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David Milleker – Neuer Ansatz bei der Fed oder das Spiel mit den Erwartungen

3. Oktober 2012

Am 13. September verkündete die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) ein neues Aufkaufprogramm für Anleihen. Konkret kündigte sie an, in jedem weiteren Monat 40 Mrd. US-Dollar an hypothekenbesicherten Anleihen (MBS) aufzukaufen, bis der Arbeitsmarkt klare Anzeichen der Verbesserung erkennen lasse. Zudem legte sie sich darauf fest, den Leitzins bis Mitte 2015 niedrig zu belassen.

Zunächst zeigt der Schritt der Fed eine unverändert hohe Bereitschaft, weiter mit unkonventionellen Politikmaßnahmen zu experimentieren, um die wirtschaftliche Lage zu verbessern. Mit dem konkreten Schritt setzt sie freilich zudem auf die praktische Anwendung der Theorie rationaler Erwartungsgleichgewichte, die wir im Folgenden zunächst darstellen und dann bewerten wollen.

Es ist schon länger bekannt, dass kollektive Erwartungen in bestimmten Bereichen maßgeblichen Einfluss auf die ökonomischen Ergebnisse haben. Das gilt unter anderem auch für die Preisentwicklung auf den Gütermärkten. So lassen sich beispielsweise mit einer erwartungsbasierten Phillipskurve für die USA sehr gute Prognosen mit Blick auf die Entwicklung der Kerninflationsrate erstellen. In dem von uns konkret verwendeten Ansatz ergibt sich die Kerninflationsrate als Funktion der Änderung der Arbeitslosenquote und den mittelfristigen Inflationserwartungen der Verbraucher, die sich aus dem Verbrauchervertrauen der Universität von Michigan ableiten lassen. Die Erwartungskomponente wirkt dabei wie eine selbsterfüllende Prophezeiung. Solange alle daran glauben, dass die jährliche Inflationsrate bei einem bestimmten Prozentsatz liegen wird, stellt sich dieses Ergebnis mittelfristig auch ein. Eine sinkende oder steigende Arbeitslosigkeit führt um diese Erwartungen herum zu einem entsprechenden Über- oder Unterschießen der erwarteten Inflationsrate. Diese Abweichung ist allerdings vorübergehend. Denn sobald sich die Arbeitslosenquote nicht mehr verändert, würden sich erwarteter und realisierter Wert wieder entsprechen.

Die Entscheidung der Fed enthält nach unserer Einschätzung jedoch noch eine zusätzliche Erwartungsebene: nämlich die Interaktion zwischen der Realwirtschaft und den Erwartungen derselben mit Blick auf die Notenbankpolitik. Nach dem Ansatz der erwartungsbasierten Phillipskurve muss die Fed nämlich bei einer Senkung der Arbeitslosenquote ein zeitweises Überschießen der Inflationsrate über ihre Zielinflationsrate hinaus zulassen. Sofern in der Realwirtschaft sogenannte „rationale Erwartungen“ dahingehend bestehen, dass die Notenbank ein solches Überschießen der Inflationsraten nicht tolerieren würde, stellt sich die Senkung der Arbeitslosenquote gar nicht erst ein. „Rationale Erwartungen“ bedeutet in der volkswirtschaftlichen Terminologie übrigens nicht, dass die Erwartung gerechtfertigt oder sinnvoll durchdacht wäre, sondern nur, dass der erwartete Zukunftspfad vollständig in die heutigen Entscheidungen einbezogen wird.

Sofern sich die Notenbank mit einer solchen Erwartungshaltung konfrontiert sieht, laufen ihre geldpolitischen Aktionen zur wirtschaftlichen Stimulierung etwa in Form von Ankaufprogrammen ins Leere, da sie an der Erwartung einer späteren, genau entgegengesetzten Kursänderung scheitern. Ein solch „negatives Erwartungsgleichgewicht“ wird etwa im Vortrag von Michael Woodford zur diesjährigen Zentralbankkonferenz von Jackson Hole oder in einem Paper von Gauti Eggertson (2003, How to fight deflation at zero nominal interest: Committing to being irresponsible) beschrieben. Um überhaupt Wirkung zu entfalten, muss die Zentralbank die Erwartungshaltung hinsichtlich ihrer eigenen Politik brechen und deutlich machen, dass sie sich anders verhalten wird. Eggertson und Woodford schlagen hierfür konkret vor, dass sich die Notenbank wahlweise bezüglich künftiger Aktionen an das angestrebte Ziel (Beschäftigung) bindet und/oder sich von vornherein auf der Zeitachse festlegt. Die Fed hat beide Ansätze mit ihrer Entscheidung im September in die Praxis umgesetzt.

Ob das Politikexperiment erfolgreich sein kann, hängt natürlich maßgeblich davon ab, ob die Diagnose eines negativen Erwartungsgleichgewichts überhaupt korrekt ist. An dieser Stelle sind wir eher skeptisch, da wir die Probleme eher beim immer noch bestehenden Verschuldungsüberhang des Privatsektors und einem weitreichenden Strukturwandel verbunden mit einem Arbeitsmarktmismatch (die Qualifikationen der Arbeitslosen passen schlecht zum Anforderungsprofil der offenen Stellen) sehen. An beiden Stellen ist eine stimulierende Geldpolitik, ob konventionell oder unkonventionell, weitgehend machtlos. Dies gilt unabhängig von den Erwartungen hinsichtlich der Zentralbankpolitik. In diesem Falle wäre die Geldpolitik im besten Falle ohne Wirkung. Im schlechten Fall würde der Privatsektor die Intention der Fed missverstehen und nicht eine Akzeptanz vorübergehend, sondern dauerhaft erhöhter Inflationsraten in die Kommunikation hineinlesen. Die Fed würde dann von einem schlechten in ein noch schlechteres Erwartungsgleichgewicht geraten, wie wir es gegenwärtig in Großbritannien erleben: schwaches Wachstum bei erhöhten Inflationserwartungen und entsprechend höheren tatsächlichen Inflationsraten.

Ganz unabhängig von den Unterschieden in der Problemdiagnose muss man der Fed allerdings zugutehalten, dass sie die Realität der Liquiditätsfalle anerkennt. In einer solchen Situation ist der Kanal von der Zentralbank über die Geschäftsbanken in die Realwirtschaft nicht funktionsfähig. Es bleibt also nichts anderes übrig, als entweder die eigene Machtlosigkeit anzuerkennen oder zu experimentieren.

  1. John Doe
    7. Oktober 2012 um 11:18

    Sehr geehrter Herr Milleker,

    30. September 2008, kurz nach dem Crash von Lehman Brothers:

    Die Top 25 Holdings / Banken in den USA verfügen über
    184.729.848 Millionen Dollar an Derivaten im Portfolio.

    30. Juni, 2011:

    Inzwischen verfügen die Top 25 Holding Companies in den USA über
    332.762.954 Millionen Dollar an Derivaten.

    Das ist ein Plus von 148.033.106 Millionen an Derivaten in nur 33 Monaten bei den Top 25 Holding Companies in den USA.

    Quelle: Rechnungsprüfer der Währungshüter der Nationalen Banken der USA

    Können Sie mir mit Hilfe der VWL erklären was da gerade passiert ist?

    Um ein Gegenargument vorweg zu nehmen:

    Wie unterscheidet die VWL „gefährliche“ von „ungefährlichen“ Derivaten?

  2. Peter Noack
    6. Oktober 2012 um 12:25

    Nimmt man den vorletzten Satz für den ersten: „… ist der Kanal von der Zentralbank über die Geschäftsbanken in die Realwirtschft nicht wirksam.“ Dazu kommt dann das Ricardosche Äquivalenztheorem, dass jeder Student der VWL im Studium kennenlernt.
    Die Erfahrung lehrt, dass die neoliberalen Wirtschaftstheorien, u. A. Monetarismus, von ihren Voraussetzungern und den vorherrschenden Annahmen den Praxistest nicht bestanden haben. Die wirtschaftlichen Ergebnisse seit der Lehmanpleite weisen überdeutlich auf wachsendes Thoriedefizit hin. Wer, wann und wie soll dieses Defizit durch neue Einsichten überwinden? Das Theoriedefizit wirkt unmittelbar und direkt auf die Politikberatung. Die Entscheidungsträgr stochern folglich im Nebel. Kein Wunder ist es, wenn das Fed experimentieren muss, ohne die Wirkungen voraus zu sehen. Die Ökonomen sind aufgefordert, endlich schlüssige Antworten für die Lösung der Finanzmarktkrise vorzustellen. Ideologische Grabenkämpfe sind dazu völlig ungeeignet. Will uns Herr Milleker diesen Rat geben? Dann sollte er von allen Wirtschaftswisssenschaltlern beherzigt werden.

  3. focus
    5. Oktober 2012 um 09:53

    Sehr geehrter Herr Millecker,

    was haben MBS mit dem Arbeitsmarkt zu tun? Haben die MBS in der Vergangenheit Arbeitsplätze geschaffen und wie viele und werden sie, wenn sie durch den Staat „gerettet“ worden sind, sofort wieder die „alten“ Arbeitsplätze, wie aus dem Nichts, zurück kehren lassen?

    Woher hat die privatrechtlich organisierte US-Notenbank dieses viele Geld?

    Ist es richtig, dass das US-Finanzministerium bisher rund $ 7.2 Trillion in die Finanzindustrie gesteckt hat? Welche Produkte der Finanzindustrie wurden damit „gerettet?

    Ist es richtig, dass die privatrechtlich organisierte US-Notenbank weitere rund $ 7.2 Trillon an Rettungsgeld für die Finanzindustrie als nötig erachtet, im Gegensatz zum Staat aber erst rund 1 % davon aus gegeben hat? Woher nimmt das FED dieses viele Geld?

    Ist es korrekt, wenn Herr Prof. Polleit die Schaffung von „fiat-money“ und dessen schädliche Wirkung mit dem technischen Mittel der Hebelung vom bis zum 208-fachen des Eigenkapitals der Banken als den alleinigen Auslöser der Krise identifiziert hat?

    Was bedeutet es für die Banken, wenn sie mehr Eigenkapital zur Risikoabdeckung vorhalten müssen? Bedeutet die Ablehnung dieser Forderung, dass bei Schieflagen von Bankprodukten jeglicher Art die Verantwortung aus gewinnorientierten, privatrechtlich organisierten Bankgeschäften dem Staat als alleinigem Bürgen die Haftung für gewinnorientierte Bankgeschäfte für alle Zukunft übertragen wird?

    Welchen Vorschlag haben Sie dieses „fiat-money“ wieder aus der Welt zu schaffen und die abgeschaffte Haftung der Banken für selbst geschaffene Schieflagen wieder zu installieren?

    „Rationale Erwartungen“ bedeutet in der volkswirtschaftlichen Terminologie übrigens nicht, dass die Erwartung gerechtfertigt oder sinnvoll durchdacht wäre, sondern nur, dass der erwartete Zukunftspfad vollständig in die heutigen Entscheidungen einbezogen wird.“

    Das Ding muß man erst so richtig wirken lassen! Etwas, was in der Vergangenheit schon mal unsinnigerweise vergraben worden ist, soll nochmals zukünftig, auch wenn es Unsinn ist, weil es unterlassen wurde darüber nach zu denken, als bloße Erwartungshaltung, sentiment, noch mals vergraben werden, um Arbeitsplätze zu schaffen. Nichts Genaues weiß man aber nicht, „Es bleibt also nichts anderes übrig, als entweder die eigene Machtlosigkeit anzuerkennen oder zu experimentieren“, und das bei einer Selbstbewertung als „exakte“ Wissenschaft, die sich überdies als Endpunkt der menschlichen Entwicklung öffentlich dar stellt. Darauf muss man erst mal kommen!

    Als gerade vorbei kommender Alien würde ich die Bremse rein hauen, den Rückwärtsgang einlegen und mit Warp 7 Reißaus vor diesem Irrenhaus nehmen!

  1. 4. Oktober 2012 um 03:59
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