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[MarktWirtschaft] Warum Investoren in chinesische Aktien gegen einen (sehr kräftigen) Strom paddeln

10. Oktober 2012

Was ist bloß mit chinesischen Aktien los? Knapp 40 Prozent Minus binnen drei Jahren und keine Anzeichen einer Gegenbewegung. Dabei kann der Rest der Welt auch von „schwächeren“ Wachstumsraten von gut sieben Prozent nur träumen. Was los sein könnte: Der demographische Faktor macht sich am Aktienmarkt bemerkbar – glauben jedenfalls die Strategen der Société Générale. Haben sie Recht, sind chinesische Aktien bestenfalls noch aus taktischen Erwägungen interessant.

Viel falsch machen konnte man seit Jahresbeginn an den Aktienmärkten eigentlich nicht: Die Geldspritzen der Notenbanken sorgten für steigende Kurse in den USA, Europa und auch den meisten Schwellenländern. Mit einer Ausnahme: China. Chinesische Aktien sind seit Ende 2009 in einem beständigen Abwärtstrend; Festlandaktien haben gemessen am Shanghai-A-Aktienindex knapp 40 Prozent verloren, Papiere in Hongkong treten seit drei Jahren auf der Stelle. Dabei war die Hoffnung vieler Investoren eigentlich, dass die Lockerung der zuvor strengen Geldpolitik der chinesischen Notenbank die Kurse beflügeln müsste. Und ist die chinesische Wirtschaft nicht auf dem besten Wege, stärker als bisher auf den Konsum zu setzen?

Inzwischen sind die Bewertungen chinesischer Aktien deutlich gesunken: Festlandaktien werden noch mit dem 13- bis 14fachen der erwirtschafteten Gewinne bewertet, wobei Pessimisten je nach Wahl des Index und der Berechnungsmethode auf einen Wert von 23-26 kommen. Der Hongkonger Hang-Seng-Index ist sogar nur mit dem 9-fachen der Gewinne bei einer zugleich attraktiven Dividendenrendite von 3,7 Prozent bewertet, chinesische Festlandsaktien mit Notiz in Hongkong (HSCEI-Index) mit dem 8-fachen der Gewinne bei 4,1 Prozent Dividendenrendite.

Das sind – gemessen an der historisch üblichen Bewertung und trotz aller bekannter Sorgen – Schnäppchenkurse und 15-Jahres-Tiefs, weshalb viele Fondsmanager zum Einstieg trommeln. Der BRIC-Erfinder Jim O’Neill etwa hält China für den günstigsten BRIC-Markt. Auch in der Zeitschrift Capital haben wir uns in diesem Jahr im Zuge von Fondsmanager-Kurzporträts zuletzt im Juni positiv zu chinesischen Aktien geäußert und stehen weiter zu unserer Einschätzung. Warum? Weil wir die losgelöste Kursentwicklung chinesischer Aktien von den Börsen großer Industriestaaten als Kaufgrund und nicht als Verkaufsgrund sehen. Und weil wir die Bewertung zum Zeitpunkt des Einstiegs für eine der wichtigsten Determinanten künftiger Kursgewinne halten (ein beeindruckender Chart dazu hier) und allenfalls ein Teil der europäischen und US-amerikanischen Srandardwerte günstig bewertet ist.

Doch was steckt neben den üblichen Sorgen vor einer harten Landung der Wirtschaft, ausufernder Inflation, einer Immobilienblase und einem vernachlässigten Shareholder Value wirklich hinter der grottigen Entwicklung der Aktienkurse der letzten drei Jahre? Die Analysten der Société Génerale haben dazu eine interessante Theorie: Sie glauben, mit der mageren Kursentwicklung wird bereits der Faktor Demographie eingepreist, da die chinesische Bevölkerung noch eine für Volkswirtschaft und Märkte vorteilhafte Struktur aufweist (viele junge Arbeitskräfte, wenige alte Rentenempfänger), dies sich aber in den kommenden Jahren ändern wird – und zwar dramatisch. Genauer gesagt liegt die Wende bereits hinter uns und begann womöglich bereits 2011.

Die möglichen Folgen der Ein-Kind-Politik für die chinesische Wirtschaft und Gesellschaft beschäftigen Forscher zwar schon länger, wobei hier oft die Frage im Vorderung steht, wann einfach nicht mehr genügend junge Arbeitskräfte „nachkommen“. Denn die Jungen halten den Lohndruck aufrecht, der bislang trotz des hohen Wirtschaftswachstums für moderate Lohnsteigerungen sorgt. Die SocGen-Strategen greifen aber den direkten Zusammenhang zwischen Demographie und Aktienmärkten auf, der ebenfalls schon länger Gegenstand wissenschaftlicher Debatten ist, die aber durch eine Studie der US-Notenbanker  Zheng Liu und Mark Spiegel im vergangenen Jahr nochmals erheblich an Dynamik gewonnen hat.

Die These von Liu und Spiegel (hier mehr dazu) lässt sich am einfachsten in einer Grafik illustrieren:

KGV und logarithmierte Ratio v. Zahl der 40-49jährigen zu 60-69jährigen

Quelle: SocGen

Der Chart zeigt das durchschnittliche Kurs-Gewinn-Verhältnis des US-Aktienmarkts und die (zur Glättung logarithmierte) so genannte „Age Ratio“ der US-Bevölkerung, bei Liu/Spiegel definiert als das Verhältnis von 40 bis 49jährigen zu den 60 bis 69-jährigen. Liu/Spiegel behaupten, die Veränderung der „Age Ratio“ erkläre gut 60 Prozent der Fluktuation in dem Kurs-Gewinn-Verhältnis, das man dem Markt zubillige:  Weil 40-49jährige die höchsten Einkommen aller Alterskohorten haben, oft bereits eine Immobilie abgezahlt haben, stark konsumieren und natürlich kräftig unter anderem in Aktien investieren zur Vorsorge. 60-69jährige wiederum stehen für jene Kohorte, die statt Aktien zu kaufen plötzlich mit dem Verkaufen von Wertpapieren anfangen und deren Konsumneigung allmählich sinkt.

Und tatsächlich: Im Jahr 1982, als die US-Aktienmärkte in einen 20jährigen Superbullenmarkt starteten, aber zuvor 15 Jahre lang kaum vom Fleck kamen, kamen auf einen 60-69jährigen im Schnitt nur 1,2 40-49jährige – das war der tiefste Stand in Dekaden.

Dann rutschten aber die nach dem 2. Weltkrieg geborenen US-Babyboomer allmählich in die „Powerkohorte“ der 40-49jährigen, und pünktlich zum Kurshoch im Jahr 2000 kamen auf einen 60-69jährigen 2,1 40-49jährige, so viel wie nie zuvor. Aktuell sind es noch 1,4, in zehn Jahren, im Jahr 2022, nur noch 1,1 (siehe Grafik unten).

Wie also ist die Lage in China? Hier spielen Aktien keine so große Rolle in der Altersvorsorge, stattdessen wandert das Geld meist in Bankkonten und vor allem den Immobilienmarkt. Dennoch sind die demographischen Rahmenbedingungen – folgt man der These von Liu/Spiegel – sehr gut, denn auf einen 60-69jährigen kommen derzeit 2,2 40-49jährige Chinesen.

Noch. Denn das Jahr 2011 markierte den Höhepunkt. Jetzt aber „altert“ die chinesische Bevölkerung in den kommenden Jahrzehnten laut aktuellen UN-Prognosen – und als Folge der Ein-Kind-Politik erheblich schneller als in den USA.

In Zahlen, jeweils die Ratio 60-69jährige zu 40-49jährige:

Aktuell: USA 1,4 – China 2,2

2020: USA 1,1 – China 1,4

2030: USA 1,15 – China 1,13

In den folgenden Jahren errechnet sich aus den UN-Bevölkerungsprognosen ein Wiederanstieg in den USA auf 1,25 – und in China ein Absacken auf 0,75!

Quelle: SocGen

Liu/Spiegel extrapolieren aus der Bevölkerungsentwicklung in den USA, dass  das durchschnittliche Kurs-Gewinn-Verhältnis in den USA bis 2025 auf gut acht sinken dürfte. Aktuell sind es übrigens etwa 16. Akzeptiert man die Bevölkerungsentwicklung als wichtigste Determinante in Veränderungen des Kurs-Gewinn-Verhältnisses am Aktienmarkt, dürfte sich das Markt-KGV in China laut der SocGen bis 2020 ebenfalls nochmals halbieren und bis 2050 theoretisch auf gut fünf (!) zusammenklappen.

Nun kann sich das Kurs-Gewinn-Verhältnis des Aktienmarkts über den Zähler und den Nenner verändern: Halbiert sich das Markt-KGV, kann das über eine Kurshalbierung vonstatten gehen. Oder aber durch eine Gewinnverdopplung. Oder eine Mixtur aus beidem. Wenn sich indes das Markt-KGV Chinas bis 2020 tatsächlich halbieren sollte, hieße das laut den SocGen-Analysten, dass „die (Unternehmens-)Gewinne um 90 Prozent oder pro Jahr um acht Prozent wachsen müssten, damit die Aktienkurse unverändert bleiben“.

Oder, umgekehrt: Unterstellt man, dass die Unternehmensgewinne weiter mit jenen 14 Prozent p.a. wachsen, mit denen sie in China im Schnitt seit 1998 (im Milch-und-Honig-Schlaraffenland der Globalisierung und des WTO-Beitritts) gewachsen sind, dass aufgrund des sinkenden Markt-KGVs nur 6 Prozent Aktienertrag pro Jahr für Investoren heraus kommen. Nominal, versteht sich.

Die Rechnung ist natürlich vereinfacht und mit vielerlei Unsicherheiten behaftet, allen voran der, dass andere Faktoren das KGV deutlich stärker beeinflussen können. So kann sich das Sparverhalten der Chinesen signifikant ändern, ebenfalls der noch stark regulierte Zufluss ausländischen Kapitals – beide Faktoren könnten das Kurs-Gewinn-Verhältnis, das man dem chinesischen Aktienmarkt zubilligt, deutlich erhöhen. Und obwohl die Prognosen bis 2040 vergleichsweise stabil sind (beide betrachteten Alterskohorten 40-49/60-69 sind ja heute schon geboren), kann eine Änderung der chinesischen Kinderpolitik die Verhältnisse ändern. Fraglich ist auch, wie viel von den (bekannten) demographischen Problemen schon heute in den Kursen enthalten ist.

Das vermutlich stärkste Argument gegen einen künftigen Zusammenhang zwischen Aktienmärkten und Demographie ist jedoch, dass der Blick in den Rückspiegel kaum weiterhelfen könnte. Denn in den Jahren 1950 bis 2000 blieben Investoren mit ihrem Geld in der Regel in ihrem Land (oder müssen es sogar wie heute die Chinesen), was dafür spricht, dass die Zusammenhänge so WAREN 1950-2000. Das trifft aber keine verlässliche Aussage darüber, ob es künftig so sein wird. Seit spätestens Ende der 90er ist schließlich auch Geldanlage „globalisiert“, die Kapitalströme gehen über Landesgrenzen hinweg, was die Effekte der Demographie mildert. Kurz: Ein Investor in einem Land mit für den Aktienmarkt „schlechter“ demographischer Prognose wie Deutschland packt sein Geld eben in ein stark wachsenden Land. Und eine DAX-Firma in einem „alterndern“ Land wie Deutschland exportiert zudem auch in junge und schnell wachsende Volkswirtschaften.

Zumindest sollten sich Investoren aber darauf einstellen, dass sie in Ländern mit einer negativen demographischen Entwicklung im Sinne des von Liu/Spiegel erfundenen „M/O-Indikators“ der Generation „60-69“ zu „40-49“ gegen den Strom schwimmen und die fundamentale Analyse der Märkte auf Basis des „historisch üblichen Bewertung“ irreführend sein kann. Schließlich schlägt eine unvorteilhafte demographische Struktur aus immer weniger Jungen und immer mehr Alten bei Aktienanlegern zweifach ein: Auf volkswirtschaftlicher Ebene mit potenziell geringerem Wirtschaftswachstum und höherem Inflationsdruck . Und im Anlageverhalten, weil die strukturelle Nachfrage sinkt.

  1. 11. Oktober 2012 um 16:52

    Aber jetzt hat China doch den Literaturnobelpreis gewonnen: http://mosereien.wordpress.com/2012/10/11/mo-yan-umfrage/ Aufschwung!

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