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Fabian Fritzsche: Historische Zinswende zur Unzeit

16. Dezember 2015

Bei ihrer Sitzung am 16. Dezember wird der Offenmarktausschuss der US-Notenbank mit hoher Wahrscheinlichkeit die erste Zinserhöhung seit Juni 2006 und damit eine Abkehr von der Nullzins-Politik beschließen. Neun Jahre ohne jede Zinserhöhung und sieben Jahre Zinsen an der Nullprozentgrenze; die Entscheidung hat also durchaus das Prädikat „historisch“ verdient.

Über einen Zeitraum von 2,5 Jahren hatten erst Ben Bernanke und dann seine Nachfolgerin Janet Yellen die Märkte auf diesen Schritt vorbereitet, um Turbulenzen soweit wie möglich zu vermeiden. Die Rhetorik wurde dabei immer weiter zugespitzt, so dass der Offenmarktausschuss nun im Dezember kaum noch um eine Zinserhöhung herumkommt, ohne dass dies dann Turbulenzen auslösen würde.

Auf den ersten Blick mag eine Zinserhöhung tatsächlich angemessen erscheinen: Die Arbeitslosenquote liegt mit 5,0% auf einem Niveau, welches mit Vollbeschäftigung assoziiert wird, die Beschäftigungsquote der 16-64jährigen steigt seit 2010 kontinuierlich an, die Einzelhandelsumsätze steigen seit Jahren stärker als im letzten Aufschwung und auch die Industrieproduktion hat seit 2009 so kräftig zugelegt wie sonst in kaum einer anderen westlichen Volkswirtschaft. Zudem sind die Auswirkungen der geplatzten Immobilienblase weitestgehend überwunden: Die Schuldenquote der privaten Haushalte ist über die vergangenen Jahre deutlich gesunken und die Zahlungsrückstände bei Hypotheken liegen auf einem historisch normalen Niveau. Es spricht also einiges dafür, nun endlich mit der Normalisierung des Zinsniveaus zu beginnen.

Möglicherweise ist es aber nun auch genau der falsche Zeitpunkt. Immer wieder war zu hören, die Zinsen könnten weder in den USA noch anderswo steigen, weil die Verschuldung so hoch sei und ein höherer Zins somit in die Pleite führe. Dies ist so nicht haltbar. Die Gesamtschuldenquote von Staat, Unternehmen und Privathaushalten liegt in den USA aktuell etwas niedriger als 2009 und das bei einem deutlich niedrigeren Zinsniveau. Die Zinslast ist damit sehr niedrig und auch etwas steigende Zinsen würden daran zunächst wenig ändern. Das Problem liegt woanders. Es gibt Anzeichen, dass die USA den konjunkturellen Hochpunkt bereits überschritten haben. Die Unternehmensgewinne sinken, die Nettoinvestitionsquote ist rückläufig und der starke USD ist ohnehin eine dauerhafte Belastung.

Die Notenbank ist damit in einem Dilemma. Sollte die Fed den Zinserhöhungszyklus beginnen und kommt es dann zum Abschwung oder gar zu einer – wenn auch nur leichten – Rezession kommen, wäre die US-Notenbank nicht mehr die Institution, die die Wirtschaft stützt, solange die Inflation niedrig ist, sondern eine Institution, die wider besseres Wissen einen Abschwung verstärkt, um die selbst aufgebauten Erwartungen zu erfüllen. Erhöht die Fed dagegen nicht, zeigt sie, dass ihr Erwartungsmanagement schlecht ist. Die Frage ist also, bei welcher Alternative der Schaden größer ist. Die Glaubwürdigkeit der Notenbank und das Vertrauen, dass sie die Wirtschaft stützen kann, sind dabei nur zwei Aspekte. Noch wichtiger ist sicherlich, welche volkswirtschaftlichen Auswirkungen die beiden Alternativen haben.

Sollten die Zinsen nicht steigen, wird dies die Konjunkturpessimisten in ihrer Meinung bestärken und eine schlechte Stimmung kann letztlich zu einer Art selbst erfüllender Prophezeiung werden. Es könnte zudem zu Turbulenzen an den Finanzmärkten kommen, die sich teilweise auch negativ auf die Realwirtschaft auswirken. Auf der positiven Seite dürfte eine ausbleibende Zinserhöhung hingegen zu einem schwächeren USD führen, was der US-Konjunktur ganz direkt hilft. Erhöht die Fed hingegen die Zinsen, wird die Geldpolitik schlimmstenfalls mitten in einem Abschwung restriktiv. Der Nutzen von Zinserhöhungen in der aktuellen Situation bleibt dagegen fraglich. Die Inflation ist anhaltend niedrig und das Lohnwachstum trotz geringer Arbeitslosenquote relativ schwach, so dass auch bis auf weiteres kein relevanter Inflationsdruck, der mit Zinserhöhungen bekämpft werden müsste, zu erwarten ist. Letztlich spricht damit viel dafür, mit der ersten Zinserhöhung weiter zu warten. Der mögliche Schaden eines Wartens ist deutlich geringer als der einer Zinserhöhung zum falschen Zeitpunkt. So wie es derzeit aussieht, wird die Fed aber zumindest einen Zinsschritt wagen und damit möglicherweise pro-zyklisch einen Abschwung verstärken.

  1. Fabio
    17. Dezember 2015 um 12:50

    Ich möchte auf die Forschung von Richard Werner verweisen: Die Höhe der (Markt-)Zinsen ist im üblichen Bereich unerheblich für das Wirtschaftswachstum, außerdem ist die Zinspolitik der Zentralbank immer eine Reaktion auf das Wirtschaftswachstum. Das heißt nicht, dass Zinsen egal sind; aber ihnen kommt nicht die ihnen zugeschriebene Bedeutung zu.

    Deswegen kann man da ganz entspannt sein. Es wird nicht die jetzige Zinserhöhung einen Abschwung einleiten, sondern die Erhöhung folgt mit einiger Verzögerung der vorausgegangenen Konjunktur. Was jetzt in den nächsten Quartalen passiert, wird wiederum unabhängig von dieser Zinserhöhung geschehen, wenn man von der bloßen, zu vernachlässigenden Symbolwirkung absieht (weil ja doch viele glauben, es läge hier Kausalität vor).

    Hohe Zinsen korrelieren mit hohem Wirtschaftswachstum, niedrige Zinsen mit niedrigem Wirtschaftswachstum, jeweils mit etwas Verzögerung; das betrifft sowohl die Markt- als auch die Leitzinsen. Es zeigt sich in der jüngsten Entscheidung der FED nichts weiter, als dass diese Regelmäßigkeit sich wieder bestätigt. Wenn eine Zentralbank Einfluss nehmen möchte auf die Konjunktur, muss sie andere Werkzeuge verwenden, nämlich solche, die nicht vollständig abhängig sind von dem, was sie bewirken sollen.

  1. 17. Dezember 2015 um 08:26
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