Wirtschaftsdienst exklusiv – Kalte Progression abbauen?
Steigende Steuereinnahmen haben Forderungen nach einem Abbau der „kalten Progression“ wiederbelebt. Dazu war in der letzten Legislaturperiode ein Gesetzentwurf der Regierungskoalition gescheitert, nun plant die CDU aber erste Schritte zur Entlastung der Bürger schon vor 2017. Wieviel eine Beseitigung der „kalten Progression“ kosten würde, wen sie vor allem belastet und wie andere Länder mit dem Problem umgehen, untersuchen drei Beiträge in der aktuellen Ausgabe des Wirtschaftsdienst.
Was ist überhaupt die „kalte Progression“? Sie entsteht durch das Zusammenwirken von progressivem Einkommensteuertarif und Geldentwertung. Bei einer proportionalen Besteuerung wächst die Steuerlast auch bei Inflation mit gleicher Rate wie das Einkommen – real ändert sich also nichts. Die Progression führt aber dazu, dass zunehmende Nominaleinkommen mit höheren Grenzsteuersätzen belastet werden – und dies auch wenn die Zuwächse allein durch Inflation verursacht wurden. Dies widerspricht dem zentralen Grundsatz der Steuergerechtigkeit, dem Leistungsfähigkeitsprinzip: Die reale Steuerlast steigt, obwohl das Realeinkommen konstant geblieben ist.
Tatsächlich war die Inflationsrate in den letzten 10 Jahren nicht übermäßig hoch. Dennoch müssten die Eckwerte der Tarife deutlich angepasst werden, wenn sie die kumulierte Inflation ausgleichen sollten, stellt die Autorengruppe des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) fest. Auch die Freigrenzen, Freibeträge und Abzugsbeträge wurden im Einkommensteuergesetz nur sehr zögerlich angehoben – wie Jens Lemmer vom Bund der Steuerzahler anmerkt.
Was kann man zur Abmilderung der „kalten Progression“ tun? Alle Experten sind sich einig, dass hier ein „Tarif auf Rädern“ helfen könnte. Nach Berechnungen des RWI würde dessen Einführung 2015 und 2016 zu Mindereinnahmen von insgesamt 7,7 Mrd. Euro führen. Dabei wären die relativen Entlastungseffekte bei den unteren Einkommen am höchsten, absolut würden allerdings vor allem die Haushalte über 120 000 Euro am meisten profitieren.
Was machen andere OECD-Staaten? Lemmer untersucht die Gesetzeslage in 14 OECD-Staaten, von denen viele die Tarife automatisch jährlich anpassen. Dabei wären die Regelungen in der Schweiz, aber auch in den USA und Kanada sowie in Belgien und den Niederlanden für Deutschland geeignet. Darüber hinausgehende Regelungen wie in Schweden, Dänemark und Norwegen hält der Autor nicht für politisch durchsetzbar.
Auch die Autorengruppe des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung IMK stellt eine steigende Belastung durch die „kalte Progression“ fest. Allerdings wurde diese durch Tarifreformen nicht nur ausgeglichen sondern sogar überkompensiert. Vor allem die Bezieher geringer und mittlerer Einkommen, sofern sie Kinder haben, und die sehr hohen Einkommen wurden kräftig entlastet. Sie stellen fest, dass die Höhe des Korrekturbedarfs sehr stark vom jeweils gewählten Referenzzeitraum abhängt. Die Einführung eines „Tarifs auf Rädern“ halten sie angesichts der hohen Kosten für unrealistisch. Im Übrigen sei der Abbau der kalten Progression vor dem Hintergrund der Schuldenbremse eine Belastung, „die sich eine verantwortungsvolle Finanzpolitik angesichts weiterhin ungedeckter großer – vor allem investiver – Ausgabenbedarfe und zunehmender Konjunkturrisiken nicht aufbürden sollte“.
Zum Beitrag von Rietzler, Teichmann, Truger
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