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David Milleker: Schengen oder der Wert offener (Binnen-)Grenzen

2. Februar 2016

Unter dem Druck der Flüchtlingsbewegungen Richtung Europa werden fast täglich wieder nationale Grenzen spürbar. Damit kehrt sich eine Entwicklung um, die seit den 1980er Jahren nur eine Richtung kannte. Erst brauchte man keinen Pass mehr beim Grenzübertritt innerhalb Europas, dann fiel mit der Währungsunion auch noch die Notwendigkeit des Währungsumtausches weg.

Je stärker sich wieder Grenzzäune in Europa auftun, desto mehr stellt sich natürlich auch die Frage nach den wirtschaftlichen Folgen. Es war ja ohnehin immer ein wesentliches Argument für die europäische Integration, dass der gemeinsame Wirtschaftsraum über größere und tiefere Märkte zu höherer Produktionseffizienz der Unternehmen und größerer Produktvielfalt für die Verbraucher führen würde und so den Wohlstand steigert.

Nun sind Integrationsstudien generell nicht einfach. Zum einen kann schon die Ankündigung der Abschaffung von Zollschranken dazu führen, dass Unternehmen ihre Vorleistungsketten anders – in diesem Fall grenzüberschreitend – organisieren. Ereignis und ökonomischer Effekt können also zeitlich auseinanderfallen. Zum anderen können sich auch Ereignisse überlappen, wie beispielsweise eine Welthandelsrunde und ein europäischer Integrationsschritt. So liegen  die Einführung des Europäischen Binnenmarktes (1992), die Gründung der Welthandelsorganisation (1995) und das Inkrafttreten des Allgemeinen Abkommens über den Handel mit Dienstleistungen (1995) zeitlich so nahe beieinander, dass sie sich kaum auseinanderhalten lassen.

Wir haben uns dennoch an einer sehr simplifizierten Rechnung versucht. Hierzu vergleichen wir die Zahlen für den Handel zwischen EU-Mitgliedsstaaten einerseits sowie der Exporte des Rests der Welt in die EU andererseits. Datenquelle ist hierbei die Statistik des Internationalen Währungsfonds zu den bilateralen Handelsströmen (Direction of Trade).

Ganz grob lässt sich daraus ableiten, dass die Entwicklung Richtung offener Grenzen, Binnenmarkt und gemeinsamer Währung seit Mitte der 1980er Jahre zu einer deutlich beschleunigten Entwicklung des Handels innerhalb der EU gegenüber dem Handel des EU-Auslands mit der EU geführt hat. Es sind 5 bis 10 Prozentpunkte, die der Intra-Handel dadurch größer ist als ohne Integration. Das entspricht einem Gegenwert von 150 bis 300 Mrd. Euro.

Wir reden hier also nicht über Kleinigkeiten. Solange es um kurzzeitige Grenzkontrollen geht, werden Folgebelastungen wie durch Staus die Vorleistungsketten nicht unbedingt in Frage stellen. Das würde allerdings bei zeitlich nicht mehr beschränkten Grenzkontrollen anders aussehen.

Oder kurz: Europa hat auch wirtschaftlich viel zu verlieren, wenn es unter dem Druck äußerer Einflüsse und mangels gesicherter Außengrenze intern wieder Grenzen aufbaut.

  1. 3. Februar 2016 um 10:31

    Personenkontrollen und freier Warenverkehr lassen sich sehr wohl miteinander vereinbaren. Etwas höhere Transaktionskosten sind ein gewiss akzeptabler Preis, wenn dadurch staatlicher Kontrollverlust und gesellschaftlich hoch brisante Konflikte vermieden werden.

  1. 3. Februar 2016 um 09:26
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