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Vereintes deutsches Ökonomenland

13. September 2012

Deutschlands Ökonomen können es nicht lassen: Nach zwei umstrittenen und teils gegensätzlichen Stellungnahmen zu einer europäischen Bankenunion wollen die beiden Lager nun einen gemeinsamen Aufruf veröffentlichen. Bis Freitag läuft die Abstimmung, zu der alle deutschen Wirtschaftsprofessoren aufgerufen sind. Nach FTD-Informationen unterzeichneten bis gestern 161 Ökonomen, fünf stimmten dagegen.

„Das Ziel der Stellungnahme ist, der Öffentlichkeit zu vermitteln, dass die Mehrheit der deutschen Volkswirte grundsätzlich einig ist“, sagte Frank Heinemann, Professor an der TU Berlin, der FTD. Tatsächlich spricht der Aufruf einige wichtige wirtschaftspolitische Fragestellungen wie das Anleiheaufkaufprogramm der Europäischen Zentralbank jedoch nicht an – zu unterschiedlich dürfte die Auffassung innerhalb der Ökonomenzunft über die möglichen Konsequenzen für Europa sein.

Der Dortmunder Statistiker Walter Krämer hatte Anfang Juli als Reaktion auf die EU-Gipfelbeschlüsse von Ende Juni eine Stellungnahme initiiert, die eine Gruppe von Ökonomen rund um den Ifo-Chef Hans-Werner Sinn unterzeichnete. Darin warnten sie vor einer europaweiten Bankenunion. Die Makroökonomen Heinemann aus Berlin und Gerhard Illing aus München reagierten mit einer zweiten Stellungnahme, welche den Vorstoß für eine Bankenunion ausdrücklich befürwortete. Beide Aufrufe fanden binnen wenigen Tagen mehr als 200 Unterstützer und sorgten für eine heftige Kontroverse, in die sich sogar die Bundesregierung einschaltete.

Mit der aktuellen Stellungnahme soll nun der inhaltliche Brückenschlag zwischen diesen beiden Gruppen gelingen. Sowohl Sinn und Krämer als auch Illing und Heinemann haben sie unterzeichnet. „Konsens ist, dass die Refinanzierung von Banken von den staatlichen Haushalten entkoppelt werden muss“, sagte Heinemann. Ein wesentliches Problem der Euro-Krise sei die enge Verknüpfung zwischen Verschuldung des Finanzsektors und der Staatsverschuldung auf nationaler Ebene, heißt es in der Stellungnahme. Staatshaushalte müssten für die Refinanzierung einstehen, umgekehrt hielten Geschäftsbanken enorme Schuldverschreibungen der eigenen Staaten. „Dadurch können Bankenkrisen zu Staatsschuldenkrisen werden und umgekehrt.“ Das Problem werde dadurch verschärft, dass Finanzakteure „sich aus Furcht vor Staatsinsolvenzen und/oder einem Auseinanderbrechen des Euro-Raums aus der Finanzierung der Krisenländer zurückziehen“.

Aus diesem Grund plädieren die Ökonomen für eine europäische Bankenunion mit einheitlichen Regulierungsstandards. Wesentlich sei die Durchsetzung „deutlich erhöhter Eigenkapitalstandards“. Geht es nach den Unterzeichnern, sollten Institute beim Kauf von Anleihen in Zukunft zudem zusätzliches Eigenkapital hinterlegen. Auch sei ein europäisches Restrukturierungsverfahren notwendig, das es ermöglichen soll, gefährdete Institute abwickeln zu können.

  1. John Doe
    20. September 2012 um 02:19

    Werden jetzt die Versuche von Neoklassikern, das Desaster der Cambridge-Kontroverse herunterzuspielen offenkundig, wird jetzt evident, dass die Ausbruchs-Versuche bisher ziemlich kläglich sind?

    Darf ab jetzt offen gesagt werden, dass Samuelson bis heute aus der Widerlegung der neoklassischen Kapitaltheorie keine Konsequenzen gezogen hat und die Debatte in seinem renommierte Lehrbuch zur Volkswirtschaftslehre hartnäckig totschweigt?

    Dürfen jetzt die vom „Sachverständigenrat“ in seinen Gutachten regelmäßig berechneten Grenzproduktivitäten und die unterstellten neoklassischen Produktionsfunktionen als Unsinn bezeichnet werden, besonders dann, wenn die Prognosen mal wieder an der Realität scheiterten?

  2. "just call me Joe"
    14. September 2012 um 20:12

    Her mit den gesunden Kontroversen um sie dann nach und nach abzubauen. Hat jemand den Mut die paralell laufenden Probleme/Kontroversen anzusprechen? Möge er/sie sich bitte zurückhalten und sich hintenanstellen, wir wollen sie alle gerne nacheinander durchdenken und durchdiskutieren schon alleine der Effizienz wegen. Nur da ist die Sache der Verknüpfungen!
    Und das Huhn, dass da behauptet zuerst dagewesen zu sein, währendessen das Ei einfach still da liegt ohne zu wissen welche Kontroverse es längst hervorgerufen hat.

  3. 13. September 2012 um 17:32

    Very descriptive post, I enjoyed that bit. Will there be
    a part 2?

  4. Harald Münzhardt
    13. September 2012 um 16:08

    Es findet, wenn auch erst langsam, ein Umdenken statt.

    Nach 1945 gab es eine lange Phase des Wiederaufbaues und dafür wurden viele fleißige Menschen benötigt und Arbeitsplätze waren gesichert. Daher gab es lange Zeit keine Zweifel an den Lehren der Schulökonomie.
    Erst mit der Sättigung der Märkte in einer langen Friedensperiode führten sinkende Nachfrage, Rationalisierung und Spekulationen zu verstärkter Arbeitslosigkeit und Verschuldung der Staatshaushalte.

    Insofern sind die Forderungen der Ökonomen logische Ableitungen aus den tatsächlichen Zahlen.
    Und, es müssen schon über einen langen Zeitraum solche Zahlen vorliegen, damit die warnenden Stimmen gegen die Interessen der noch „Mächtigen“ vor allem über die Medien Gehör finden.

    Ich sehe die Forderungen der Ökonomen als ein beachtliches Signal eines sich entwickelnden Demokratisierungsprozesses, der gewaltige Veränderungen erkennen lässt.
    Dieser „Aufstand“ der Ökonomen ist eine beachtliche Leistung, wenn man sich vergleichsweise die Erstarrung der „Poltidarsteller“ als „Durchwinkelemente“ vor Augen hält.
    Und es ist davon auszugehen, dass von den Ökonomen noch weitere Forderungen kommen werden! Und nicht nur von Ihnen!

    Harald Münzhardt

  5. Traumschau
    13. September 2012 um 13:41

    Mhh, schön und gut! Aber … warum erst jetzt? Warum so halbherzig?
    Warum nicht ein Trennbankensystem installieren? Warum nicht die Profiteure der Krise durch eine gerechtere Steuergesetzgebung an den Kosten der Krise beteiligen? Warum werden durch Sparorgien die Binnenmärkte platt gemacht und Europa in die Rezession getrieben?
    Das alles taugt nichts! Will man tatsächlich Schulden abbauen bzw. die Zinsbelastungen im System verringern, kommt man um eine gerechtere Verteilung von Einkommen und Vermögen nicht herum. Den Schulden stehen entsprechende Guthaben gegenüber. Demzufolge haben wir auch eine Guthabenkrise. Nur leider werden Schulden auf die abgewälzt, die eh´ schon kaum über die Runden kommen, während sich die Guthaben auf immer weniger Menschen konzentrieren. Was ist daran so schwer zu verstehen? Da hilft weder eine Bankenunion, noch ein ESM, noch die EZB-Interventionen.
    Aber was rege ich mich auf …

  6. blaehboy
    13. September 2012 um 11:50

    „Konsens ist, dass die Refinanzierung von Banken von den staatlichen Haushalten entkoppelt werden muss“, sagte Heinemann. Ein wesentliches Problem der Euro-Krise sei die enge Verknüpfung zwischen Verschuldung des Finanzsektors und der Staatsverschuldung auf nationaler Ebene, heißt es in der Stellungnahme. Staatshaushalte müssten für die Refinanzierung einstehen, umgekehrt hielten Geschäftsbanken enorme Schuldverschreibungen der eigenen Staaten. „Dadurch können Bankenkrisen zu Staatsschuldenkrisen werden und umgekehrt.“ Das Problem werde dadurch verschärft, dass Finanzakteure „sich aus Furcht vor Staatsinsolvenzen und/oder einem Auseinanderbrechen des Euro-Raums aus der Finanzierung der Krisenländer zurückziehen“.

    Donnerschlag!!! Das ist also Konsens. Wie schön, dass die deutschen Ökonomen es auch schon gemerkt haben.

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