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Ökonomenstreit – Eichengreen kritisiert Sinn

11. Juli 2012

Barry Eichengreen hat sich jetzt noch mal mit einem ausführlichen Beitrag in der FTD vom Mittwoch in die deutsche Debatte eingeschaltet. Hier sein Kommentar in voller Länge:

„Das Schicksal des Euro steht und fällt mit den Entscheidungen, die Deutschland trifft. Und der beste Indikator dafür, wie Deutschland entscheidet, ist die Debatte über die Bankenunion.
Jeder hat von den Briefen gehört, über die sich Wirtschaftswissenschaftler einen Schlagabtausch liefern. Der eine Brief, verfasst von einer Gruppe um Hans-Werner Sinn, argumentiert, jeglicher Schritt in Richtung einer Bankenunion wäre ein schrecklicher Fehler. Banken müssen scheitern dürfen. Schulden dürfen nicht sozialisiert werden. Eine gemeinsame Aufsicht und direkte Kapitalspritzen schaffen mehr Probleme, als sie lösen. Die Steuerzahler wären für die Verbindlichkeiten des europäischen Bankensystems verantwortlich.
Der andere Brief, von Michael Burda und Kollegen, argumentiert, dass die Krise ohne direkte Kapitalspritzen, durch die die Verbindung zwischen den Problemen der Banken und dem Staatsschuldenproblem gekappt wird, nicht beigelegt werden kann. Eine zentrale Aufsicht, die grenzüberschreitenden Bankkrediten angemessen Rechnung trägt, ist unerlässlich, sollen künftige Banken- und Finanzkrisen verhindert werden, so heißt es in diesem zweiten Schreiben. Und in keiner Weise, so die Autoren, bedeuten Kapitalspritzen und zentrale Aufsicht die Vergemeinschaftung von Bankschulden.
Eine Gemeinschaftswährung, aber 17 separate Zentralbankaufsichten – das ist Wahnsinn. Diese Kombination funktioniert nicht. In einer Währungsunion sind die grenzüberschreitenden Auswirkungen nationaler Bankenprobleme tief greifend. Das Vorgehen spanischer Banken hat zu große Konsequenzen für die deutsche Wirtschaft, als dass es spanischen Aufsichtsbehörden überlassen bleiben könnte, und andersherum.
Lehnen die Unterzeichner des Sinn-Schreibens es ab, eine einzelne Aufsicht, einen Einlagensicherungs- und Abwicklungsfonds in Betracht zu ziehen, dann fordern sie im Grunde die Rückkehr zu nationalen Währungen, denn mit dem jetzigen Arrangement kann der Euro nicht überleben. Leider räumt ihr Brief das nicht ein. Er ermutigt die deutsche Öffentlichkeit zu glauben, sie könne den Euro behalten, aber eine Bankenunion ablehnen. Diese Schlussfolgerung ist falsch.
Das Schreiben Sinns legt nicht überzeugend dar, dass ein gemeinsamer Einlagensicherungs- und Abwicklungsfonds die Verpflichtung deutscher Steuerzahler bedeuten soll, für die Verbindlichkeiten europäischer Banken einzustehen. Banken können verpflichtet werden, Gebühren in den gemeinsamen Einlagensicherungs- und Abwicklungsfonds einzuzahlen. Spanische wie deutsche Banken können angewiesen werden, Beiträge zu zahlen.
Gibt es wie in den USA eine zentralisierte Aufsicht, einen gemeinsamen Einlagensicherungsfonds und eine zentrale Abwicklungsstelle, heißt das nicht, dass ein Scheitern von Banken verhindert werden kann. In den USA haben wir die Einlagensicherung FDIC, trotzdem gehen ständig Banken unter. Seit August 2008 hatten wir über 80 Bankenpleiten. Aber mit diesen Pleiten wird so umgegangen, dass das Vertrauen nicht leidet und die Wirtschaft nicht destabilisiert wird. Die Behörden tauchen an einem Freitagnachmittag bei der Bank auf, beschlagnahmen die Bücher und tauschen im Laufe des Wochenendes die Geschäftsführung aus. Gleichzeitig wird den Kunden die Sicherheit ihrer Einlagen bis zu einer gewissen Grenze (aktuell 250000 Dollar) garantiert. Diese Methode kann die FDIC Geld kosten, aber es ist Geld, das die Banken selbst zuvor bei der FDIC eingezahlt haben.
In Europa gibt es zudem das Problem, dass spanische, griechische und zyprische Banken sofort Kapitalspritzen benötigen, ansonsten wird das Kreditvergabeniveau weiter sinken, und Europas Wirtschaft erholt sich nicht. Die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) und der Euro-Rettungsschirm ESM werden den Banken dieses Kapital direkt zur Verfügung stellen müssen, denn bürdete man dies den überlasteten südeuropäischen Regierungen auch noch auf, verschlimmerte man die Krise bloß.
EFSF und ESM sollten natürlich an die Kreditvergabe Bedingungen knüpfen. Spaniens Banken sollten so organisiert werden, dass sie rasch zum Geschäftsalltag zurückkehren und ihre Schulden schnellstmöglich begleichen können. Dass diese Bedingungen erfüllt werden, kann die EU durch unabhängige Inspekteure überprüfen lassen.
Regierungen derjenigen Länder, deren Banken Hilfe erhalten, können dafür verantwortlich gemacht werden, dass die Auflagen eingehalten werden. Spaniens Regierung wäre also nicht bedingungslos haftbar für die Bankenhilfe, sondern nur dann, wenn die spanische Bankenaufsicht ihre Anweisungen nicht befolgt. Bankeninspekteure der EU könnten ins Land geschickt werden, um die Sachlage festzustellen. Unter diesen Umständen hätte die spanische Regierung einen starken Anreiz sicherzustellen, dass die spanische Aufsicht das Richtige tut. Sind die Bedingungen gut durchdacht, könnten die Rettungsfonds ihr Geld mit Zinsen zurückerhalten, ebenso wie beim Bankenrettungsfonds Tarp. EFSF und ESM mögen einige Kosten entstehen, aber sie wären begrenzt. Vermutlich gefällt den deutschen Steuerzahlern schon die Möglichkeit begrenzter Kosten nicht. Aber sie sollten sich fragen, welche Alternative es gibt.
Deutschland ist das Land, das die Euro-Zone verlassen könnte, ohne die Mutter aller Finanzkrisen durchlaufen zu müssen. Allerdings würde der Ausstieg die Euro-Zone zerschmettern. Deutschland ist auch das eine Land, das die Ressourcen aufbringen kann, um den Euro zu retten. Wozu wird sich Deutschland entschließen? Das wird die Entscheidung zur Bankenunion zeigen.“

Barry Eichengreen ist Wirtschaftsprofessor an der University of California, Berkeley.

http://emlab.berkeley.edu/~eichengr/

  1. Nemo
    12. Juli 2012 um 09:51

    „Eine Gemeinschaftswährung, aber 17 separate Zentralbankaufsichten – das ist Wahnsinn“

    Ja, Barry. Aber es kommt noch besser. Es sind 17 Nationen mit 17 (Koalitions-)Regierungen und 17 Oppositionen, die im Schnitt nicht nur aus einer (Demokraten oder Republikaner), sondern bis zu einem ganzen Dutzend Parteien bestehen, welche laufend Wahlen bestreiten! Deine Vereinigten Staaten von Amerika sind etwas anders gestrickt als dieses Unierte Europa. Vielleicht ahnst du jetzt, dass Mr. Sinn (Sense) – den manche wortwitzig Unsinn (Nonsense) nennen – manche Aussagen weniger ökonomisch als vielmehr politisch angelegt hat.
    Nehmen wir nur die europäische Einlagensicherung. So, wie du sie skizzierst, wäre es ideal. Es geht im kommenden Jahr mit einem klaren Regelwerk los und jede spanische Bank zahlt wie jedes deutsche Kreditinstitut einen vereinbarten fairen Anteil. Über Jahrzehnte wird so ein Finanzpolster aufgebaut, um schlagkräftig und handlungsfähig die Kunden strauchelnder Banken europaweit zu entschädigen. Wunderbar, aber das ist leider nicht das Thema. Im aktuellen Feuer der Bankenkrise sollen stattdessen möglichst rasch alle heute vorhandenen Einlagen gepoolt werden, um die jetzt brennenden Geldhäuser zu löschen. Und rate mal, in welchen Regionen die Banken reihenweise lodern und aus welchen Regionen das Löschwasser kommt? Gleiches gilt für das Kapital des Abwicklungs- oder Restrukturierungsfonds. Die Krisenstaaten fallen jedenfalls als Einzahler weitgehend aus. Noch drastischer wird sich dieses Ungleichgewicht beim kommenden ESM bemerkbar machen. Für ihn sollen zwar alle 17 mit Mitteln einstehen, aber am Ende haften faktisch nur jene, die keine Rettung benötigen.
    Es gibt in diesem Zusammenhang ein hübsches europäisches Wort, das lautet „Nettoempfänger“. Es bedeutet, dass man aus Brüssel, dem europäischen Washington D.C, per Saldo stets mehr Geld bekommt als man überweist. Und jetzt halte dich fest. Mit Ausnahme Italiens sind alle heutigen Krisenstaaten seit Jahrzehnten kräftige Nettobezieher, allen voran Spanien und Griechenland. Dieser dauerhafte Marshall-Plan hat jenen Ländern hohe Wohlstandstransfers beschert. Der Lebensstandard in einst armen und rückständigen Landesteilen wie Sizilien oder der Estremadura, auf den Kykladen oder in Kerry unterscheidet sich heute nur unwesentlich von anderen europäischen Regionen. Das ist gut. Auch die Preise sind mittlerweile weitgehend identisch. Indes die Wettbewerbsfähigkeit ist es nicht. Die EU hatte 2000 in Lissabon verkündet, dass Europa 2010 global der innovativste und wettbewerbsfähigste Kontinent sein wird. Davon sind wir und insbesondere der mediterrane Süden heute so weit entfernt wie von Deinem Amerika. Vielleicht hast Du ja Vorschläge zu diesem Thema, denn nicht wenge sehen gerade darin unser größtes Problem.
    Beste Grüße

  2. Harald Münzhardt
    11. Juli 2012 um 16:23

    1) “…Euro steht und fällt mit den Entscheidungen, die Deutschland trifft. Und der beste Indikator dafür, wie Deutschland entscheidet, ist die Debatte über die Bankenunion“

    a) Der Euro ist ein Kunstprodukt. Er wurde Deutschland „aufgedrückt“ aus Furcht vor einer starken DM.

    b) Dieses Kunstprodukt hat dazu geführt, dass Kursanpassungen, wie davor über die nationale Währung, je nach wirtschaftlicher Leistung, unmöglich gemacht wurden.

    c) Prof. Eichengreen, nennen Sie nur EINEN ökonomisch sinnvollen Grund für den EUR!
    Die von Ihnen geforderte Bankenunion wäre überhaupt nur zu diskutieren, wenn der EUR ökonomisch Sinn hätte!

    2) „…Gibt es wie in den USA eine zentralisierte Aufsicht, einen gemeinsamen Einlagensicherungsfonds und eine zentrale Abwicklungsstelle,…“

    Prof. Eichengreen, Sie versuchen hier zu suggerieren, der Dollar wäre wegen Aufsicht etc. relativ stabil und sollte für den EUR übernommen werden. Nein! Das funktioniert nicht, der EUR ist seit Anfang ein Kunstprodukt!

    Die Wahrheit
    Der Dollar ist nur deswegen NOCH akzeptiert:
    Ölproduzierende Länder wurden durch die USA genötigt, den Dollar als Zahlungsmittel zu fördern.

    „Das Ende des Petro-Dollar? Indien will iranisches Erdöl mit Gold bezahlen“ youtube.com/watch?v=anf7DCsdI5I

    In dem Maße, wie die USA den Einfluss in diesen Ländern verlieren, wird der Dollar international bedeutungslos. Über den dann folgenden Zusammenbruch des Dollars könnte es auch in Amerika zu nationalen STAATLICHEN Währungen kommen.

    3) „Deutschland ist auch das eine Land, das die Ressourcen aufbringen kann, um den Euro zu retten“

    12 Billionen Schulden, davon 9 Bio Bankschulden, die Prof. Sinn sicher noch detailliert erklären wird.
    Mit Verlaub, Herr Prof. Eichengreen, mit Ihrer Aussage würden Sie Deutschland in den Bankrott schicken!

    4) „(EFSF) und der Euro-Rettungsschirm ESM werden den Banken dieses Kapital direkt zur Verfügung stellen müssen … verschlimmerte man die Krise bloß“

    Es handelt sich nicht um eine momentane Krise!
    Mit oder ohne EUR, diese sogen. Krisen sind systemimmanent und treten in regelmäßigen Zyklen auf, durch den EUR wurde die Auswirkungen nur verschleiert.

    Eine dauerhafte Lösung kann nur durch Beseitigen der permanenten Ursache erfolgen, wie Zinseszins, Geldschöpfung aus dem NICHTS etc.

    Prof. Eichengreen, mit Verlaub, Sie zeigen weder die URSACHEN auf, noch URSÄCHLICHE Lösungen.

    Zu den Ursachen ein paar Gedanken, es wäre schön, wenn Sie sich, Prof. Eichengreen, dazu äußern würden, aber zumindest Gedanken machen!

    5) Zunehmend wird der Mensch durch Automaten, Roboter, Computer etc. entlastet

    Ist es richtig, dass nur die gut bezahlt werden, die direkt am verbleibenden Arbeitsprozess beteiligt bleiben? Denn die Arbeit der dann Arbeitslosen übernimmt doch nun die Technik, oder?

    6) Immer mehr wird über Geburt, Erbschaft, Besitz und Zinsen bestimmt, wer gut lebt, bzw. wer für den Reichtum der ANDEREN tätig werden soll.

    Bitte erklären Sie, ob das richtig ist.

    7) Nicht nur in der EU sondern weltweit gibt es verschiedene Völker und immer wieder wird die Rolle der Wirtschaft betont.

    Bitte erklären Sie, sollten die Völker für die Wirtschaft da sein oder doch eher die Wirtschaft für die Völker?

    Dazu

    * Jörg Gastmann „Geldlawine“

    * Andreas Popp youtube.com/watch?v=Asc1GoUnQaM&feature=related

  3. Christoph Wirth
    11. Juli 2012 um 12:35

    Barry Eichengreen beschreibt doch die Bedingungen die am Ende eines Prozesses stehen um die Vorraussetzung dafür zu schaffen, dass der Rettungsschirm ESM die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) ablösen kann. Stand heute sind doch die Anreiz- und Sanktionsmechanism noch nicht geschaffen, ob eine wirksame Kontrolle der Fazilitäten zu ermöglichen die eine Staats- / Bankenfinanzierung oder eine direkte Bankenfinanzierung der Euro Mitgliedesstaaten ermöglicht.

    Deutschland sollte sich wie im Resumee Eichgreens angedeutet, nicht für eine vorschnelle Euro – Rettung entscheiden, ohne dass nicht jede Bedingung Deutschlands dafür umgesetzt wurde. Denn zur Wahrheit gehört auch, wir sind die einzigen, die die Euro – Zone retten können. Und in keiner der angedachten Ausführungsrichtlinien des ESM ist bisher erklärt worden, wie ein Direktorium dass Immunität genießt einer parlamentarischen Kontrolle unterstehen kann. Sogar der deutsche Michel, wie er in aller Welt verschimpft wird, begreift die Neigung keynesianischer Ökonomen Deutschlands – unabhängiger – Politik das Wort zu reden. Dabei gehört die Liquidität der USA viel genauer untersucht, als die der europäischen Union. Oder doch nicht – sonst hätten wir wirklich die Mutter aller Finanzkrisen.

    • Harald Münzhardt
      17. Juli 2012 um 15:53

      @ Christoph Wirth 11. Juli 2012 um 12:35

      „Denn zur Wahrheit gehört auch, wir sind die einzigen, die die Euro – Zone retten können“

      Das ist ein Dogma.
      Wenn es kein Dogma wäre, ließe sich das anhand von Zahlen belegen.

      1) Was sich anhand von Zahlen aber belegen lässt:

      Deutschland ist ein Land mit vor allem STARKEN 2000 Mrd Euro SCHULDEN!

      Gesamtschulden 2011 2 000 Milliarden Euro, Quote 82 % steuerzahler.de/wcsite.php/_c-43/_lkm-24/i.html

      Diese 2000 Mrd Euro Schulden allein sind für Deutschland schon erdrückend.

      Was soll Deutschland bei 12 Bio Schulden allein der Südstaaten unter diesen Voraussetzungen als „die einzigen“ sogen. Retter favorisieren????

      2) Das Grundübel aller Rettungs-Beschwörungen scheint ganz offensichtlich in der unerklärlichen Wirkung eines Euro-Götzen zu liegen

      „Die Politik ist von der Suggestions-Kraft des Kunstproduktes Euro /20/ ähnlich einem Götzen derartig beherrscht, dass sie über Dogmen und Beschwörungen andere Wege von vornherein als unbegehbar ablehnt.

      Konkret ist den Beteiligten vorzuwerfen, dass sie

      a) Logik, Rechnen und ökonomische Gesetze /7/…/11/ ignorieren

      b) gewillt sind, über das Aushebeln demokratischer Gesetze ökonomischen Gesetzen dauerhaft zuwider zu handeln /1/, /7/…/11/

      Nur durch Klagen auf Basis eines weisen Grundgesetzes und ein kluges Verfassungsgericht konnte nach dem 29.06.12 erheblicher Schaden von Deutschland und vom deutschen Volk abgewandt werden.

      Euro-Suggestion und Verfassungsbeschwerde
      freitag.de/autoren/haraldmuenzhardt/euro-suggestion-und-verfassungsbeschwerde

  1. 11. Juli 2012 um 16:16
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