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Willi Koll – Nicht wieder nur die EIB!

18. Juli 2012

Ein mehrdimensionales Wachstums- und Konjunkturprogramm für Europas Süden.
Nun also – im Gegenzug für eine erleichterte Hilfe für notleidende Banken – der „Pakt für Wachstum und Beschäftigung“. 120 Mrd. Euro schwer, zur Hälfte aus der Aufstockung des Kreditrahmens der Europäischen Investitionsbank (EIB), die andere Hälfte aus vorhandenen Strukturfonds für „wachstumssteigernde Maßnahmen“. Dazu der Appell, „weiterführende Strukturreformen“ umzusetzen. Ist das die Lösung der Misere, in der sich Griechenland, Portugal und Spanien befinden?

Ohne Zweifel hat gerade Griechenland gravierende wirtschaftliche und administrative Strukturprobleme. Ihre Aufzählung soll hier nicht wiederholt, ihre Lösung nicht vertagt werden. Aber ebenso wenig kann man verleugnen, dass wie auch im Falle Portugals und Spaniens ein massives und zunehmend gravierenderes Konjunkturproblem die strukturellen Probleme überlagert. Schließt man die Prognose für 2012 mit ein, ist die gesamtwirtschaftliche Leistung allein in Griechenland seit Beginn der Finanzkrise um rd. 20%  abgestürzt. Das aber verschärft die strukturellen Probleme bis hin zur Unlösbarkeit.

Zwar haben schockartige Lohnkürzungen um nicht weniger als ein Fünftel die preisliche Wettbewerbsfähigkeit in Griechenland ebenso schockartig verbessert; sie wurde aber – wie auch schon die Einschnitte in die öffentlichen Haushalte – mit einem drastischen Einbruch von Binnennachfrage und Beschäftigung bezahlt, der das Land wirtschaftlich und politisch lähmt. Und je höher die konjunkturelle Arbeitslosigkeit, desto stärker entwertet sich die Qualifikation der Arbeitskräfte und damit das Wachstumspotenzial. Ein Problem, das in Spanien fast noch größer ist als in Griechenland und durch den sich abzeichnenden Exodus von Fachkräften von Süd nach Nord nur noch verschärft würde.

Strukturreformen und auch der allfällige Ruf nach der Europäischen Investitionsbank (EIB) allein werden die Probleme nicht lösen. Unabdingbar ist eine konjunkturelle Wiederbelebung der Wirtschaft. Was bei einer nachfrageseitigen Krise hilft, kann man gerade an der deutschen Politik im Gefolge der Finanzkrise lernen. Deutschland hat nicht zuletzt eine rasche Umkehr der Wachstumsdynamik im Rest der Welt, insbesondere in den Schwellenländern, enorm geholfen. Die 2009 zweistellig eingebrochene Auslandsnachfrage nach deutschen Produkten belebte sich ebenso zweistellig schon im Jahre 2010.

Wichtiger war zu Beginn des Aufschwungs aber der Umschwung in fast allen Komponenten der Binnennachfrage einschließlich der notorisch schwachen Baunachfrage. Trotz der im Zuge der Finanzmarkt- und Bankenstabilisierung angespannten Fiskalsalden war Deutschland bereit, ein weiteres deficit-spending in Kauf zu nehmen. Dabei gingen die automatischen Stabilisatoren Hand in Hand mit diskretionärer Expansion. Unmittelbar zu Buche schlug die Abwrackprämie, eine mit Blick auf Innovation, Bildung und Wachstumspotenzial nicht besonders intelligente Maßnahme, die aber extrem wirksam war, wo es darum ging, durch eine Stabilisierung der Beschäftigung und des Vertrauens Zeit zu kaufen bis die zweite Stufe der Konjunkturrakete zünden konnte. Private und öffentliche Investitionen z.B. durch das energetische Gebäudesanierungsprogramm der KfW und öffentliche Investitionsprogramme gingen einher mit einem Kredit- und Bürgschaftsprogramm für Unternehmen. Nicht zuletzt die Verbesserung der Kurzarbeiterregelung brachte kurzfristige Entlastung am Arbeitsmarkt und stabilisierte die gesamtwirtschaftliche Nachfrage.

Angebots- und nachfrageseitige Elemente dieses Krisenmanagements ergänzten und verstärkten sich. Es gelang, die Menschen in den Unternehmen und in Arbeit zu halten und so ihre Qualifikation, aber auch ihre Kaufkraft und nachfragewirksame Kauflaune zu erhalten. All dies hat neben den außenwirtschaftlichen Impulsen zur Wiederbelebung der Wachstumsdynamik in Deutschland und zur Stabilisierung der Beschäftigung beigetragen.

Natürlich gibt es keine einfache Übertragung dieses Programms auf Griechenland, Spanien oder Portugal. Dennoch ist es zwingend, alle Dimensionen der deutschen Strategie einzubeziehen: ein Schirm für die Banken, für die Gesamtnachfrage, für die Finanzierung der Unternehmen und für die Weiterbeschäftigung der Arbeitnehmer. Wenn selbst ein so robuster und wettbewerbsfähiger Standort wie Deutschland sein Krisenmanagement mehrdimensional aufgestellt hat, kann man bei so fragilen Strukturen wie in den südlichen Ländern erst recht nicht auf nur eine Karte setzen.

Das heißt massive Stärkung der Binnennachfrage in Deutschland und den anderen Überschussländern, um so Importe aus den Defizitländern und Nachfrage von (Tourismus-)Dienstleistungen vor Ort anzuregen, in den Krisenländern Streckung des Konsolidierungskurses und Beendigung weiterer Lohneinschnitte, um die aktuelle Binnennachfrage so wenig wie möglich zu belasten, ferner Maßnahmen zur Beschäftigungssicherung, wie sie die arbeitsmarktpolitischen Instrumente in Deutschland ermöglichten.

Im Zentrum muss die dauerhafte Wiedergewinnung der Investitionsdynamik der Wirtschaft stehen. Hierzu gehören Anreize für die kurzfristige Stimulierung der Rentabilität privater Investitionen aus dem In- und Ausland wie z.B. ein zeitlich begrenzter, degressiver, aber spürbarer aufgestockter Investitions-Zuschuss und sonstige attraktive (Sonder-)Standortbedingungen als Hebel zur schnellen Verbesserung der Produktivität und Exportbasis. Hierbei sind Kredit- und Bürgschaftsprogramme für Unternehmen sicher hilfreich, um die akute Kreditklemme zu umgehen. Flankierend ist die Entwicklung und Modernisierung der Infrastruktur in den Regionen anzugehen. Nicht zuletzt dürften nach dem jahrelangen Überschießen die jüngsten drastischen Einschnitte bei den Arbeitskosten kurzfristig ein Investitionsmotiv sein.

Zur mittelfristigen angebots- und nachfrageseitigen Wahrung der Attraktivität und Rentabilität der Investitionen und eines binnen- wie außenwirtschaftlich ausbalancierten Wachstums muss es aber sehr bald eine dauerhafte Rückkehr zu einer produktivitätsorientierten Lohnentwicklung geben. Nur so können diese Länder wirtschaftlich und politisch stabilisiert werden. Es ist richtig, zur Finanzierung die Mittel der EU-Strukturfonds auf die besonderen Bedingungen der Länder zuzuschneiden, z.B. durch Reduzierung bzw. Stundung der nationalen Kofinanzierung. Auch die EIB kann ihre Rolle spielen, ist aber kein Allheilmittel.

Man braucht das Zusammenwirken aller angebots- und nachfragewirksamen Elemente, getragen von einer einigermaßen belastbaren politischen und administrativen Basis, um die Wachstumsdynamik wiederzubeleben. Nur wenn das gelingt, können alte Schulden bedient und neue begrenzt werden. Der „Pakt für Wachstum und Beschäftigung“ jedoch setzt bisher primär nur auf Kreditangebote, im durch nichts gedeckten Glauben, dass sich diese von selbst ihre Nachfrage schaffen. Die im Pakt enthaltene „wachstumsfreundliche Haushaltskonsolidierung besteht denn auch nur darin, dass Ausgaben „qualitativ“ verschoben werden, ohne das Kürzungstempo wenigstens zu verringern. Bleibt es bei diesen rein angebotsseitigen Maßnahmen, wäre das gerade angesichts der Fürsorge, die Deutschland in der letzten Krise der Nachfrageseite hat angedeihen lassen, und des viel gravierenderen Problems einer gleichzeitigen Struktur- und Konjunkturkrise in den südeuropäischen Länder blanker Zynismus.

 

Der Autor war langjähriges Mitglied des Wirtschaftspolitischen Ausschusses der EU und der OECD sowie des Makroökonomischen Dialogs der EU.

  1. 20. Juli 2012 um 11:53

    Richtig: Wir müssen auf allen Ebenen zahlen – Bundeshaushalt ausplündern und EZB-Money-Machine anwerfen! Ist absolut alternativlos!
    Zahlen, zahlen, zahlen … .

    Am Ende läuft das auf Gelddrucken hinaus, wie es die EZB ja schon jetzt betreibt.
    Dann wird eben die Menge an Zentralbankgeld statt „nur“ verdreifacht gleich verzehnfacht. Und schon können sich wieder so richtig hübsche Kreditblasen aufbauen, und die Reichen in den armen Ländern können uns mit (letztlich) unserem eigenen Geld noch mehr Immobilien weggkaufen (denn investieren in ihren eigenen Ländern werden die wohl kaum – die wissen ja, was und wie es bei ihnen daheim läuft).

    Respice finem! Aber das interessiert die Kapitalinteressen natürlich nicht; die wissen, in welche Richtung der Hase läuft (bzw. sie ihn treiben wollen). Und so bringen die Begüterten immer mehr von UNSEREN Schäfchen bei SICH ins Trockene!

    Nicht ohne massive mediale und politische Hilfestellung, versteht sich.

  2. ein_Liberaler
    19. Juli 2012 um 09:30

    Wie ist denn die EIB kapitalisiert? Das tatsächlich vorhandene Kapital ist ein wenig zu wenig. Nach den Spielregeln einer Geschäftsbank( Basel 1 – 3) müßte sie wohlmöglich sofort geschlossen werden. Gezeichnetes Kapital der 27 Mitgliedsstaaten 163 Mrd. Euro. Tatsächlich vorhanden sind 5 % davon ! Das sind 8,3 Mrd. Ein Fliegenschiss für das, was die vorhaben. Bei einer Bilanzsumme von 289 Mrd €. Verhältnis eingezahltes Haftungskapital zu Bilanzsumme 1:34,8 . Netter Hebel. Vergleichen wir mal mit der Berliner Volksbank. Haftungskapital (bilanzielles Eigenkapital) 2011 (ohne Mittel aus dem Konzernverbund) 621 € Mio ; Bilanzsumme 9.575 Mio € . Quote 1:15,4 . Die EIB hebelt doppelt so stark, wie eine mittlere Genossenschaftsbank. Und dass die 27 Staaten die anderen 95 Prozent auch noch einzahlen, kann nicht mal Rotkäppchen ihrer Großmutter erzählen. Dabei wäre es doch so einfach für die EIB, investiv tätig zu werden. Sie müßte nur bei ihren Eigentümern hier und heute die noch ausstehenden 154,7 Mrd. Haftungskapital anfordern. Dann könnte sie heute noch in Europa rund um sich zu „investieren“.Und angesichts der bevorstehenden Rezession ist doch auch sicher gestellt, dass sie das „investierte“ Kapital niemals zurück erhält.

  1. 20. Juli 2012 um 08:01
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