Fabian Fritzsche: Die unbemerkte Schwäche der deutschen Industrie
Aktuell vergeht kaum ein Tag ohne positive Meldungen aus der deutschen Wirtschaft. Die Arbeitslosenquote liegt anhaltend auf einem Rekordtief, die Einzelhandelsumsätze erklimmen neue Höchststände, die Exporte klettern trotz Russland-Sanktionen und Wachstumsschwäche in China und die Wirtschaftsstimmung ist gemäß ifo- und ZEW-Index sehr gut. Die Situation ist so hervorragend, dass vor zu viel gefährlicher Selbstzufriedenheit gewarnt wird.
Nicht ausruhen ist angesagt, sondern weitere Reformen etwa bei Zuwanderung müssen umgesetzt werden, um den Vorsprung zu halten. Der Tenor ist aber letztlich einhellig: „Wir“ sind exzellent aufgestellt, die Lage ist prima und Sorgen müssen wir uns allenfalls wegen des demographischen Wandels und der damit verbundenen Probleme (vermeintlicher Fachkräftemangel, steigende Sozialausgaben etc.) und kurzfristig wegen der drohenden Wachstumsschwäche bei einigen unserer Handelspartner machen.
Dabei ist die Hochstimmung tatsächlich weit übertrieben und vereinzelt gute Daten täuschen über grundlegendere Probleme hinweg. Wie bereits in den Vormonaten gesagt, ist der exorbitant hohe deutsche Leistungsbilanzüberschuss kein Zeichen der Stärke, sondern der Schwäche und das Arbeitsvolumen ist keineswegs so stark gestiegen wie es der Rückgang der Arbeitslosenquote nahelegt. Ein weiterer alarmierender Indikator ist die Entwicklung der Industrieproduktion. Während der globalen Krise im Schlussquartal 2008 und ersten Quartal 2009 brach die Industrieproduktion in Deutschland und den meisten anderen Volkswirtschaften massiv ein. Anschließend gab es hierzulande eine schnelle Erholung und im Sommer 2011 erreichte die Produktion (ohne Baugewerbe) fast wieder das Vor-Krisen-Hoch. Seitdem gab es allerdings kein Wachstum mehr, im Juni 2015 lag die Industrieproduktion sogar etwas niedriger als im Juli 2011 und entsprechend auch niedriger als Anfang 2008. Damit ist die Entwicklung zwar besser als in fast allen anderen europäischen Staaten, aber bei letztlich sieben Jahren Stagnation kann kaum von einer positiven Entwicklung gesprochen werden. Und wenn die Produktion schwach ist, wird auch wenig investiert.
Die Gesamtinvestitionen täuschen durch den boomenden Bausektor. Die Ausrüstungsinvestitionen lagen im ersten Quartal 2015 unter dem Niveau des dritten Quartals 2011 (der vorläufige Nach-Krisen-Höchststand) und fast 10% unter dem Vor-Krisen-Hoch. Es liegt also eine ausgesprochene Investitionsschwäche der privaten Unternehmen vor. Genau das wurde aber bereits in den 1990er Jahren und dann noch einmal Anfang der 2000er Jahre diagnostiziert und als ein Argument für angebotsseitige Reformen angeführt. All die seit den späten 1990er Jahren durchgeführten Reformen waren also offenbar von begrenztem Erfolg gekrönt.
Nun wird kaum jemand bestreiten, dass Unternehmen gute Angebotsbedingungen benötigen, um zu investieren. Diese sind jedoch lediglich eine notwendige und keine hinreichende Bedingung. Deutschland weist gemäß World Economic Forum die fünfthöchste Wettbewerbsfähigkeit aller Länder weltweit auf und dennoch sind Investitionen und Industrieproduktion schwach. Planen Unternehmen hingegen Investitionen in China, wird regelmäßig als Grund die Nähe zum Kunden angegeben. Investiert und dann auch produziert wird also dort, wo die Nachfrage ist.
Sollte die deutsche Wirtschaft weiterhin so wenig investieren, ist dies mittel- bis langfristig eine gefährliche Entwicklung. Deutschland stagniert, ohne dies derzeit zu thematisieren. Ohne eine ausreichend starke Endnachfrage wird sich dieses Muster aber voraussichtlich nicht ändern. Allein gute Angebotsbedingungen führen nicht zu mehr Investitionen und damit letztlich zu mehr Arbeit. Die Nachfrageseite wird aber in Deutschland traditionell vergessen.
Sehr geehrter Herr Fritzsche,
ich nehme diesen Artikel als Beleg dafür, dass die Katholiken sich mehr und mehr in ihren Dogmen verheddern. Sicherlich, die Henne Angebot muss lange vor dem Ei Nachfrage da sein, alles andere wäre Ketzerei gegen das Saysche Axiom. Als bekennender Protestant habe ich damit jedoch keine Probleme. Und obwohl mir bewusst ist, dass es mit einem Tabu-Fluch belegt ist, so sage ich in trotziger Harry-Potter Manier „Lohnerhöhung“. (Ja, spürbar über der Inflation.) Dies wäre zwar ein Bruch mit dem geltenden Ablasshandel von Lohnverzicht gegen Arbeitsplatz und das würde an den Grundfesten des in Deutschland dominierenden Katholizismus rütteln. Also setze ich mich wieder hin und erwarte die Gebete der katholischen Oberpriesterschaft, dass Nachfrage ohne Lohn wie Manna vom Himmel fallen möge. (Vielleicht durch negative Zinssätze.)
Und selbst wenn sich das jetzt unglaubwürdig anhört, aber ich danke Ihnen für diesen Beitrag, auch wenn er an der spannendsten Stelle endet. Wenn das ein Cliffhanger war, dann freue ich mich auf den nächsten.
Die Unternehmensinvestitionen in Deutschland sind seit langer Zeit tatsächlich viel zu niedrig, was zumindest teilweise an schlechten Investitionsbedingungen liegt. Investitionen in China sind natürlich vor allem der Nähe zu den Kunden geschuldet, der Hauptgrund für Investitionen in Osteuropa sind aber schlechte Standortbedingungen in Deutschland.
Lange Genehmigungsverfahren, rausgeekelte Wachstumsbranchen wie die Gentechnik, teilweise bizarre Bürokratie bei allem Möglichen – das macht keinem Investor Spaß. Und es wird immer schlimmer. Von wirksamen Reformen zur Förderung des Investitionsstandortes kann wirklich keine Rede sein. Seit 15 Jahren drücken sich z.B. alle Bundesregierungen um vernünftige Internetstrategien fürs Land. In vielen Gegenden bröckelt die Infrastruktur. Dringend nötige Bildungsreformen, die den sozial Schwachen helfen würden, werden seit Jahrzehnten ausgesessen.
Und die „Nachfrageseite“ ist keinesfalls zu schwach, wie oft – und auch hier – behauptet wird. Die Konsumquote liegt ziemlich genau im europäischen Durchschnitt. Es gibt hier nun wirklich überhaupt kein Problem.