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David Milleker: Wie „klassisch“ sind die Arbeitsmärkte in den USA und Großbritannien?

8. August 2015

Ein gemeinsames Merkmal der Arbeitsmärkte in den USA und Großbritannien seit 2009 waren sehr schwache Lohnsteigerungen in Kombination mit einer sehr schwachen Entwicklung der Arbeitsproduktivität. Eine schwache Arbeitsproduktivitätsentwicklung heißt dass bezogen auf das Wirtschaftswachstum sehr viele neue Stellen geschaffen wurden.

Für die zukünftige Geldpolitik  ist es höchst relevant, wie man diese Entwicklung interpretiert. Einige Ökonomen, wie etwa Robert J. Gordon, interpretieren die schwachen Produktivitätsdaten als Zeichen einer nachlassenden Innovationsdynamik und generell abgesenkter Wachstumsperspektiven. Die Standarderfahrung seit dem zweiten Weltkrieg wäre die Dominanz des Gütermarktes gegenüber dem Arbeitsmarkt. In dieser eher keynesianisch geprägten Welt wäre die schwache Lohnentwicklung eine Folge der schwächlichen Güternachfrage. Der gemeinsame Nenner von schwacher Güternachfrage und schwacher Produktivitätsentwicklung wäre wiederum das nur verhaltene Wachstum der Investitionstätigkeit. Konträr hierzu steht jedoch die Sicht der „klassischen“ Ökonomenschule, nach der sich Arbeitskräfte durch Lohnzurückhaltung wieder in den Arbeitsmarkt „zurückpreisen“ können. Die Kombination aus schwacher Produktivitätsentwicklung und geringer Investitionstätigkeit wäre in diesem Fall die Folge davon, dass die Unternehmen aufgrund günstiger Löhne lieber auf Arbeitskräfte als auf neue Maschinen setzen.

Welche Interpretationen richtig ist, lässt sich nur empirisch beantworten. Hierzu kann man beispielsweise Kausalitätsbeziehungen zwischen Löhnen und Arbeitsproduktivität testen. Für die USA gibt es auch über lange Zeiträume keine eindeutige Kausalität, eher eine Wechselbeziehung zwischen diese Faktoren. Allerdings existiert eine etwas höhere Evidenz dafür, dass die Produktivität der dominantere Faktor für die Lohnentwicklung ist und nicht umgekehrt. Für Großbritannien gilt diese Dominanz der Produktivität jedoch eindeutig. Interessanterweise verschiebt sich diese Dominanzbeziehung seit 2010 jedoch für beide Volkswirtschaften in Richtung einer stärkeren Kausalität der Löhne für die Entwicklung der Arbeitsproduktivität.

Das legt zumindest nahe, dass wir in den letzten Jahren in den USA und Großbritannien tatsächlich so etwas wie einen „klassischen“ Arbeitsmarkt erlebt haben könnten. Zwar ändert das nichts an der Tatsache, dass beide Länder seit 2010 nur ein enttäuschend schwaches Wachstum erlebt haben. Es wäre aber insofern eine gute Nachricht, als man sich keine Sorgen über eine technologisch bedingte perspektivisch-schwache Wachstumsdynamik machen müsste. Vielmehr müssten wir irgendwann den Punkt erreichen, an dem mit einem besseren Arbeitsmarkt die Dynamik von steigenden Löhnen, höherer Arbeitsproduktivität und höheren Investitionen mehr oder minder zeitgleich einsetzt. Dies wäre dann quasi der Abschluss eines langen Heilungsprozesses nach der Finanzkrise.

Doch ob es sich wirklich um einen eher klassischen Arbeitsmarkt mit einer solchen Dynamik handelt, muss die Probe auf’s Exempel zeigen:  Dann würde mit einer höheren Lohndynamik auch tatsächlich eine Beschleunigung der Arbeitsproduktivität einsetzen – bzw. im Umkehrschluss würden die Unternehmen sparsamer mit dem Arbeitseinsatz umgehen.

Bei näherer Betrachtung des US- und des britischen Arbeitsmarkts dürfte dieser Startpunkt für steigende Löhne, Arbeitsproduktivität und Investitionen in Großbritannien eher erreicht sein als in den USA. Der Grund hierfür liegt darin, dass zwar beide Ökonomien eine ähnlich niedrige Arbeitslosenquote ausweisen, Großbritannien aber nie einen ähnlichen Rückgang der Erwerbsbeteiligung hatte, wie dies in den USA ab 2009 zu beobachten war. Daher dürften die USA arbeitsökonomisch gesprochen vermutlich eine deutlich höhere „stille Reserve“ an Arbeitskräften haben, wogegen sich Großbritannien deutlich näher an der Vollbeschäftigung bewegt. Dafür spricht auch, dass in Großbritannien seit Mitte 2014 eine deutliche Aufwärtsdynamik der Löhne im Privatsektor zu beobachten ist, während sie sich in den USA eher seitwärts bewegen.

Was bedeutet das nun für die Geldpolitik? Sollte sich die These eines klassischen Arbeitsmarktes in beiden Volkswirtschaften bewahrheiten, kann die Geldpolitik recht entspannt bleiben. Denn gehen stärkere Lohnsteigerungen mit einer stärker wachsenden Produktivität einher, droht auch keine inflationäre Überhitzung. Entsprechend gibt es dann auch nach wie vor keine Notwendigkeit für schnelle oder deutliche Leitzinssteigerungen und der Fokus auf Wachstumsunterstützung kann weiter beibehalten werden.