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Schäubles Küchenökonomie fürs Kriseneuropa

26. Mai 2014

In Europa feiern Rechts- und Linkpopulisten atemberaubende Aufschwünge. Und eins scheint schon klar: daran sind alle Möglichen Schuld. Nur wir nicht. So hat es jedenfalls unser Finanzminister vorauseiland am Freitag bereits verkündet – in einem wahrlich sagenhaften Interview mit, sagen wir, recht origineller Beweisführung, warum die dramatischen Arbeitslosenzahlen und Nationalistenerfolge überhaupt gar nichts mit der Austeritätspolitik zu tun haben, die unsere Bundesregierung dem Rest Europas gegen alle Bedenken und historische Präzedenzkatastrophen in den vergangenen Jahren empfohlen hat.Auf die Frage der Kollegen vom „Wall Street Journal“, ob der (absehbare) Höhenflug der Populisten nicht der Preis für die Austerität sei, kontert Wolfgang Schäuble erst mit der Feststellung, man habe mit der eigenen Krisenpolitik doch die Euro-Zone stabilisiert, wie man sehe. Definitionssache. Um dann gleich dem Einwand zu begegnen, dass dies aber hohe Arbeitslosigkeit gebracht habe: mit der erstaunlichen Doppel-These, dass die lange Rezession ja nun mit Lehman Brothers, also der Finanzkrise aus den USA, zu tun gehabt habe – und die Arbeitslosigkeit, die „wir überall haben“, mit der „dramatischen technologiebedingten Transformation der Arbeitsmärkte“. Und halt mit der globalisierten Konkurrenz. Ups.

Nun wollen wir ja nicht behaupten, dass es für Arbeitslosigkeit immer auch mehrere Gründe gibt. Und natürlich hat politisch auch jedes Land seine Eigenart, wenn es um die Populisten geht (die Österreicher brauchten gar keine Krise, um die Rechtsnationalen zu kriegen). Nur liegt die Arbeitslosigkeit in manchen Ländern nunmal sehr viel höher als in anderen – und sie ist in manchen eben sehr viel stärker gestiegen als anderswo.

In Griechenland ist die Arbeitslosenquote heute zweieinhalb mal so hoch wie 2008, in Irland (plus 104 Prozent), Portugal (114) und – Achtung – den Niederlanden (116) mehr als doppelt so hoch, ebenso wie in Dänemark (100), wo die Rechten gestern knapp ein Viertel der Stimmen bekamen. Italien kommt auf ein Plus von 82 Prozent und Frankreich auf knapp 40 Prozent.

All das ist durch den Küchenökonomie-Verweis auf technologische Arbeitslosigkeit oder die Brüder Lehman nicht wirklich erklärbar. Die Ergebnisse liegen teils dramatisch über dem internationalen Schnitt vergleichbarer Länder – obwohl es wenig plausible Gründe gibt, warum Schäubles Finanzkrisen- und Technologie-Folgen dort ausbleiben sollten. Die Finanzkrise ist ja – in der Tat – in den USA ausgelöst worden, wo die Globalisierung ebenfalls zu spüren ist. Warum ist die US-Arbeitslosenquote dann heute nur 28 Prozent höher als 2008 – und nicht 100 Prozent; und warum fällt sie schon seit geraumer Zeit wieder? Warum steuern die Amerikaner wieder auf eine Quote unter sechs Prozent zu – und verharren nicht bei 25 Prozent, wie die Spanier; oder bei mehr als 10, wie die Franzosen?

Die plausiblere Erklärung ist eine andere. Die größten Arbeitsmarktkatastrophen hat es relativ unzweideutig dort gegeben, wo die Regierungen – auch von unserem Finanzminister – zu den ebenfalls dramatischsten Austeritätsprogrammen gedrängt worden sind – statt dazu, erstmal die Wirtschaft zu stabilisieren und auf mittelfristig kontinuierlichen Defizitabbau zu setzen, wie es die Amerikaner, wenn auch etwas holprig, praktiziert haben. Nirgendwo sonst wurden derart brachial Ausgaben gekürzt, Steuern angehoben und strukturelle Staatsdefizite damit so rapide abgebaut wie in Griechenland (um 17 Prozent gemessen an der Wirtschaftsleistung), Irland (9,5 Prozentpunkte), Spanien (8,7), Portugal (8,4), den Niederlanden (4,8), Italien (4,3) und Frankreich (4,1). So ein Schock musste nach aller Erfahrung zu einer dramatischen wirtschaftlichen und sozialen Krise führen, die wiederum den tatsächlichen Defizitabbau bremst. Und zu Arbeitslosenquoten, die kein politisches System einfach so aushält.

Vor alledem ist die Bundesregierung von etlichen Experten (zugegeben, weniger in Deutschland) gewarnt worden. Sie hat ihr Austeritätsdogma (für andere) trotzdem durchgezogen – und genau die Desaster ausgelöst, die zu befürchten waren. Jetzt so tun, als habe all das mit Lehman und irgendwelchen Technologieschüben zu tun, ist entweder ein Anzeichen für ökonomischen Autismus – oder unfassbar unaufrichtig. Es wäre wahrscheinlich zu viel verlangt, wenn der Finanzminister zwei Tage vor so einer Wahl den Mut gehabt hätte, so einen dramatischen Einschätzungsfehler auch einzugestehen. Da herrscht Küchenökonomie. Ein Drama ist das trotzdem. Es geht ja  auch darum, aus Krisen zu lernen und solche Fehler künftig zu vermeiden.

A propos: das politische Kuriosum dieser Europa-Wahl ist vor diesem Hintergrund der Schub, den die Nationalträumer der Alternative für Deutschland bei uns erlebten. Die Deutschen haben weder Austerität mitmachen müssen – auch dank der niedrigen Zinsen, die unser Finanzminister als Krisengewinner mitnehmen durfte. Noch ist die Arbeitslosigkeit nach der größten Finanzkrise seit Jahrzehnten höher. Nicht einmal die arg befeuerte Sorge vor hohen Lasten, die wir zahlen müssen, ist bisher ja real geworden. Im Gegenteil: Unsere Arbeitslosenquote ist heute um ein Drittel niedriger als 2008, vor Ausbruch der Krise. Protest!

  1. Ein interessierter Bürger
    27. Mai 2014 um 11:54

    Viele Fragen… komplexe Antworten…

    Zunächst einmal zu der Frage, warum die Arbeitslosenzahlen in den USA fallen:
    Dies liegt an statistischen Effekten, denn als arbeitslos gilt nur, wer innerhalb eines zeitlich limitierten Zeitraums keinen Job mehr gefunden hat.

    Schaut man sich hingegen die Beschäftigungsquote an (Civilian Labor Force Participation Rate), dann sieht man, dass auch in den USA die Beschäftigungsquote immer weiter gefallen ist, d.h. immer weniger Menschen immer mehr Menschen mitversorgen müssen.

    Dort findet sich jene Arbeitslosigkeit, welche angeblich verschwunden ist.

    Dann zu den Ursachen der Arbeitslosigkeit:
    Technologischer Fortschritt kann neue Jobs schaffen, diese aber auch vernichten. Nämlich dann wenn höhere Produktivität auf begrenzte Nachfrage trifft.

    Auf einem endlichen Planeten soll solch etwas schon einmal vorkommen…

    Was dann geschieht ist recht einfach:
    Weil mehr produziert werden könnte als benötigt wird, führt dies zu Arbeitslosigkeit, welche sich dort manifistiert, wo die geringste Wettbewerbsfähigkeit vorliegt.

    Also zu exakt jenem Effekt, welchen wir beobachten.

    Wenn Sie nun gegen die Austerität wettern müssen Sie allerdings auch sage, woher das geld für eine andere staatliche Ausgabenpolitik kommen soll:

    Etwa durch Neuverschuldung, d.h. unsolide Staatshaushalte?
    Oder vielleicht doch besser durch höhere Steuern?

    Welche Steuern sollen dann erhöht werden?
    Die MwSt?
    Die Steuern auf Einkommen und Unternehmensgewinne?

    Oder sollten nicht vielmehr zuerst Steuerschlupflöcher geschlossen werden und jene daraus entstehenden staatlichen Mehreinnahmen zur Milderung der Austerität verwendet werden?

    • 28. Mai 2014 um 14:30

      Sehr geehrter interessierter Bürger, vielen Dank für Ihre Anmerkungen. Dass viele Amerikaner aus der Arbeitslosenstatistik gefallen sind – bzw nicht mehr aktiv nach einem Job suchen – ist natürlich richtig. Es sind aber ungeachtet dessen in den USA seit dem Tiefpunkt der Rezession Ende 2009 rund 8 Millionen Arbeitsplätze entstanden, und die Beschäftigung liegt jetzt nur noch eine Million unter dem Rekord von 2007. In der Euro-Zone gibt es alles in allem heute 5,5 Millionen Jobs weniger als vor der Krise, und es gibt bestenfalls erste zarte Anzeichen für eine Trendwende. Das sind schon gewaltige Unterschiede, die sich durch den allgemeinen technologischen Fortschritt sicher nicht erklären lassen. TF

      • Ein interessierter Bürger
        28. Mai 2014 um 15:34

        Welche Qualität (Einkommen) haben denn jene neu geschaffenen Arbeitsplätze?

        Außerdem bringt es ja nichts, wenn die Bevölkerungszahl schneller wächst als die Anzahl der Jobs, denn dann beobachten Sie exakt das, was ich beschrieben habe:

        Die Beschäftigungsquote fällt, d.h. (relativ) weniger Menschen müssen für (relativ) mehr Menschen Einkommen erwirtschaften. Insgesamt steigt die Anzahl der Beschäftigten aber natürlich, denn eine steigende Bevölkerungszahl bedingt auch eine steigende Nachfrage und damit mehr Jobs…

        Zusätzlich gilt es zu beachten, dass in den USA noch immer 4$ an Kredit generiert werden müssen (Volumen der Bankkredite + Volumen der Anleihen), um 1$ an zusätzlichem BIP zu generieren. (-> FED St’Louis, TCMDO+TOTBKCR).

        Ein Großteil jener „neuen Jobs“ basiert also (wie vor der Krise in USA/ES/GR) auf ineffizienter Kreditvergabe, d.h. ist nicht nachhaltig… Was bringt es also, wenn jene Jobs nur „auf Kredit“ entstanden sind und jene Kredite nicht effizient sind? Doch nur zeitweilige Statistikschönung.

        In der Eurozone ist hingegen die zuvor durch eine Kreditblase generierte Beschäftigung weg gefallen, was zwangsläufig zu hohe Arbeitslosenzahlen führte. Nun aber steigt das BIP bei sinkender/stagnierende Kreditmenge, d.h. verstärkt werden zuvor ineffiziente Kredite durch rentablerer Kredite ersetzt.

        Das hilft den Leuten in der Eurozone derzeit zwar nichts, aber was hilft es einem US-Bürger, wenn er zwar einen Job bekommen hat, davon aber wegen des extrem niedrigen Einkommens nicht/kaum leben kann?

        Das Resultat ist dann doch nur, dass man in der Statistik einen Job hinzu addieren kann, denn jene Angabe der Anzahl der Jobs sagt ja nichts über deren Qualität aus:

        Stellen Sie sich vor, 1000000 Menschen verlieren einen zuvor zu 30000$ p.a. bezahlten Job und werden „nach der Krise“ wieder in einem Job zu 15000$ p.a. beschäftigt.

        Ihre Statistik sagt dann aus, dass alle zuvor arbeitslos gewordenen Leute wieder einen Job haben. Aber ob es jenen Leuten so gut wie zuvor geht, sagt Ihre Statistik nicht…

        Wenn Sie also die Arbeitslosenzahlen der USA mit jenen der Eurozone vergleichen wollen, müssen Sie erstens die Beschäftigungsquote beachten, dann den Effekt der nicht nachhaltigen Kreditvergabe heraus rechnen und erst dann lassen sich jene Entwicklungen miteinander vergleichen: In beiden Fällen sehen Sie, dass (relativ gesehen) Jobs verloren gingen. Und dies ist einfach dem technischen Fortschritt geschuldet.

  1. 27. Mai 2014 um 10:00
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