Startseite > Chefökonom > Die Kolumne – Deutschlands schräger Aufschwung

Die Kolumne – Deutschlands schräger Aufschwung

8. November 2012

Von wegen Boom der Binnennachfrage. Die hiesige Wirtschaft hängt schon wieder gefährlich einseitig am Export. Stoff für neuen Ärger mit Barack Obama.

Zwei Jahre ist es her, dass US-Finanzminister Timothy Geithner für Wirbel sorgte, als er vorschlug, Limits für Überschüsse im Außenhandel festzulegen. Was auf Deutschland und die hiesigen Exportüberschüsse zielte. Seitdem scheint es ruhig geworden, ist von Kritik nichts mehr zu hören, was eine Zeit lang auch daran zu liegen schien, dass in Deutschland endlich auch die Binnenkonjunktur besser lief, es zumindest danach aussah.

Womöglich ein Trugschluss. Seit ein paar Monaten passiert klammheimlich das Gegenteil, scheint die Konjunktur hierzulande wieder gefährlich einseitig vom Export getragen. Was bedeutet, dass die Wirtschaft mangels Binnenkonjunktur viel näher an einer Rezession steht als allgemein prophezeit. Und dass es schon bald vom neuen alten US-Präsidenten und seinem Finanzminister wieder Protest geben könnte, diesmal unangenehmer als vor zwei Jahren. Immerhin wären die Deutschen dann die Einzigen, die so gut wie nichts zum Abbau der globalen Ungleichgewichte beigetragen haben. Von wegen boomende Binnenkonjunktur.

Neue Krisenkandidaten

Seit Monaten steigt der Überschuss deutscher Exporte gegenüber den Importen rasant. Im Spätsommer lagen die Ausfuhren um rekordverdächtige 16 Mrd. Euro über den Einfuhren – in einem einzigen Monat. Das hat es seit Januar 2008 nicht gegeben – dem Jahr, als der weltweite Mix aus Rekordüberschüssen und entsprechend gefährlichen Defiziten anderer zur Krise beitrug (siehe Grafik). Dabei schien das Ungleichgewicht im deutschen Außenhandel seit 2008 bereits spürbar nachzulassen. Jetzt ist es fast wieder so groß wie vorher – der Handelsüberschuss dürfte 2012 rund 30 Mrd. Euro höher liegen als 2009.

Die Trendumkehr wirkt umso bizarrer, als Europas viel kritisierte Krisenländer ihre Außenbilanzen dramatisch verbessern, auch gegenüber den Deutschen – wenn auch teils auf brutale Art. Unser Überschuss mit Spanien ist von vierteljährlich zeitweise 7 Mrd. Euro auf zuletzt 2 Mrd. implodiert – den niedrigsten Stand seit Ende der 90er-Jahre. Der Überschuss mit Italien raste seit Sommer 2011 von 4,3 auf nur noch 2 Mrd. Euro – seit die Wirtschaft (auf deutsche Austeritätsempfehlung hin) unnötig in die Rezession geriet. Der deutsche Positivsaldo mit Portugiesen und Griechen sackte auf je ein Drittel.

Die Frage liegt nahe: Wie kann es da sein, dass der deutsche Exportüberschuss trotzdem neue Rekorde erreicht – wenn die vermeintlichen Schluderer teils kaum mehr Defizite haben? Logisch: Da muss es jetzt andere geben, die umso mehr Defizit einfahren und sich verschulden – so wie einst die, die (auch) deshalb heute in der Krise stecken.

Der Befund hat es in sich. Zu den Kandidaten zählt Frankreich. Hier ist der deutsche Überschuss an Exporten seit 2009 um rund die Hälfte gestiegen. Im Frühjahr verkauften die Deutschen beim Nachbarn für fast 10 Mrd. Euro im Quartal mehr, als sie dort einkauften. Einsamer Rekord. Ähnlich spektakulär ist die Trendumkehr im Handel mit Asien. Noch Ende 2008 hatten die Deutschen mit den Billglohnländern ein enormes Defizit (6,4 Mrd. Euro). Seit Ende 2011 gibt es hier – Achtung – Überschüsse.

Politisch nicht ganz unwichtig: Der Überschuss ist selbst im Handel mit den USA auf Rekordkurs. Nachdem der Saldo 2009 auf nur noch 3 Mrd. Euro gesunken war, schnellte er dieses Frühjahr auf gut 7,5 Mrd. Euro. Das hat es noch nie gegeben. Jetzt werden solche Diagnosen schnell damit gekontert, dass wir tolle Exporteure haben. Klar. Nur ist das bestenfalls die halbe Wahrheit, lässt sich der Trend zu Schuldnern nur bedingt auf die Schludrigkeit anderer schieben. Die Lohnstückkosten steigen in Deutschland seit Jahren stärker als bei vielen Konkurrenten. Die USA haben ihren Gesamtexport in dieser Zeit stärker ausgeweitet als wir.

Wenn die Deutschen überhaupt global wettbewerbsfähiger geworden sind, dann wegen der krisenbedingten Euro-Schwäche, die Waren im Ausland verbilligt – zweifelhafter Verdienst. Der Hauptgrund für das Wiederhochschnellen des Handelsüberschusses liegt auf der anderen Seite der Bilanz: bei der Schwäche der deutschen Importnachfrage.

Die Dynamik schwindet

Seit sich die Euro-Krise zugespitzt hat, schwindet aller Beteuerung zum Trotz die Dynamik der Binnennachfrage. Für deutsche Verhältnisse mag es nach zehn tristen Jahren toll wirken, dass die Verbraucher 2012 real ein Prozent mehr ausgeben. Das ist so weit vom Konsumboom entfernt wie die Erde vom Mars. Die Bauinvestitionen sind nach ein paar guten Quartalen wieder gesunken. Und die Unternehmen investieren trotz rekordtiefer Zinsen seit einem Jahr stetig weniger im Inland, offenbar aus Angst vor der Euro-Krise. Ein Drama. Kein Aufschwung. Ergebnis: Die Importe aus Asien wachsen kaum noch, aus China tendieren sie im Trend sogar eher abwärts. Selbst aus Euro-Krisenländern kaufen die Deutschen kaum mehr ein.

Da darf man sich nicht wundern, wenn die Überschüsse hier wieder wachsen – und so die Schulden der anderen. Die nächste Krise kommt bestimmt. Entweder weil irgendwann auch mal Welthandel und Export kriseln – und dann keine Binnennachfrage zum Ausgleich da ist. Oder weil es dem neuen alten US-Präsidenten zu viel wird. Und aus Übersee wieder kreative Ideen kommen, wie man Länder stoppt, die gern anderswo verkaufen – aber nicht einkaufen. Ob die Abschaffung der Praxisgebühr da hilft? Fortsetzung folgt.

Email: fricke.thomas@guj.de

  1. 11. November 2012 um 17:33

    „Der Zins ist ja sicher ein besonderer Reiz für den Sparer. Aber nötig ist dieser besondere Reiz nicht. Der Spartrieb ist auch ohne diesen Reiz stark genug. Übrigens, so kräftig der Zins als Sparreiz auch wirken mag, so ist er doch keinesfalls stärker als das Hindernis, das der Zins dem Sparer errichtet. Infolge der Zinslasten heißt sparen heute für die Volksmassen – entsagen, entbehren, hungern, frieren und nach Luft schnappen. Denn gerade durch den Zins, den der Arbeiter erst für andere aufbringen muß, wird der Arbeitsertrag so stark beschnitten, daß in der Regel der Arbeiter an Sparen überhaupt nicht denken kann. Ist also der Zins ein Sparreiz, so ist er in noch stärkerem Grade ein Sparhindernis. Der Zins beschränkt die Sparmöglichkeit auf ganz kleine Kreise, und die Sparfähigkeit auf die Wenigen aus diesen Kreisen, die den nötigen Entsagungsmut dazu haben. Sinkt der Zins auf Null, so steigt der Arbeitsertrag um den vollen Betrag der Zinslasten, und entsprechend erweitert sich die Sparmöglichkeit und Sparfähigkeit. Und es ist doch sicher leichter, von 200 Mark, als von 100 Mark 5 Mark zu sparen. Und wahrscheinlich wird derjenige, der durch die Zinsaussichten mitbestimmt wurde, bei 100 Mark sich und seinen Kindern 10 Mark am Munde abzusparen, bei 200 Mark ohne jenen Reiz, aus natürlichen Spartrieben, wenn auch nicht 110 Mark, so doch erheblich mehr als 10 Mark sparen.“

    Silvio Gesell

    Also, liebe Sparer, kommen Sie gar nicht erst auf die Idee, den „großen Investor“ spielen zu wollen, und beachten Sie stets das 3. Gebot:

    http://www.deweles.de/globalisierung/die-3-gebote.html

  2. Peter Noack
    11. November 2012 um 10:47

    Trotz Reallohnzuwachs kein Boom auf dem deutschen Binnenmarkt!
    Prof. Dr. Fricke legt den Finger auf die brennende Wunde. Trotz aller entgegengesetzten Behauptungen unserer Wirtschaftsweisen und der Forschungsinstitute, siehe Gutachten 2011 und 2012, dümpelt der Binnenmarkt weiter vor sich hin. Das lässt sich schon daran erkennen, dass der reale private Konsum erst 2012 wieder das Niveau von 2005 erreicht. Von Aufholungsprozess oder Trendwachstum kann keine Rede sein. Warum ist das so? Diesem Thema sollte sich die FTD bis zur Bundestagswahl 2013 und auch danach intensiv widmen. Immer wieder sollten dazu Beriträge die Wirtschaftszeitung prägen. Mit den Lesern könnten Diskussionen geführt werden und die Wirtschaftsexperten müssten Stellung beziehen. Ziel dieser Kampagne sollte sein, ein besseres Konsumklima in der Öffentlichkeit zu verankern.
    Ein annähernd günstiges Konsumwachstum sollt zumindest real ca. 3 % jährlich erreichen. Das wären dann nominal rund 5 % des verfügbaren Einkommens jährlich. Gemessen an der Prognose der Forschungsinstitute müsste sich der private Konsum fast verdoppeln. Das wären statt 45 Mrd. für 2013 etwa 75 Mrd. Diese zusätzlichen 30 Mrd. wären noch kein Ausgleich für den Konsumstreik der vergangenen Jahre.
    Damit 30 Mrd. Euro mehr konsumiert werden können, müsste die Sparneigung sinken. Statt jährlich den Sparbetrag zusätzlich um 5 Mrd. zu steigern, sollten die Deutschen weitere 5 Mrd. entsparen oder auf Kredit konsumieren. Beides findet derzeit nicht statt.
    Die 30 Mrd. Euro zusätzlicher Konsum beschäftigen rund 300 Tausend im produktiven Sektor und noch einmal ca. 300 Tausend im Dienstleistungssektor. Die Arbeitslosigkeit sinkt und die Kosten für die Sozialleistungen ebenfalls. Gleichzeitig steigen die Steuereinnahmen und die Einnahmen der Sozialkassen. Die Beitragssätze könnten sinken und die Kassenlage sich zusätzlich stabilisieren. Insgersamt steigt die Zufriedenheit der Deutschen und auch die Zukunftssicherheit. Wirtschaft und Wirtschaftspolitik verändern ihr Erscheinungsbild grundlegrend. Sollte das nicht genug Grund sein, die meinungsbildende Kraft der Medien darauf zu richten? Für die FTD möchte ich mir das aus vollem Herzen wünschen. Vielleicht gelingt das ja schon nächste Woche.

  3. Christoph Strebel
    10. November 2012 um 15:40

    Tja, was tun? Was haltet Ihr von Exportzöllen? Oder von EU-weiten und EU-zentralen Steuern für Unternehmen und Kapitalerträge und Erbschaften?

  4. fenfir
    10. November 2012 um 13:48

    Ich vermisse den langfrist Plan in Deutschland
    Arbeitnehmer planen nur bis zum nächsten Zahltag
    Manager bis zum nächsten Quartal und wie sie die höchsten Boni bekommen
    Politiker bis zur nächsten Wahl,
    Parlament oder in die Firma für die man Gesetze gemacht hat.

    Ich gehöre zur kommenden Rentnerschwäme.
    Deutschland muß jetzt Exportüberschüsse erziehlen,
    um dann damit Importe zu finanzieren wenn viel in Rente sind.
    Heute den Griechen Kredit geben und Morgen dort die Rente geniesen.
    So müsste der Plan aussehen.

    Dazu müssen die Einkommen aber anders verteilt werden.

  5. R.B.
    10. November 2012 um 11:08

    Sg Hr. Fricke,
    Klingt ja auf den ersten Blick ganz logisch was Sie schreiben.

    Ich möchte nur folgendes zu bedenken geben:

    1. Die Leistungsbilanz der Eurozone als Ganzes ist m.W. mehr oder weniger ausgeglichen.

    2. In einer alternden Bevölkerung ändern sich zwar die Konsumausgaben (werden in der Tendenz niedriger) aber weniger die Konsumgewohnheiten.
    Aufgrund der Trägheit in den Konsumgewohnheiten wird ja deswegen in der Werbung vor allem das junge Publikum umgarnt, obwohl das eigentlich vordergründig aufgrund der relativen Kaufkraftverschiebung hin zu älteren Semestern keinen Sinn ergibt.
    Etwas plakativ: „Einmal Mercedes, immer Mercedes“.
    Hinzu kommt noch der Trend zur Regionalisierung insbesondere im Lebensmittelsektor.

    3. Die gesetzliche Rente wird für viele (bald) künftige Rentner (Stichwort: Baby-Boomer) hinten und vorne nicht reichen, was den Konsum auf Kosten des Sparens dämpfen sollte.

    4. Sie schreiben:
    „Wenn die Deutschen überhaupt global wettbewerbsfähiger geworden sind, dann wegen der krisenbedingten Euro-Schwäche, die Waren im
    Ausland verbilligt – zweifelhafter Verdienst“.
    Vielleicht richtig. Das kommt davon, wenn man einen natürlichen Regelmechanismus außer Kraft setzt.

    5. Wie schon zahllose Male erwähnt: Ein Teil der Export-Erlöse in den südeuropäischen Raum liegt in Form von Target2-Forderungen bei der Bundesbank. Ohne den Euro und ohne dieses Verrechnungssystems wäre also ein gewisser Anteil des Exports gar nicht möglich gewesen, sondern hätte sich auf natürliche Weise gedeckelt. Siehe auch Punkt 4.

    Ich gewinne bei den Redakteuren der FTD den Eindruck, dass man sich lieber auf die Zunge beißt anstatt das Naheliegende auszusprechen.

  6. Very Serious Sam
    9. November 2012 um 18:43

    Woher soll denn auch die Binnennachfragensteigerung kommen? Seit ca. 1998 sorgt eine übergroße Koalition aus allen relevanten politischen Parteien, den DGB-Gewerkschaften, den Arbeitgebern, und unzähligen Ökonomen dafür, dass die inflationsbereinigten verfügbaren Einkommen der großen Mehrheit der Bevölkerung sinken.

    Ausnahmen sind wenige Berufsgruppen wie z.B. Beamte, Ärzte, Piloten, Unternehmer, Banker und Manager. Also, woher soll die Steigerung der Binnennachfrage kommen?

    • Indigo
      14. November 2012 um 17:43

      Schon wieder die Beamten. Hier mal einige Fakten zu meinen Reallohnzuwächsen. Vor sechs Jahren wurde in Niedersachsen das Weinachtsgeld und das Urlaubsgeld komplett gestrichen, das ist eine Einbuße von ca. 15%. Die jährlichen Lohnsteigerungen sind entweder ganz ausgefallen, wenn wir Glück hatten, folgte in einigen Jahren ein zeitversetzte Anpassung an die Lohnerhöhung der Angestellten.
      Bevor man also irgendwelchen Unsinn schreibt, sollte man sich vorher sachkundig machen.

  7. Traumschau
    9. November 2012 um 15:53

    Lieber Herr Fricke,
    ein sehr guter Beitrag! Vielen Dank!
    Die Daten belegen, was viele schon zu Beginn der Währungsunion voraus gesehen haben.
    In einer Währungsunion ist die Einhaltung des vereinbarten Inflationsziel (2%) unerlässlich. So wie Deutschland immer dagegen verstossen hat und unter dieser Marke geblieben ist, demgegenüber die Südstaaten über dieser Zielmarke gewirtschaftet haben, war die Krise abzusehen. Das Lohnniveau in Deutschland ist also gemessen an der Produktivität viel zu gering. Das erklärt auch die schwache Binnennachfrage. Anstatt man aber jetzt mal gegensteuert, z.B. die Tarifpartner zu weit höheren Lohnabschlüssen auffordert und einen gesetzlichen Mindestlohn einführt, wird weiterhin so getan als hätten wir noch die DM – nach uns die Sintflut. Zu allem Überfluss musste ich heute lesen, dass der Sachverständigenrat die derzeitige Politik fortsetzen, verstetigen, ja sogar ausbauen will. Wie unsere Nachbarn da eine Chance haben sollen, ihre Ungleichgewichte abzubauen, erschließt sich mir nicht. Zu allem Überfluss wird ein Sparpaket nach dem anderen verordnet, obwohl klar sein muss, dass die Binnenmärkte der Krisenländer damit zerstört werden. Was macht ein Land, dessen Binnennachfrage 3/4 der Wirtschaftsleistung ausmacht, die Defizite zudem stetig erhöhen muss und noch zum Sparen verdonnert wird?
    Ganz klar: Es wird früher oder später zu einer nationalen Währung zurückkehren müssen.
    Keine Regierung der Welt kann das politisch überleben. Die Unruhen werden zunehmen, Europa wird gespalten. Aber vielleicht ist es das, was man tatsächlich will?
    Wem nutzt das?

  1. 19. November 2012 um 22:11
  2. 9. November 2012 um 10:33
Kommentare sind geschlossen.
%d Bloggern gefällt das: