Startseite > Chefökonom > Achtung, Ihnen kommen Wirtschaftsweise entgegen

Achtung, Ihnen kommen Wirtschaftsweise entgegen

21. November 2014

Der Sachverstand ist jetzt schon ein bisschen eingeschnappt. Da hatten die weisen Wirtschaftsprofessoren vergangene Woche erklärt, dass die Regierung mit ihren Mindestlöhnen und 63er-Renten Schuld am konjunkturellen Abschwung seien, schon gab es von Mutti trocken Kontra: wie das denn sein könne, wo es den Mindestlohn noch gar nicht gebe. Jetzt sind die Wirtschaftsexperten beleidigt. Natürlich gebe es Ankündigungseffekte in der Wirtschaft, konterte Clemens Fuest, zwar selbst nicht im Sachverständigenrat, aber die Berufsehre sozusagen retten wollend. Das sei ja „gesunder Menschenverstand“. Rums.

Das stimmt, eigentlich banal. Nur bedeutet das grundlegende Existieren von Ankündigungseffekten ja noch nicht, dass es solche in Sachen Mindestlohn anno 2014 tatsächlich in einem Maße gab, das den Konjunkturrückfall erklären könnte, jedenfalls fehlt bei den Sachverständigen eine auch nur ansatzweise stringente Beweisführung. Das Geschäftsklima trübt sich in Deutschland abrupt seit dem Frühjahr ein. Da waren die Mindestlohn- und Rentenpläne ja längst de facto durch. Und überhaupt: Warum haben die Auguren die Konjunkturflaute dann nicht vorhergesagt, wenn die Ankündigungseffekte so klar sind? Das ist zu platt.

Wenn man ganz nett sein will (was wir natürlich immer grundsätzlich wollen), könnte man vermuten, dass die Professoren mit ihrem Gutachten mal etwas richtig Knalliges für die ökonomische Meinungsvielfalt tun wollten – mit, hach, ganz schön verrückten Thesen. Zumindest gemessen an dem, was international derzeit Standard ist.

Da gibt es seit Jahren einen globalen Konsens, dass hohe Ungleichgewichte in den Leistungsbilanzen gravierende Probleme mit sich bringen. Nö, sagen unsere Weisen. Und fabulieren den schönen Satz, dass deshalb auch „keine wirtschaftspolitischen Maßnahmen ergriffen werden“ sollten, „die allein darauf abzielen, den deutschen Leistungsbilanzüberschuss zu reduzieren“.

Da wird derzeit immer klarer, dass die EZB schon viel früher hätte sehr viel expansiver hätte wirken müssen – ach was, eher später, sagen unsere Sachverständigenprofessoren.

Da macht sich alle Welt Sorgen um eine mögliche Deflation in Europa – auch Quatsch, vermelden unsere Großökonomen.

Da gibt es eine Menge empirische Evidenz, dass in Deutschland in den vergangenen Jahren auf gefährliche Art zu wenig investiert worden ist – auch Unsinn, sagen Sie-wissen-schon-wer.

Und da wird überall darüber diskutiert, wie sich das Auseinanderdriften von Reich und Arm stoppen lässt. Was meinen Sie, was unsere großen Ökonomen dazu sagen?

All das kann man natürlich machen. Und es kann theoretisch natürlich sein, dass das Gros der international führenden Ökonomen samt Nobelpreisträgern bei all diesen Fragen daneben liegen und das noch nicht verstanden haben. Erkenntnis ist keine Mehrheitsveranstaltung. Unsere lieben Sachverständigen wären allerdings ein ganzes Stück glaubwürdiger, wenn ihre Argumente gegen den Mainstream dann auch umhauen. Wenn nicht so kuriose Sätze fabuliert würden wie dieser, dass es für eine „pathologische Schwäche“ bei den privaten Investitionen „derzeit“ keine Anhaltspunkte gibt, jedenfalls keine, die es „wirtschaftspolitisch zu kurieren gilt“. Also vielleicht doch welche, nur keine, die zu kurieren wären? Oder wenn nicht die ganze Deflationssorge mit dem jovialen Hinweis weggeduscht würde, dass eine Deflation ja derzeit „weder beobachtet, noch prognostiziert“ wird. Eine Deflation ist nach aller historischer Erfahrung ja deshalb so tückisch, weil sich ihr Eintreten schwer vorhersagen lässt – es aber zu spät ist, wenn sie einmal da ist, und es dann extrem teuer wird. Einfach warten?

All das kommt dann doch arg leichtfertig rüber. Und es vermittelt dann eben doch den Eindruck, dass da die Welt ins ideologische Bild gezwängt wird – ein Weltbild, das der  deutsche Sachverständigenrat allen Krisen um Trotz erstaunlich unbekümmert seit dreineinhalb Jahrzehnten hochhält. Titel des Gutachtens ist ja allen Ernstes: „Mehr Vertrauen in Marktprozesse“. Kein Scherz. Anno 2014. Im Jahr acht nach dem folgenschwersten Versagen der (Finanz-)Märkte seit Jahrzehnten.

Natürlich lässt sich darüber streiten, ob Mindestlohn und Rente mit 63 ökonomisch sinnvoll sind. Oder Versuche, die Leistungsbilanzen zu korrigieren. Oder, wie groß der Investitionsstau ist. Darauf dann aber mit dem stoischen alten Ruf nach dem heiligen Markt zu reagieren, hat etwas von Realsatire. Das stellt alles auf den Kopf.

Wenn der Ruf nach Investitionsprogrammen laut geworden ist, dann ja deshalb, weil es trotz aller marktwirtschaftlicher (Agenda-2010-)Reformen und steigender (marktgenerierter) Gewinne am freien Markt keinen Investitionsschub gegeben hat. Im Gegenteil. Und nach all dem Kürzen staatlicher Ausgaben im marktwirtschaftlichen Eifer plötzlich Infrastrukturprobleme im Land gibt.

Wenn die Notenbanken seit Krisenausbruch derart dramatische Stützungsaktionen durchziehen, dann ja deshalb, weil denkbare freieste (Finanz-)Märkte zuvor dramatische Blasen erzeugt haben, statt in märktlicher Weisheit für Stabilität zu sorgen.

Wenn selbst in Ländern wie den USA und Großbritannien irgendwann Mindestlöhne eingeführt wurden, dann ja deshalb, weil sich herausgestellt hat, dass es auf dem immer freier gewordenen (Arbeits-)Markt sonst zu gravierenden Missbräuchen kommt. Es ist grotesk, da jetzt wieder mehr Markt einzufordern, weil einem der Mindestlohn nicht ins ideologische Konzept passt.

Mehr noch: Wenn es gang und gäbe geworden ist, über steigende Vermögensteuern zu diskutieren, dann ja deshalb, weil Reich und Arm gerade dort am dramatischsten auseinanderdriften, wo der Markt die größte Freiheit hat (fast zwangsläufig, wie Thomas Piketty dargelegt hat). Auch die dramatischen Leistungsbilanzungleichgewichte sind vom Markt zumindest nicht korrigiert worden.

All das lässt den programmtischen Ruf nach „mehr Vertrauen in Marktprozesse“ als satirischen Scherz erscheinen. Das Problem ist nur: Unsere Weisen meinen das wirklich so. Und das mag man dann nicht mal als sinnvollen Beitrag zur Aufrechterhaltung ökonomischer Meinungsvielfalt durchgehen lassen. Da hat die Kanzlerin ausnahmsweise mal Recht – so etwas sollte man nicht allzu ernst nehmen. Und darauf hoffen, dass Deutschlands Großökonomen den eigenen Reformstau zuerst angehen.

  1. 22. November 2014 um 07:33

    Deren Verwirrungen unterhaltsam auf den Punkt gebracht – exzellent pointiert – sehr fein, Herr Fricke!
    Danke und Herzliche Grüße!
    C.G.BRANDSTETTER

  1. 21. November 2014 um 22:35
Kommentare sind geschlossen.
%d Bloggern gefällt das: