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David Milleker: Sind die Inflationsziele der Zentralbanken in ihrer heutigen Form noch zeitgemäß?

4. März 2015

In den letzten Jahren ist Geldpolitik nicht gerade einfacher geworden. Nullzinsschranke und unorthodoxe Maßnahmen sind da nur eine Seite. Auf der anderen Seite sind die Volkswirtschaften heute international vernetzter und damit auch offener für Einflüsse von außen als früher.

Dieser Beitrag konzentriert sich auf den zweiten Teil der Thematik. Die zentrale Frage lautet: Was sollte eine Zentralbank tun, deren Wirtschaft solide bis stark wächst, die aber ihr Inflationsziel trotzdem klar nach unten verfehlt? Beispiele hierfür sind etwa Großbritannien oder die USA.

In beiden Fällen haben sich die Arbeitslosenquoten von sehr hohen Niveaus zurückgebildet. Auch wenn sie im historischen Vergleich immer noch erhöht sind, sind sie nicht übermäßig hoch. Interessanterweise ist das Lohnwachstum bei den extremen Arbeitslosenquoten kurz nach der Finanzkrise nicht so stark zurückgegangen, wie man hätte erwarten können. Andererseits reagieren sie auch auf die sinkenden Arbeitslosenquoten seither kaum mit schnelleren Anstiegen. Technisch gesprochen: Die (Lohn-) Phillips-Kurve ist extrem flach. Schon aus dem typischen Zusammenhang zwischen Lohnstückkosten und Verbraucherpreisen entsteht daher heimisch keine wirkliche Inflationsdynamik.

Hinzu kommt der internationale Zusammenhang: Neben der Europäischen Währungsunion (EWU) und Japan produzieren etwa auch viele kontinental-asiatische Volkswirtschaften das Gegenteil von Inflation. Im Gegenteil: die Exporteure senken ihre Exportpreise selbst vor der Berücksichtigung von Wechselkurseffekten. Das kommt dann umgekehrt als inflationsdämpfender Effekt bei den Importeuren an.

Hebt in der dargestellten Situation eine Zentralbank die Zinsen an, beschleunigt sie die Inflationsdämpfung noch dadurch, dass als quasi natürliche Reaktion darauf die heimische Währung aufwertet und damit Importe noch billiger werden.

Der Zentralbank stehen in einer solchen Situation mehrere Möglichkeiten offen:

a) Sie bleibt in Verfolgung ihres Inflationsziels bei der Nullzinspolitik.
b) Sie senkt ihr Inflationsziel, weil der alte Wert „unrealistisch hoch“ ist.
c) Sie rückt vom Inflationsziel ab und gibt sich ein völlig anderes.

Die zweite Variante b) dürfte für die deutsche Öffentlichkeit die populärste sein. Was hier freilich droht, ist ein „schwedisches Szenario“. Das Wachstum gibt drastisch nach und die Inflation verschwindet vollständig (siehe hier).

Bei Variante a) kann es zu Fehlentwicklungen kommen. Wahlweise zur Blasenbildung am Finanzmarkt oder durch längere Priorisierung des Beschäftigungsziels gegenüber dem Inflationsziel zu einem Überschießen der Inflation. Letzteres würde dann gegebenenfalls eine „Stabilisierungsrezession“ erforderlich machen. Allerdings wissen wir viel mehr über die erfolgreiche Bekämpfung von Inflation als über den erfolgreichen Ausweg aus der Deflation.

Intellektuell am interessantesten ist vielleicht Variante c). Die bekannteste Möglichkeit eines alternativen Ziels wäre eine Ausrichtung am Wachstumspfad der nominalen Wirtschaftsleistung. Der Zentralbank wäre hier egal, ob sich die nominale Wirtschaftsleistung aus mehr Inflation oder mehr realem Wachstum zusammensetzt. Hauptsache, im Trend wächst die Wirtschaft nominal mit x%. Für die EWU und Japan hätte so ein Ziel mit ziemlicher Sicherheit erst mal das klare Signal „Gas geben“ zur Folge. Für Großbritannien und die USA würde bei dieser Betrachtung viel davon abhängen, wie das Ziel konkret formuliert wäre. Würde man sich am Vorkrisentrend von vor 2007 orientieren, käme man wohl zum Schluss von weiteren Nullzinsen. Würde man sich rein an der Wachstumsrate der nominalen Wirtschaftsleistung ausrichten, müsste man die Zinsen wohl deutlich anheben.

Der Fallstrick bei der Ausrichtung an der nominalen Wirtschaftsleistung ist allerdings auch gut bekannt (zumal das Konzept nicht neu ist): Bei deutlicher Verschiebung zwischen Import- und Exportpreisen, sagen wir einem Schock aus steigenden Ölpreisen, wird zwar viel Inflation (im Sinne des Verbraucherpreisindex) importiert, allerdings wird der Deflator der Wirtschaftsleistung gedämpft, weil ein Anstieg der Importpreise negativ gewertet wird. Folglich würde das nominale Wachstumsziel hier eine Lockerung der Geldpolitik anzeigen. Umgekehrt bei fallenden Ölpreisen eine Straffung trotz massiv negativen Effekts auf die Verbraucherpreise.

Nach den Erfahrungen der 1970er Jahre mit ihrer Verfestigung von Inflation und Inflationserwartungen im Zuge einer Geldpolitik, die zumindest in den USA in Reaktion auf den ersten Ölpreisschock 1973/74 genau der Empfehlung eines nominalen Wachstumsziels entsprach, ist es entsprechend auch erst einmal sehr still um diese Zielformulierung geworden.

Letztlich illustriert diese Diskussion, dass es für die Geldpolitik vermutlich kein optimal formulierbares (numerisches) Ziel geben kann. Zum einen kommt „Goodhart’s Law“ zum Tragen, nach dem ein Maßstab meist an Zweckmäßigkeit verliert, sobald man ihn zum Ziel gemacht hat. Das illustrieren sowohl die in den 1980er Jahren populären Geldmengenziele, bei denen ein statischer Zusammenhang zur Inflation unterstellt wurde, als auch die Inflationsziele, über deren Erreichen in den 1990er und 2000er Jahren die Entstehung von Blasen übersehen wurde. Zum anderen ist auch die Geldpolitik natürlich nie frei von „äußeren Umständen“. Was unter bestimmten Rahmenbedingungen absolut sinnvoll ist, muss es unter anderen noch lange nicht sein.

Unter den heutigen Umständen sollte man auch über andere Zielsetzungen in der Geldpolitik nachdenken als über starre numerische Inflationsziele. Letztere einfach in Form einer Kapitulation vor einer immer noch unbefriedigenden Lage der Weltwirtschaft abzusenken, dürfte allerdings die mit Abstand schlechteste „Zielsetzungs-Reform“ sein.

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