige und Wichtige geschrieben worden, nur der Standpunkt, worauf die Konstruktion beruht, ist ein wenig schade.
    Ihr Ton allerdings ist mittlerweile echte klasse geworden. Das lässt hoffen.

  10. 15. Juni 2012 um 19:28

    Sehr schade, dass Sie diesen Artikel nicht schon vor einem Jahr auf der Titelseite Ihrer Zeitung hatten. (Oder habe ich das übersehen?) Aber wahrscheinlich hätte es doch nichts genutzt. Es ist menschlich, dass man aus komplexen Zusammenhänge das betrachtet, was in das eigene Weltbild passt. Nur hiermit ergibt sich ein Problem: zweifelsohne ist die aktuelle wirtschaftliche Konstellation besonders, schon deswegen, weil es heute mehr Player, andere Player, andere Kommunikationswege und Geschwindigkeiten und eine andere Kultur gibt, als zu Zeiten vergangener Krise.
    Jeder sollte also gerade jetzt seine Einschätzungen immer wieder hinterfragen. Einen Anstoss haben sie damit ja gegeben. Ein Problem gibt es : ich tendiere zu Ihrer Argumentation und muss natürlich auch aufpassen, dass ich meinen Standpunkt hinterfrage 🙂

    • Take-it-away-Jay-Emm-Kay
      16. Juni 2012 um 03:36

      Nun, vergleichbare Artikel/Blog posts hat auch die FTD schon seit einer Weile gedruckt, und offensichtlich hilft das alles nichts.

      Denn eine einzige erbärmlich hirnrissige BILD Überschrift („INFLATIONSALARM-Bundesbank weicht den Euro auf“) hat immernoch mehr Einfluss in Deutschland als Fricke, Münchau, von Heusinger, Schieritz und ausländische Experten wie Krugman, Stiglitz, de Grauwe und Co. ZUSAMMEN.

      Und solange sich das nicht ändert, wird sich das Diskurs/Diskussionsniveau in D auch nicht ändern.

      P.S. Klar muss man immer über den eigenen Standpunkt reflektieren, aber: Bei diesem Thema sind die empirischen Beweise so dermaßen erdrückend, dass man sich getrost sicher sein kann, dass man Recht hat (oder in diesem Fall: der Argumentation Frickes Glauben schenken kann). Braucht man nicht mal konstant die eigene Position überdenken, das ist so wie mit der Frage: ist die globale Erderwärmung vom Menschen beeinflusst oder nicht? Antwort ist ja, muss Ich nicht weiter hinterfragen. Manche Dinge sind halt ZU eindeutig.

  11. Lars
    15. Juni 2012 um 19:07

    Es ist einfach nur erschütternd, dass solche so simpel zu quantifizierenden Zusammenhänge hierzulande nicht begriffen werden. Oder ist es fasznierend? Das man hierzulande, ohne auch nur in Grundzügen den Unterschied zwischen VWL und BWL zu verstehen, es bis in die Bundesregierung schafft.

    • Take-it-away-Jay-Emm-Kay
      16. Juni 2012 um 03:24

      ROFLcopter 😀

      Wie wahr, wie wahr.

      Und es ist mehr erschütternd als faszinierend, also finde Ich zumindest.

  12. Peter schnücke
    15. Juni 2012 um 12:41

    Es ist schon erstaunlich, dass die deutsche Politik diese Zusammenhänge nicht erkennt und
    immer noch versucht auf den Sparkurs durch zudrücken. Unsere(Export) Wirtschaft hängt am Tropf der EU-Mitgliedstaaten.

  1. 15. Juni 2012 um 15:18
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