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Die Kolumne – iPhone, na und?

21. September 2012

Der versprochene Wachstumsschub durchs Internet erweist sich als Bluff. Es ist gut möglich, dass die Zeit großer technologischer und wirtschaftlicher Fortschritte ganz vorbei is.

Es gibt heute eine Menge Menschen, die in Umfragen sagen, dass sie auf vieles verzichten würden, nur nicht auf ihr iPhone. Das ist emotional verständlich. Es könnte dennoch einen falschen Eindruck davon vermitteln, wie wichtig Smartphones für das Wohl der Welt sind – und für die Wachstumskraft von Volkswirtschaften. Selbst wenn man iPads, E-Commerce, Internet und alles dazunimmt, was uns der Computer so nach Hause oder ins Büro bringt.

Das Erstaunliche ist ja, dass es trotz halbjährlich globaler Hypes um jede neue Halbversion des iPhones ziemlich ruhig geworden ist um die vielen Prophezeiungen, wonach uns all die Informationstechnologien eine neue industrielle Revolution und neue Wachstumswunder bescheren.

Kommt der Schub noch? Wenn die Finanzwelt wieder in Ordnung ist? Oder war’s das schon? Das drängt die Frage auf, ob nicht die großen menschheitlichen Fortschritte, wie es sie im 20. Jahrhundert gab, überhaupt vorbei sind.

Stinkiger Mist auf der Straße

Der Frage geht jetzt in einer Studie US-Wachstumsguru Robert Gordon nach. Wobei am Anfang der Befund des Ökonomen von der Northwestern University steht, dass die Produktivitätszuwächse in der US-Wirtschaft im Grunde seit Anfang der 70er Jahre auffällig nachgelassen haben – trotz IT-Hype und nach Jahrzehnten bis dahin einmalig spektakulärer Sprünge.

Nach Schätzungen wurden die Menschen in den technologisch führenden Ländern Großbritannien und USA von 1890 bis 1972 jährlich 2,3 Prozent produktiver. Das ist enorm – gemessen daran, dass die Zuwächse für die fünf Jahrhunderte davor auf mickrige 0,2 Prozent geschätzt werden. Von 1972 bis heute verlangsamte sich der Zuwachs dann auf 1,3 bis 1,4 Prozent, unterbrochen nur von einer kurzen Episode höheren Wachstums zur Jahrtausendwende.

Wie kann das sein, wo wir ständig hören, wie schnell sich doch heutzutage alles ändert? Gestern noch iPhone 4, heute schon 5. Gordons Antwort: Weil das nichts ist gegenüber dem, was die Menschheit in der vorangegangenen Industrierevolution erlebt hat. Noch 1870 habe es zum Alltag gehört, in dunklen, durch Kerzen und Öllampen verrauchten Häusern ohne Heizung und fließendem Wasser zu leben – da mussten die Frauen jeden Liter an- und wieder wegschleppen. Da gab es in Fenstern keine Scheiben, was freien Durchflug für Keimboten bedeutete. Und da hinterließen Pferde auf den Straßen täglich geschätzte fünf bis zehn Tonnen stinkigen Mist je Quadratmeile. Da wurde man im Schnitt 45 Jahre alt.

All dies änderte sich anschließend innerhalb eines halben Jahrhunderts radikal: dank Elektrizität, Verbrennungsmotoren, fließendem Wasser, Chemie und Kommunikationsmitteln wie Telefon, Fotoapparaten, Radio und Filmen, die wiederum allesamt binnen fünf Jahren vor der Jahrtausendwende erfunden wurden.

Nehme man alle Folgeinnovationen zusammen, vom Auto übers Flugzeug bis zum Antibiotikum, werde klar, warum sich die Produktivitätszuwächse in den Folgejahrzehnten derart beschleunigten, die Lebenserwartung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hochschnellte, so Gordon. Da sei mühsames Schaffen durch Innovationen ersetzt worden. Da habe die Fortbewegungsgeschwindigkeit von drei Meilen pro Stunde zu Zeiten des Pferdebusses auf 550 Meilen in einer Boeing 1958 zugenommen.

Im Vergleich wirkt mancher Fortschritt aus dem IT-Zeitalter menschheitsgeschichtlich wie goldene Badarmaturen. Zumal bei näherem Hinsehen auffällt, dass viele Erleichterungen, die mit Computern einhergingen, schon vor Jahrzehnten ihre Wirkung gezeitigt haben, schreibt Gordon. Der erste Industrieroboter wurde 1961 von General Motors eingeführt. Word und Excel-Sheets haben mühsames Schreiben und Rechnen seit den frühen 80ern ersetzt. Und selbst die Errungenschaften von Internet und E-Commerce waren im Grunde 2005 durch. Seitdem geht es vor allem darum, das Gleiche smarter zu machen, was ökonomisch keine großen Produktivitätsfortschritte mehr mit sich bringt.

Neun Prozent mehr durch IT

Zwar habe die Internetrevolution den Fortschritt zeitweise beschleunigt; von 1996 bis 2004 lagen die jährlichen Produktivitätszuwächse in der US-Wirtschaft über zwei Prozent. Seitdem ist das Wunder aber schon wieder vorbei. Was daran zweifeln lässt, dass jetzt noch große Sprünge kommen. Gordon macht zur Veranschaulichung eine simple Rechnung auf, wonach unser Lebensstandard heute neun Prozent höher liegt, als es (gemessen am schwächelnden Trend seit 1972) ohne die zwischenzeitliche Beschleunigung in der New Economy der Fall gewesen wäre. Schön, aber nicht umwerfend. Hätte sich dagegen das hohe Tempo der Innovationen aus der Zeit der großen Umwälzungen nach 1970 fortgesetzt, läge unser Lebensstandard heute fast 70 Prozent höher – was einen Eindruck davon vermittelt, wie wenig Revolution es seitdem gab.

Man mag bezweifeln, ob das gleich heißt, dass das Wachstum von Produktivität und Wirtschaftsleistung zwischen 1870 und 1970 deshalb eine Ausnahme der Menschheitsgeschichte war. Auch Gordon räumt ein, dass schon öfter gezweifelt wurde, ob die Zeit der Innovationen vorbei sei. Wer weiß, vielleicht kriegen wir das mit dem Beamen ja noch hin.

Selbst wenn der Fortschritt nicht komplett aufhört, dürfte das aber gegenüber früheren Wundern kaum reichen. Immerhin sei ein Großteil der Errungenschaften aus der Zeit nach 1870 nicht wiederholbar, findet Gordon: Die Geschwindigkeit der Fortbewegung hat sich in den vergangenen Jahrzehnten nicht mehr erhöht.

Dann ist aber auch möglich, dass wir uns auf ein Leben ohne große Produktivitätszuwächse einstellen müssen. Was den Nachteil mit sich bringt, dass mehr als früher um die Verteilung der mageren Früchte gestritten würde, allerdings nicht heißen muss, dass es kein Wachstum mehr gibt. Das könnte für eine schöne Zeit ja auch daher kommen, dass der Wohlstand wieder etwas verteilt wird, wie das zu Wirtschaftswunderzeiten auch der Fall war – und diejenigen mehr Geld ausgeben, denen dazu bislang das Einkommen fehlte.

Viel Potenzial, über eine neue Welt zu sinnieren. Sobald wir die akute Systemkrise der Finanzära mal überwunden haben, ohne deren Lösung wir uns über solche Luxusprobleme keine Gedanken machen müssen.

Email: fricke.thomas@guj.de

  1. Schnaffke
    28. September 2012 um 08:20

    Es gab in diesem Jahr eine heftig kritisierte These, wonach Deutschlands Aufschwung im 19. Jahrhundert deutlich durch das Fehlen jeglichen geistigen Urheberrechtes unterstützt wurde.
    Dies wurde auch als eine Ursache für die wirtschaftliche Stärke Deutschlands in der Gegenwart gesehen.
    Herr Fricke, vielleicht ist dies auch global ein Faktor. Untersucht irgend jemand auf der Welt sowas?

  2. blaublütiger hochadel
    26. September 2012 um 06:52

    Bremsfortschritt der autonomen Menschmaschine

    Skizze: Die Jahreszahl 1972 fällt in der Studie von Robert Gordon in den Blick, der Zeitrahmen der 1970er Jahre: Als könne gesagt werden, dass mit einsetzender Auflösung des Weltwährungssystems fester Wechselkurse und der forcierten Liberalisierung der Finanzwirtschaft, sich der Produktivitätsfortschritt zu entschleunigen begann. Und seitdem der Druck auf die arbeitende Bevölkerung zur Beschleunigung deren Lebens- und Arbeitsabläufe unter zunehmend psycho-physischen Belastungen erhöht wurde. Was neben weitreichenden Verhaltenskanalisierungen und daraus resultierenden Verengungen auf die gesamte Palette der Wahrnehmungs-, Bewusstseins-, Bedürfnis-, Bedarfs- und Interessenlagen etc., eben insbesondere den weiten Horizont sozialer und kultureller Einflüsse auf technische und organisatorische Entwicklungen erschwert oder dezimiert.

    Tatsächlich wird seitdem eine kanalisierte, gegen Rationalitätskriterien sprechende Denkansicht präsentiert und praktiziert, nämlich den „individuellen Kraftaufwand“ zu erhöhen, anstatt Leistungszunahmen durch den verringerten Einsatz von Kraft erwirken zu können. Klar, dass damit technischer Fortschritt entschleunigt wird. Uns aber alles so wahnsinnig schnelllebig vorkommt, weil wir uns schneller bewegen sollen: Übertragung von Maschinenrhythmen auf die gesamte Gesellschaft – der Mensch wird Roboter, autonome Menschmaschine. Beschäftigungsfähigkeit heißt das im Gesetzesdeutsch.

    Oben genannte Vorgänge wären volkswirtschaftlich nicht nur ein Paradoxon, sondern sie wären irrational und ineffizient. Sie wären vergleichbar, mit angezogener Handbremse zu fahren: Gebremster Fortschritt – und Kraftverschleiß ohne Ende. Das ganze ideologisch unterfüttert mit der Indoktrinierung einer angeblichen Arbeitsethik: Jeder ist seines Glück´es Schmied.

    Dies war nur ein Skizze. Was den oben angesprochenen Zeitrahmen betrifft, so wurde schon in den 1960er Jahren – insbesondere in den USA – über nachlassende technische Innovationen diskutiert. Diesbezüglich ging es auch um Fragen staatlicher Subventionen: Um Einflüsse der Bevölkerung auf ökonomische Prozesse durch Ausweitung sozialer Demokratie oder um die Beibehaltung der Kernsubstanz der auf militärische Rüstung konzentrierten Industrien. Wir kennen die Entwicklung.

  3. Margarita Fotiadis
    22. September 2012 um 20:37

    Erinnert mich an die Anekdote von einem britischen Patentamt Direktor, der seine Mitarbeiter nach Hause schickte, weil er der Meinung war, dass in absehbarer Zukunft sowieso nichts mehr erfunden werde und somit auch der wirtschaftliche Fortschritt zum Stillstand kommen würde. Das Dilemma solcher Prophezeiungen ist, dass sich sich eine objektive Einschätzung der Bedeutung und Wirksamkeit technischer Innovationen erst retrospektiv gewinnen lässt.

  4. Peter Noack
    22. September 2012 um 08:14

    Wieder ein Beitrag mehr, dass traditionelle Ökonomie sich den Grenzen der Erkenntnis annähert. Das bedeutet allerdings auch, dass im Verlaufe von weniger als 20 Jahren eine Denkrevolution der Ökonomen stattfindet, die diese Grenzen durchbricht und die Wirtschaftslehren auf eine völlig neue Basis stellt. Heutige Vorstellungen sind dann lediglich Sonderfälle einer eher trivialen Wirtschaftsauffassung.
    Konkret: Ein Smartphone von Apple, Samsumg, HTC, Nokia usw. bringt einen Umsatzerlös von ca. 1,50 $ pro Gramm. Eine Milliarde Smartphones wiegen zusammen kaum 100 Tausend Tonnen. Wenn die technische Infrastruktur steht, ist der Material- und Energieaufwand für die Nutzung des Internet nur noch marginal zum Umsatz. Wie soll sich das traditionell ökonomisch denken lassen?
    Wo liegt der Beweis, dass der „Lebensstandard heute neun Prozent höher liegt als…“ Die normale Lebenserfahrung widerlegt diese These beeindruckend. So eine Fehleinschätzung ist nur möglich, weil ein falscher, nicht systemkonformer, Maßstab angelegt wurde. Wie soll denn mit Kriterien der Industriegesellschaft die Produktivität der Dienstleistungsgesellschaft gemessen werden? Wie will man mit den Maßstäben der Dienstleistungsgesellschaft die wissensbasierte Wirtschaft beschreiben?
    Allein die erneuerbaren Energien bringen durch ihre Innovationen eine neue Wirtschschaft
    in der Materialstruktur und in den Preisrelationen hervor. Die nächste Innovation ist schon im Anmarsch. Die Elektromobile in Verbindung mit dem GPS werden die Gesellschaft revolutionieren. Man denke sich nur, dass kein Verbrennungsmotor, kein Getriebe, kein Anlasser, Kühler, Bremsen, Auspuff usw. prodzuziert und montiert werden müssen. Niemand braucht ein eigenes Auto, weil es fahrerlos mit der App gerufen und per Handy bezahlt wird. Was passiert im Handel, wenn alle Artikel per RFID abgerecnet werden?
    Wir stehen vor der gewaltigsten Veränderung in der Arbeitswelt der Menschheit und die Akteure nehmen es kaum wahr? War das nicht immer so? Woran sollen dann die Produktivitätsdzuwächse gemessen werden? Bestimmt nicht mehr am Umsatz der Produkte.
    Wenn die Produktivität nicht mehr wächst, dann wächst auch der Wohlstand nicht mehr. Wie können dann die Wirtschaftsakteure noch motiviert werden? Spätestens dann ist es aus mit der tradierten Wirtschaftsauffassung vorbei.

  5. Ariane
    21. September 2012 um 22:39

    Interessante Gedanken. Was mir ein wenig zu kurz kommt, ist, dass durch diese Innovationen und die Änderung der Lebensumstände auch der Konsum unfassbar zugenommen hat. Zur Jahrhundertwende wohnte die Masse der Bevölkerung in einer Hütte und konnte sich meist nur ein Brot und einen Lumpen zum Anziehen kaufen. Diese Masse an Menschen wurde in den letzten 100 Jahren zur kaufenden Bevölkerung, für die dann wiederum viel mehr Erzeugnisse produziert werden mussten als damals. Das gab natürlich auch riesige Produktionssprünge für weniger innovative Dinge, aber für die plötzlich eine riesige Nachfrage bestand. Zum Beispiel so profane Dinge wie Spielzeug oder Kleidung, das konnten sich um die Jahrhundertwende meist nur die kleine obere Schicht leisten und heute sind das Massenprodukte. Daher halte ich es für zu kurz gedacht, die Produktivitätszuwächse nur auf große Innovationen zurückzuführen.
    Ich bin ebenfalls der Meinung, dass sich eine solch dramatische Umwälzung in den nächsten Jahren nicht mehr wiederholen wird, sondern lediglich hier und da kleinere Verbesserungen stattfinden werden. Wie sie auch schreiben, mit einer guten Verteilung des Wohlstands und kleineren Verbesserungen sollte eigentlich auch in der Zukunft ein ordentliches Wachstum möglich sein.

  6. Beate
    21. September 2012 um 12:22

    Haben Sie das Verbraucherschutzministerium vergessen?

    Wenn sich der Gesetzgeber nicht kümmert und Haltbarkeit, Entsorgbarkeit, … in immer engere gesetzliche Vorschriften fasst bleibt Obsoleszenz ein erfolgreiches Geschäftsmodell.

    Es gibt natürlich Gegenkräfte zur Obsoleszenz, z.B. Lohndumping.

    Irgendwann verzichtet man bei geringem Salär ganz auf dem Kauf von Mist.

    Hat Herr Gordon dazu Überlegungen angestellt?

    Was würde z.B. die Einführung von Flächentarifverträgen in den USA für den Wohlstand bedeuten?

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