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Fabian Fritzsche: Griechisch-deutscher Sandkastenstreit

20. März 2015

Seit bei den griechischen Parlamentswahlen Ende Januar die schlimmsten Befürchtungen Deutschlands wahr wurden und tatsächlich eine als linksradikal titulierte Partei gewonnen hat, vergeht nahezu kein Tag ohne Griechenland-Schlagzeile in den deutschen Medien. Auf den ersten Blick legt das schiere Volumen an Artikeln über Griechenland eine große Aufgeregtheit oder gar Angst vor einem Staatsbankrott, einem Auseinanderbrechen der Eurozone, Milliardenzahlungen für Deutschland nahe. 

Bei einem zweiten Blick kommt jedoch die Frage auf, wie ernst die Lage wirklich ist, wenn sich gefühlte 90% der Griechenland-Artikel mit dem echten oder vermeintlichen „Stinkefinger“ des neuen griechischen Finanzministers Varoufakis, seinem „Naked-Bike“ (also schlicht ein Motorrad ohne Verkleidung) oder den fehlenden Krawatten der Regierungsmitglieder beschäftigen. Und auch zwischen den Beteiligten Politikern, etwa zwischen Varoufakis und Schäuble scheinen persönliche Animositäten und die Deutung irgendwelcher Gesten wichtiger zu sein als eine inhaltliche Diskussion. Gibt es also zumindest aus deutscher Sicht zum Thema Griechenland wirklich nichts Wichtigeres als derartige Banalitäten oder ist es für die Medien einfach spannender und einträglicher darüber zu berichten als über möglicherweise recht komplexe Zusammenhänge?

Die politischen Streitpunkte zwischen Griechenland auf der einen Seite und Deutschland sowie einigen weiteren Euroländern auf der anderen Seite lassen sich tatsächlich auf zwei Kernpunkte reduzieren: Griechenland möchte einen Schuldenschnitt, um seine sehr hohe Staatsschuldenquote spürbar zu reduzieren und möchte das von der Troika auferlegte Austeritätsprogramm beenden. Die andere Seite lehnt hingegen einen Schuldenschnitt ab und beharrt auf der Einhaltung des Sparprogramms. Intuitiv liegt nun vermutlich der Gedanke nahe, dass die Forderung nach einem Schuldenschnitt angesichts der extrem hohen Schuldenquote von über 170% zumindest teilweise berechtigt ist, während gleichzeitig die Troika zu Recht auf einer Einhaltung des Sparprogramms besteht, damit die Schulden nicht ewig weiter steigen.

Die Intuition liegt hier aber wohl falsch und zwar bei beiden Punkten. Zwar ist die Schuldenquote sehr hoch, doch bezahlt Griechenland auf die ausstehenden Schulden kaum Zinsen. Die Zinsbelastung ist im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung eine der geringsten aller Euroländer und liegt sogar niedriger als in Deutschland. Eine weitere Reduktion der Schuldenquote wäre daher für Griechenland sicherlich schön, notwendig ist ein solcher Schritt ökonomisch aber nicht, die derzeitige Zinsbelastung ist durchaus tragbar und zumutbar für Griechenland. Auf der anderen Seite klingt die Forderung nach Sparmaßnahmen in einem Land, dessen Regierung selbst von Zahlungsunfähigkeit spricht zunächst durchaus sinnvoll. Allerdings ist die Kritik der neuen griechischen Regierung an dem Programm, dass es sehr ineffizient und schädlich war, durchaus berechtigt. Durch die Ausgabenkürzungen sind das BIP und damit die Steuereinnahmen gesunken, die Schulden somit letztlich gestiegen. Zudem beharrt die Troika weiterhin auf einen sog. Primärüberschuss, d.h. ein Überschuss der Staatseinnahmen über die Ausgaben ohne Zinszahlungen, von 4,5% des BIPs. Für einen Überschuss dieser Größenordnung gibt es historisch ausgesprochen wenige Beispiele. Italien wies von 1997 bis 2000 und Großbritannien in den 1920er Jahren für einige Jahre einen derart hohen Primärüberschuss auf. Die historische Erfahrung legt also nahe, dass die Forderung der Troika als unrealistisch einzustufen ist.

Anstatt jedoch nüchtern und sachlich über diese Punkte zu diskutieren und nach sinnvollen Kompromissen zu suchen, reiben sich beide Seiten unterstützt von den Medien in Sandkastenstreitereien auf. Dabei könnte eine fehlende Lösung am Ende für beide Seiten teuer werden. Denn dann führt um einen Staatsbankrott Griechenlands kein Weg vorbei, für Deutschland würde das wohl Milliarden an abgeschriebenen Steuergeldern bedeuten und für Griechenland eine weitere Verlängerung der Depression. Noch bleiben drei Monate, höchste Zeit also, persönliche Ränkespiele zu beenden und einen Kompromiss zu finden.

  1. Tim
    21. März 2015 um 12:37

    Das Argument wird natürlich oft gebracht, ist aber nicht richtig. Die Zinsbelastung für Griechenland ist nur deshalb auf den ersten Blick niedrig, weil es ja bereits einen indirekten Schuldenschnitt gibt, nämlich die Streckung der Kredite öffentlicher Institute. Würde man das herausrechnen, wäre die Belastung sehr viel größer. Ein offener Schuldenschnitt würde helfen, endlich die Trickserei zu beenden, die eigentlich immer nur zur Ruhigstellung der resteuropäischen Steuerzahler diente.

    Was die Reformen bzw. Sparanstrengungen in Griechenland selbst betrifft: Falsch war vor allem, sie nicht hart und schnell umzusetzen. Die Zögerlichkeit hat dazu geführt, daß weder Konsumenten noch Investoren Vertrauen in die griechische Wirtschaftslage hatten, mit den bekannten Folgen.

    Wie man es richtig macht, zeigen z.B. Island oder Lettland, die ja einen mit Griechenland vergleichbaren Einbruch der Wirtschaftsleistung erlitten. Schnelle und konsquente Reformen haben dazu geführt, daß Lage und vor allem Stimmung viel besser sind als in Griechenland.

    Wirtschaftsreformen funktionieren immer dann am besten, wenn man sie umfassend und schnell umsetzt.

  1. 24. März 2015 um 10:14
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