Rürup geißelt „niedergangsverliebte Wirtschaftsjournalisten“
Bert Rürup, früher Chef des Sachverständigenrats – heute Berater, hat sich in dieser Woche ebenfalls dem deutschen Außenüberschuss gewidmet. Herausgekommen ist ein Text, bei dem nicht so recht klar wird, auf welcher Seite der Autor steht.
Meine Interpretation seiner Kolumne zum Thema bei Handelsblatt-Online (hier): So schlimm sind die deutschen Exportüberschüsse zwar nicht, aber ein wenig könnte die Politik schon tun, um die exportabhängige deutsche Wirtschaft ausgeglichener aufzustellen. Dabei nimmt er vor allem auf meinen Kommentar von Montag Bezug (hier nachzulesen).
Richtigerweise stellt er fest, dass nicht nur „niedergangsverliebte Wirtschaftsjournalisten“, sondern auch renommierte Ökonomen wie Krugman und Stiglitz das deutsche Geschäftsmodell infrage stellen. Unerwähnt bleiben der Internationale Währungsfonds, die Industrieländerorganisation OECD, das gewerkschaftsnahe IMK und das eher konservative Kieler Instituts für Weltwirtschaft – um nur ein paar Kritiker zu nennen.
Nach Auffassung von Rürup sei das deutsche Geschäftsmodell weder zufällig entstanden noch am Reißbrett geplant, sondern „das Resultat von sich in über 150 Jahren herausgebildeten komparativen Kostenvorteilen unserer Volkswirtschaft.“ Mag ja sein, dass Deutschland schon immer tolle Fräsmaschinen hergestellt hat. Aber ist das eine Erklärung für das seit 2003 dramatisch gestiegene Außenungleichgewicht? Und warum verzeichnete Deutschland um die Jahrtausendwende noch ein sattes Handelsdefizit?
Immerhin spricht nach Ansicht von Rürup aber nichts dagegen, „darüber nachzudenken, ob dieses Modell auch im Falle kürzer und heftiger werdender Schwankungen der Weltwirtschaft erfolgreich sein kann.“ Einem kräftigen Anstieg der Lohnstückkosten erteilt Rürup dabei eine Absage – ungeachtet dessen, dass dafür ohnehin nur sehr wenige plädieren. Allerdings sollten neue, binnenwirtschaftlich tätige Unternehmen bessert gefördert werden – damit reiht sich Rürup ein in die Forderungen von niedergangsverliebten Journalisten und OECD.
Zudem, und hier wird’s spannend, spricht sich Rürup für Tarifabschlüsse aus, die den gesamtwirtschaftlichen Verteilungsspielraum in Deutschland voll ausschöpfen. Will heißen: Produktivitätszuwachs von 1,5 Prozent und EZB-Inflationsziel von knapp zwei Prozent machen Lohnsteigerungen von jährlich 3,5 Prozent über alle Branchen hinweg möglich. Wenn Deutschlands Exportfanatikern da mal nicht die Galle hochkommt.
Immerhin konnten viele deutsche Beschäftigte von solchen Zuwächsen in den vergangenen Jahren nur träumen. Entsprechend stagnierten die realen Konsumausgaben. Ein unheimlich unattraktives Umfeld für Investitionen in Deutschland – nach drei Rückgängen in Folge sind die Bruttoanlageinvestitionen heute übrigens wieder auf das Niveau von 2007 gesunken. Gut möglich, dass es auch die Debatte um Handelsüberschüsse heute nicht gäbe, wären die deutschen Löhne vor der Krise regelmäßig mit dem Verteilungsspielraum gestiegen.
Sg Hr. Mathias Ohanian,
Ein paar Anmerkungen (eines Nicht-Ökonomen).
1. Zum ersten Chart.
Müsste man den nicht besser inflations-bereinigt darstellen, besonders wenn man die Zahlen über einen 40-jährigen Zeitraum betrachtet?
Das würde etwas aus der Dramatik, die beabsichtigt/unbeabsichtigt durch ihre Chart-Einstellungen gesteigert wird, herausnehmen.
2. Ist der Export-Anteil im Saldo der Leistungsbilanzen seit 2007 nicht möglicherweise kleiner wie offiziell ausgewiesen? Ich möchte in dem Zusammenhang an die (zugegebenermaßen diskussionsmässig schon etwas „ausgelutschte“) Target2-Thematik erinnern. Man kann es Drehen und Wenden wie man will. Ein Teil des Export-Erlöses lummert als Forderungen auf den Konten der Deutschen Bundesbank gegenüber der EZB. Und dass die Forderungen nicht alle werthaltig und je nach Szenario im Zweifelsfall auch nicht oder nur teilweise eintreibbar sind, darüber besteht denke ich unter den Ökonomen Konsens. Es wird nur noch über die Höhe eifrig gestritten.
3. In der letzten Dekade des letzten Jahrhunderts hatte Deutschland aufgrund der Wiedervereinigung eine Sondersituation *). Man könnte jetzt spekulieren, wie sich die Leistungsbilanz andernfalls entwickelt hätte.
Wenn man diese Argumentation nicht gelten lässt, dann zeigt doch der Chart gerade, dass die Welt aus Leistungsbilanzsicht langfristig vor der Euro-Einführung noch in Ordnung war. Jetzt muss man sich alle möglichen und unmöglichen Hilfskonstruktionen mit unabsehbaren Nebenwirkungen ausdenken, um diesen Zustand wieder zu erreichen, was vorher der Markt automatisch erledigt hat.
4. Die Euro-17-Zone ist nicht die Welt, d.h. wie würde sich eine relative Verschlechterung der deutschen Wettbewerbsfähigkeit auf die Leistungsbilanz der Euro-17 Zone insgesamt auswirken?
Oder anders gefragt: In welche Richtung soll die Anpassung Euro-17-intern erfolgen?
*) http://www.uni-heidelberg.de/md/awi/forschung/dp397.pdf
„Allein seit der Wiedervereinigung hat Deutschland im Zeitraum
von 1990 bis 2002 an die Europäische Union Nettobeiträge in einem
Gesamtwert von 278,9 Milliarden DM, umgerechnet 142,6 Milliarden
Euro, umgerechnet 142,6 Milliarden Euro, entrichtet, … “
Soviel zum Thema angeblicher mangelnder Solidarität Deutschlands.