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David Milleker: Devisenreserven und wirtschaftspolitischer Handlungsspielraum – Anmerkungen zu einem gängigen Missverständnis

31. August 2015

Mit Blick auf die jüngsten Verwerfungen innerhalb einiger Schwellen- und Entwicklungsländer geistert in letzter Zeit ein Missverständnis durch die Welt. Sätze wie der folgende aus einem Artikel in der FAZ sind dafür exemplarisch: „Zu groß sind die Devisenreserven, die zum Beispiel China im Notfall einsetzen kann, um die Konjunktur zu stützen.“

Solche Aussagen offenbaren eine völlige Fehleinschätzung darüber, was Devisenreserven sind und in welchen Kontexten sie eingesetzt werden können. Betrachten wir hier zunächst einmal die Entstehung von Devisenreserven: Geschaffen werden sie dadurch, dass die Zentralbank Zahlungsströme (wahlweise Exporterlöse oder Portfoliozuflüsse) an der Grenze abschöpft. Parallel zu dieser Transaktion wird dann heimisches Zentralbankgeld geschaffen, welches wahlweise über die Ausgabe von Zentralbankanleihen (Sterilisierungsbonds) neutralisiert werden kann oder auch nicht. Unabhängig von der Sterilisierung wird durch den Aufbau von Devisenreserven der eigene Wechselkurs gegenüber dem Ausland niedriger gehalten als er ohne diese Interaktion wäre. Bei einem Abbau von Devisenreserven geschieht das Gegenteil.

Das zentrale Wesensmerkmal jeder Änderung von Devisenreserven ist somit eine Transaktion, die unmittelbar das Ausland als Gegenpartei involvieren muss. Sachlogisch nicht möglich ist es dagegen, die Devisenreserven dafür zu nutzen, etwa ein heimisches Straßenbauprogramm zu finanzieren. Allenfalls könnte die Zentralbank sich entscheiden, ausgegebene Sterilisierungsbonds aufzulösen/zurückzukaufen und so eine geldpolitische Lockerung durchzuführen.

Mit Konjunkturstützen haben Devisenreserven also erst mal rein gar nichts zu tun. Eine Auflösung derselben würde zudem mit einem – gegenüber dem Referenzzustand – höheren Wechselkurs einhergehen. Also eher das Gegenteil dessen, was man üblicherweise mit einem positiven Konjunkturimpuls in Verbindung bringt.

Im konjunkturpolitischen Kontext sind Devisenreserven daher nur dann sinnvoll einsetzbar, wenn sich die Wirtschaftspolitik sehr deutlichen Zielkonflikten zwischen Konjunkturstützung und Wechselkursstabilität gegenübersieht. Das gilt etwa dann, wenn eine Volkswirtschaft eine hohe Fremdwährungsverschuldung aufweist, aber in einer Konjunkturkrise steckt. Hier besteht der Zielkonflikt darin, dass eine Abwertung zwar positiv auf die Exporte wirkt, aber gleichzeitig die Fremdwährungsschuldner strangulieren würde. Ein entsprechender Abbau von Devisenreserven schafft hier einen zeitlichen Puffer, um im eigenen Land eine expansive Geldpolitik bei stabilem Außenwert betreiben zu können. Ebenfalls sinnvoll kann dies sein, um etwa einem Inflationsimport über eine Abwertung vorzubeugen.

Die Existenz von Devisenreserven definiert somit allenfalls den wirtschaftspolitischen Spielraum unter der Nebenbedingung einer vermiedenen Abwertung. Keinesfalls sind diese jedoch eigenständig als Stimulierungsinstrument einsetzbar.

  1. Ralf Krämer
    1. September 2015 um 18:12

    Aber hohe Devisenreserven erhöhen doch erheblich den Spielraum eines Staates, mit expansiver Geldpolitik und Finanzpolitik vorzugehen, am besten durch monetäre Staatsfinanzierung oder auch durch normale Kreditaufnahme die Staatsausgaben und die Binnnachfrage zu steigern. Das dürfte normalerweise die Leistungsbilanz verschlechtern, evt. ins Minus bringen. Mit hohen Devisenreserven ist das viel länger und besser auszuhalten als ohne. Es geht also nicht darum, die Devisenreserven direkt einzusetzen, sondern welche Spielräume für expansive Politik sie geben.

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