Fabian Fritzsche: China am Scheideweg?
Durch die Medien-Dominanz Griechenlands ist fast untergangen, dass China gerade einen Börsencrash erlebt (hat). Der Shanghai Composite Index ist seit seinem Höchststand am 12. Juni bis zum 8. Juli um knapp ein Drittel abgestützt. Mittlerweile haben sich die Kurse wieder etwas erholt, was allerdings auf massive Stützungsmaßnahmen und Verkaufsrestriktionen durch die Regierung zurückzuführen ist.
Insgesamt haben chinesische Aktien knapp 3,5 Bio. USD an Marktkapitalisierung verloren. Das ist recht genau das Zehnfache der griechischen Schulden oder nicht ganz eine deutsche Jahreswirtschaftsleistung. Nun sind Kredite oder auch das BIP etwas anderes als die Marktkapitalisierung von Aktien, dennoch verdeutlichen diese Zahlen ein wenig die Dimension der chinesischen Korrektur.
Über das Zusammenspiele von Aktienkursen und Realwirtschaft gibt es letztlich drei Theorien, wobei diese nicht unbedingt strikt getrennt voneinander sind: Gemäß ökonomischer Theorie spiegeln Aktienkurse die Gewinnerwartungen der Anleger wider. Sollten die Investoren mit ihren Erwartungen nicht völlig danebenliegen, würden die Kurse also zumindest in gewissem Maße die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung abbilden. Eine andere Sichtweise lautet, dass Veränderungen am Aktienmarkt die Konjunktur beeinflussen, die Kausalität also genau umgekehrt ist. Und in der dritten Variante haben sich die Aktienkurse von der Realwirtschaft einfach abgekoppelt, stellen eine Art Parallelwelt dar. Diese drei Möglichkeiten müssen nicht immer getrennt auftreten, denkbar wäre durchaus, dass ein Aktienmarkt üblicherweise die Gewinnerwartungen widerspiegelt, dann kommt es aber zu einer Abkopplung, eine spekulative Blase entsteht und wenn diese platzt, wirkt sich dies negativ auf die Konjunktur aus.
Sollte der Rückgang der Kurse in China die wirtschaftliche Entwicklung vorwegnehmen und tatsächlich auf niedrigere zukünftige Unternehmensgewinne hindeuten, wären die Interventionen der Regierung zur Beeinflussung der Aktienkurse letztlich sinnlos. Sicherlich würden dann ein paar Anleger vor Verlusten geschützt, aber der gesamtwirtschaftliche Abschwung ließe sich so nicht bekämpfen. Doch auch im umgekehrten Fall, wenn die Aktienkurse die Konjunktur beeinflussen, bliebe es zumindest bis jetzt bei einem massiven Rückgang der Marktkapitalisierung und somit zu entsprechenden Vermögensverlusten der Anleger Beide Varianten sprechen also für eine deutliche Abschwächung des chinesischen Wirtschaftswachstums. Lediglich bei einer Aktienmärkte von der Realwirtschaft bzw. wenn die Auswirkungen von Kursänderungen auf den privaten Konsum und die Investitionen vernachlässigbar sind, könnte der Crash ignoriert werden.
Die jüngsten BIP-Zahlen für Q2 2015 zeigen noch keine Abschwächung, sondern weisen mit 7% eine Punktlandung auf das von der Regierung gewünschte Ziel auf. Allerdings konnte sich der Aktienmarktcrash kaum auf die Konjunktur in Q2 auswirken. Erst die kommenden Monate werden wirklich zeigen, wohin sich die chinesische Wirtschaft bewegt. Sollte der Crash auf eine weitere Verlangsamung hindeuten oder diese gar auslösen, wird Chinas Wachstum im Vergleich zu Europa sicherlich immer noch beachtlich bleiben, aber eher in der Größenordnung von Indiens Wachstum um 5% oder darunter liegen. Damit wäre das Wachstumswunder auch in China – wie bereits in vielen anderen Schwellenländern zu vor – vorbei. Ein solches Szenario wird bislang noch selten durchdacht, die meisten Langfrist-Prognosen setzen für die kommenden Jahre oder gar Jahrzehnte ein anhaltend hohes Wirtschaftswachstum in China voraus. Dabei könnten die Auswirkungen auf die Weltwirtschaft als auch auf die politische Stabilität in Ostasien erheblich sein. Spätestens mit dem Aktiencrash in Fernost wird es Zeit, die möglichen Auswirkungen zu analysieren.
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17. Juli 2015 um 09:08Hinweise des Tages | NachDenkSeiten – Die kritische Website