Fabian Fritzsche: Die jüngste EZB-Zinsentscheidung – oder: Viel Lärm um nichts
Selten hat eine EZB-Zinsentscheidung soviel Aufmerksamkeit erhalten wie die am 5. Juni als der Hauptrefinanzierungssatz von 0,25% auf 0,15% und der Einlagensatz von 0% auf -0,1% gesenkt wurde. Es war von „Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kannten“ und einer „wegweisenden Entscheidung“ die Rede, nach der die Sparer nun um ihr Vermögen fürchten (müssen). Eine Senkung um 0,1 Prozentpunkte hätte demnach also zu einer komplett neuen Situation geführt.
Insbesondere in Deutschland war über die Entscheidung eher Kritik zu hören, die niedrigen Zinsen würden der Wirtschaft nicht helfen, aber zu Blasenbildung an den Finanz- und Immobilienmärkten führen, die Sparer enteignen und die Peripheriestaaten der Eurozonen bräuchten ohnehin Strukturreformen und lockere Geldpolitik verschleppt dieses notwendigen Prozess nur. Vermutlich gibt es noch weitere Kritikpunkte, aber das dürften die meistgenannten sein. Nun mag eine Zinssenkung um 0,1 Prozentpunkte tatsächlich eher begrenzte Auswirkungen auf die Realwirtschaft, also auf Investitionstätigkeit und Konsum haben, das ist allerdings kaum ein Argument gegen niedrige Zinsen per se. In einer Situation überschuldeter Privathaushalte in vielen Ländern und unterausgelasteter Kapazitäten ist die Kreditvergabe selbstverständlich schwach, ändert aber nichts daran, dass die Situation bei höheren Zinsen noch schwieriger wäre. An der grundsätzlichen Feststellung, dass die Investitionstätigkeit und – wenn auch begrenzter – der Konsum von der Zinshöhe abhängen, kann kaum Zweifel bestehen. Um die Investitionstätigkeit zu beleben, ist es daher nur konsequent, wenn die Notenbank Zinsen senkt. Allenfalls der zweite Kritikpunkt, dies würde zu Blasenbildung führen, könnte ein Argument gegen niedrigere zu Zinsen sein. Gerne wird dafür der angeblich so hohe DAX angeführt, der sich seit Herbst 2011 nahezu verdoppelt hat. Das ist zwar ein durchaus kräftiger Anstieg, aber abgesehen davon dass der DAX-Kursindex (also ohne Berücksichtigung von Dividenden) keineswegs auf einem Höchststand notiert, befinden sich gängige Bewertungskennziffern wie KGV und Dividendenrendite im normalen Bereich, allenfalls leicht über dem langfristigen Durchschnitt. Von einer Übertreibung ist doch also wenig zu sehen. Die Rohstoffpreise bewegen sich zudem seit Jahren seitwärts. Lediglich bei den Immobilienpreisen in Deutschland mag es lokal einige Übertreibungen geben, wobei die Hypothekenkreditvergabe auch in Deutschland eher marginal ansteigt. Es handelt sich also zumindest nicht um einen Kredit getriebenen Boom. Doch selbst wenn es auf einzelnen Märkten aufgrund der expansiven Geldpolitik zu Übertreibungen kommen sollte, könnte dies nur ein Argument für eine restriktivere Geldpolitik sein, wenn das Platzen der vermeintlichen Blase mehr volkswirtschaftlichen Schaden anrichten würde als die restriktive Geldpolitik in Zeiten von schwachem Wachstum und extrem niedriger Inflation.
Besonders beliebt in Deutschland scheint der Vorwurf der „Enteignung der Sparer“ zu sein, die selbst Sparkassen-Präsident Fahrenschon kritisierte die EZB dafür. Nun ist es eine triviale Erkenntnis, dass Sparer von höheren Zinsen profitieren und Schuldner darunter leiden, während es bei niedrigen Zinsen umgekehrt ist. Es gibt allerdings kein Recht auf (Sparbuch-)Zinsen oberhalb der Inflationsrate und die Notenbank hat nicht die Aufgabe, nur die Sparer zufriedenzustellen. Zudem ist auch für die Sparer, die meist auch nicht nur Sparer, sondern auch Arbeitnehmer oder Rentner sind, denen langfristig sicherlich mehr mit einer guten wirtschaftlichen Lage geholfen ist als mit leicht höheren Zinsen heute.
Bleibt als Argument übrig, dass die niedrigen Zinsen langfristig eher schädlich sind, weil so die Lösung struktureller Probleme verschleppt wird. Das ist zum einen in gewisser Weise ein „Totschlagargument“. Egal wie hoch die Zinsen sind, wären sie höher, wäre der Reformdruck größer, also müssten die Zinsen immer weiter steigen. Zum anderen widerspricht dieses Argument natürlich der Behauptung, die niedrigen Zinsen hätten keine Auswirkungen. Die Gegner einer expansiven Geldpolitik müssten sich hier also für eine Variante entscheiden, um konsistent zu argumentieren. Letztlich ist die Aussage, die niedrigen Zinsen erleichtern es den Staaten, ihre Schulden zu finanzieren, nicht ganz von der Hand zu weisen. Die Frage ist, ob dies den Reformdruck wirklich nennenswert verringert. Die Arbeitslosigkeit in den Peripheriestaaten ist schließlich trotz niedrigen Zinsen hoch und das Wirtschaftswachstum gering. Muss man die Zahlungsschwierigkeiten der Regierungen, der privaten Haushalte und der Unternehmen wirklich noch zusätzlich verschärfen? Selbst die sinnvollsten Reformen wirken nicht über Nacht, sondern nach Jahren, die Staaten würden dann wohl eher blind Ausgaben kürzen, wo man am leichtesten kürzen kann. Und die überschuldeten Privathaushalte können ihre Schulden dann erst recht nicht reduzieren, die Unternehmen haben noch weniger Anreiz und Möglichkeit zu investieren.
Was bleibt ist also, dass es in Deutschland mal wieder viel Aufregung um nichts gegeben hat, um einen eher symbolischen Zinsschritt, der sicherlich keinen Paradigmenwechsel darstellt. Was bleibt ist eher die ernüchternde Erkenntnis, dass diese 0,1 Prozentpunkte keine wirkliche Veränderung zum Status quo ante darstellen, die wirtschaftliche Situation wird also fragil bleiben.
Hier die Begründung der – öffentlich-rechtlichen und nicht privaten – Fed für das Einstellen der Ermittlung von M3:
http://www.federalreserve.gov/releases/h6/discm3.htm
Jeder, der sich mit der Thematik beschäftigt, kann der Aussage wohl zustimmen, dass M3 für die USA keine relevanten Informationen liefert. Es ist aber typisch für gewisse Kreise, in denen die Fed als private Bank bezeichnet wird, dass auf M3 bestanden wird, ohne dass es dafür irgendeine rationale Begründung gäbe.
@Mägdefrau
„Wenn Sie die KGV berechnen, bzw. hier nennen, müssen Sie zumindest auch mitteilen, von welchem Kurs Sie ausgehen. “
Ähm, natürlich vom aktuellen, von welchen sonst? Sie können aber gerne die Bewertungskennziffern nennen, die eine massive Überwertung in der Größenordnung von 70% anzeigen. Alle gängigen Kennziffern zeigen keine starke Übertreibung an.
„Dass sich die Geldmenge M3 allein in Europa vom Jahr 2000 an bis 2014 glatt verdoppelt hat, können Sie der EZB-Statistik entnehmen. “
Sie sagten zuerst, die Geldmenge habe sich von 2008 bis heute verdreifacht…nun hat sie sich seit 2000 verdoppelt. Das ist eine komplett andere Aussage von Ihnen. Eine Verdopplung innerhalb von 14 Jahren entspricht einer Wachstumsrate von 5% pro Jahr. Nicht sehr viel, oder?
„Seit 2006 wird die Geldmenge M3 in den USA von der privaten US-Zentralbank FED nicht mal mehr veröffentlicht. Warum wohl ? “
Tja, die m.E. nachvollziehbare Begründung hat die Fed veröffentlich. M2 wird zudem weiter veröffentlich. Wieso bestehen Sie auf M3, obwohl es gute Gründe gegen die Verwendung von M3 als Referenzgeldmenge in den USA gibt?
„Es ist nicht zu verkennen, dass seit 2008 unglaubliche Geldmengen von der FED in den USA und der EZB in Europa auf den Markt geworfen wurden.“
Das stimmt ja einfach nicht. Die Geldmenge M3 in der Eurozone ist seit 2008 kaum gewachsen und in den USA wächst M2 seitdem mit unterdurchschnittlichen Wachstumsraten.
„Auch die Produktivität ist nicht in dem Maß gewachsen, wie die Geldmengen, mit denen die “Märkte” geflutet wurden.“
Wer behauptet denn, dass die Geldmenge mit der Produktivität steigen muss? Zielinflationsrate 2%, Potenzialwachstum ebenfalls gut 2%, Veränderung der Umlaufgeschwindigkeit -1%. Nach Quantitätsgleichung müsste die Geldmenge also um 5% pro Jahr wachsen – genauso stark wie sie tatsächlich gewachsen ist.
„Da es aufgrund des niedrigen Zinsniveaus keine sinnvollen Anlagemöglichkeiten für dieses Geld gibt, fließt es zur Zeit hauptsächlich in die Aktienspekulation. “
Offenbar nicht wie das normale KGV zeigt.
„Kaum eine Bank vergibt mit dem billigen Geld Kredite an die Realwirtschaft,“
Wenn Sie einen Kredit möchten und kreditwürdig sind, bekommen Sie durchaus sehr niedrige Zinsen. Dass die Kreditvergabe jedoch anhakend schwach ist, weil wenig Kredite nachgefragt werden und weil die Banken restriktiv sind in der Kreditvergabe, können Sie doch nicht der EZB anlasten. Wo ist denn da Ihr Kreditpunkt?
Was genau ist denn nun Ihr Kritikpunkt an der EZB? Mit welchem Argument sollte die Geldpolitik bei schwacher wirtschaftlicher Lage restriktiv sein?
Sie hätten durchaus Recht, wenn die niedrigen Zinsen auch an die Verbraucher und Unternehmen weiter gegeben würden. Das geschieht jedoch nicht. Die Banken erhalten massenweise Geld zum Null-Tarif und verdienen sich mit heftigen Aufschlägen dumm und dämlich. Die Geldmenge M3 hat sich seit 2008 verdreifacht. Lediglich für den verschuldeten Staat zahlen sich die Zinsen leicht über Null aus. Statt dessen fließen riesige Geldmengen in die Aktienmärkte, die schon jetzt zu 70 Prozent überbewertet sind und sich von der realen Wirtschaftsleistung vollkommen abgekuppelt haben. Zudem verursacht das billige ungedeckte Papiergeld in nächster Zukunft eine beträchtliche Inflation, von welcher weder die überschuldeten Haushalte noch die Unternehmen profitieren werden. Wer kein Geld hat, wird sich dann eben nichts mehr kaufen können und wo keine Nachfrage nach Konsumgütern, da langfristig auch kein Angebot mehr, weil Unternehmen die Produktion und Beschäftigung herunter fahren. Fakt ist, die EZB will die Krise mit den selben Mitteln bekämpfen, die die Krise erst ausgelöst haben. Das, was nicht hilft, wird eben um so mehr angewendet…mehr Perspektivlosigkeit gibt es nicht.
Ihrem Beitrag stimme ich (größtenteils) zu und sehe diesen auch nicht in Widerspruch zu meinem.
Bin jedoch trotzdem der Meinung, daß ein Sparer, der ja einer Bank sein Geld leiht, wenigstens einen Inflationsausgleich erwarten kann – sollte ja angesichts der „heftigen Aufschläge“ u. Gewinne der Banken möglich sein.
Ansonsten kann man ja sein Geld bald abheben und unters Kopfkissen legen.
Natürlich hat jeder Kunde einer Bank, der dieser sein Geld als Einlage zur Verfügung stellt, ein Recht darauf, dafür einen angemessenen Preis, sprich Zins oberhalb der Inflationsrate zu erhalten. Durch seine Einlagen ermöglicht der Kunde der Bank, diese als Sicherung von Krediten in 99-facher Höhe der Einlage zu benutzen und für diese Kredite vom Kreditnehmer Zinsen zu kassieren. Wenn Sie für eine Einlage von 1000 Euro 1 Prozent Zinsen bekommen würden, kassiert die Bank für den Betrag von 499000 Euro Kredit 10-13 Prozent Zinsen vom Kreditnehmer. Ihre 1000 Euro sind 2 Prozent Sicherungshinterlegung der Bank gegenüber der EZB… zudem spart sie die Zinsen gegenüber der EZB, die sie zahlen müßte, wenn sie für den Kredit von 499000 Euro für zwei Prozent Sicherungseinlage Geld von der EZB zum Referenz-Zinssatz leihen müßte. Meines Wissens sind sogar nur noch 1 Prozent Sicherungseinlage für die Bank nötig…
Dass man aber für Geldeinlagen bei der Bank überhaupt keinen Zins mehr erhält, zeigt die Gier der Banken. Man sollte nicht vergessen, wenn man der Bank sein Geld gibt, hat man es nicht mehr. Man hat lediglich eine Forderung gegenüber der Bank ! Sollte die Bank pleite gehen, hat man keine rechtliche Handhabe, die Herausgabe seines Geldes gerichtlich durchzusetzen, selbst der Einlagensicherungsfond ist keine gesetzliche Einrichtung.
Sie sagen, die Aktienmärkte seien zu 70% überbewertet. Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung, wo doch alle Bewertungskennziffern in normalen Bereichen liegen. Die KGVs, leicht über dem Durchschnitt zeigen doch gerade, dass sich die Aktienmärkte eben nicht von der realen Entwicklung abgekoppelt haben.
Und wo haben Sie die Info her, dass sich die Geldmenge M3 seit 2008 verdreifacht hat? Tatsächlich steigt die Geldmenge seit Herbst 2008 kaum noch an, der gesamte Zuwachs in den letzten sechs Jahren lag gerade einmal bei 8,9%, also bei unter 1,5% pro Jahr.
Hallo Herr Fritsche, Die Aktienmärkte sind im Frühjahr 2014 zu 70% überbewertet : investorwissen24; http://investorwissen24.de/boersenlexikon/s/news/shiller-kgv/; abgerufen am 23.12.2013
Wenn Sie die KGV berechnen, bzw. hier nennen, müssen Sie zumindest auch mitteilen, von welchem Kurs Sie ausgehen. Dass sich die Geldmenge M3 allein in Europa vom Jahr 2000 an bis 2014 glatt verdoppelt hat, können Sie der EZB-Statistik entnehmen. Seit 2006 wird die Geldmenge M3 in den USA von der privaten US-Zentralbank FED nicht mal mehr veröffentlicht. Warum wohl ? Weil sie dort u.a. alle größeren Guthaben über 100000 US-Dollar und die größeren US-Dollar-Wertpapierbestände enthalten sind. Es ist nicht zu verkennen, dass seit 2008 unglaubliche Geldmengen von der FED in den USA und der EZB in Europa auf den Markt geworfen wurden. Dem gegenüber steht ein nur sehr geringes Wirtschaftswachstum gegenüber. Auch die Produktivität ist nicht in dem Maß gewachsen, wie die Geldmengen, mit denen die „Märkte“ geflutet wurden. Da es aufgrund des niedrigen Zinsniveaus keine sinnvollen Anlagemöglichkeiten für dieses Geld gibt, fließt es zur Zeit hauptsächlich in die Aktienspekulation. Es fließt nicht in die Realwirtschaft. Kaum eine Bank vergibt mit dem billigen Geld Kredite an die Realwirtschaft, weshalb ja auch mit einem negativen Zins für Guthaben der Banken bei der EZB nachgeholfen werden soll.
„Es gibt allerdings kein Recht auf (Sparbuch-)Zinsen oberhalb der Inflationsrate…“
– die schon längere Zeit gewährten Zinsen auf Sparbücher oder Tagesgeld betragen oft gerade einmal ein Zehntel oder weniger der offiziell verkündeten Inflationsrate.
(z.B..: 0,1% bis 24.999€ oder 0,15 % bis 49.999€ etc. bei Tagesgeld)
Das ist ja wohl meilenweit weg von „(Sparbuch-)Zinsen oberhalb der Inflationsrate“.
„…die Notenbank hat nicht die Aufgabe, nur (?) die Sparer zufriedenzustellen.“ – ist das jetzt Zynismus ?