Fabian Fritzsche: Die alten Rezepte gelten noch
Die 2008 begonnene Krise geht nun in ihr achtes Jahr. Angesichts dieses langen Zeitraums ist es nicht verwunderlich, dass immer wieder behauptet wird, die alten Rezepte zur Belebung der Wirtschaft würden nicht mehr funktionieren, wir befänden uns in einer komplett neuen Situation.
Zuletzt behauptete Henrik Müller in seiner Kolumne: „Wir sind auf dem Weg in ein wirtschaftliches Paralleluniversum, in eine Welt, in der Gewohntes nicht mehr gilt, in der sich vieles ins Gegenteil verkehrt: Aus Plus wird Minus, aus Gut wird Schlecht, aus Richtig wird Falsch. Eine Anti-Ökonomie. […]Bei der Reise in die Tiefen der Anti-Ökonomie zeigen die wirtschaftspolitischen Navigationsinstrumente seltsame Dinge an: Aus Inflation wird Deflation. Aus Wachstum wird Schrumpfung. Aus Sparzinsen werden Strafgebühren.“
Eine solche Behauptung setzt also implizit voraus, dass es wirtschaftspolitische Instrumente gibt, die in der Vergangenheit regelmäßig erfolgreich angewendet wurden und die heute aber keine Wirkung zeigen oder die heute sogar das Gegenteil bewirken, wie Müller andeutet. Verwiesen wird dabei üblicherweise auf die Geldpolitik, die seit Jahren expansiv ist, es werde „immer mehr Geld in die Märkte gepumpt“, doch statt Wachstum und gewünschter Inflation erleben wir das Gegenteil. Von vielen Kommentatoren wird der EZB vorgeworfen, die Dosis immer weiter zu erhöhen, obwohl die Medizin offenkundig nicht wirke. Angesichts der Dauermisere der Eurozone liegt ein solcher Vorwurf zwar nahe, aber tatsächlich hält er einer Überprüfung nicht stand.
Zunächst einmal zur Geldpolitik. Diese ist sicherlich expansiv, die Zinsen sind so niedrig, wie sie nur sein können und zusätzlich werden weitere geldpolitische Instrumente – die nebenbei bemerkt ohnehin keine alten Rezepte, sondern neue sind – angewendet. Unbestritten sind auch die anhaltend schwache wirtschaftliche Situation der Eurozone sowie eine Inflationsrate, die dauerhaft weit unter dem Zielwert liegt. Alleine daraus kann aber nicht auf die Ineffektivität der Maßnahmen geschlossen und schon gar nicht das Gegenteil gefordert werden. Die Realzinsen liegen insbesondere in den Krisenstaaten noch klar im positiven Bereich, müssten aber etwa gemäß der Taylor-Regel etwa in Spanien und Italien deutlich im negativen Bereich liegen. Und entgegen der landläufigen Vorstellung explodiert die Geldmenge keineswegs, sondern steigt historisch gesehen sogar extrem langsam an. Zum einen ist die Geldpolitik also nicht so expansiv, wie es scheint, zum anderen funktioniert die Geldpolitik nach allem, was wir wissen durchaus, aufgrund der Schwere der Krise nur nicht ausreichend gut, denn dafür müssten die Zinsen tatsächlich noch weitaus niedriger liegen. Um bei der gerne verwendeten Analogie von der nicht wirkenden Medizin, deren Dosis stetig erhöht wird zu bleiben: Wer in einer Situation wie der aktuellen eine Abkehr von der expansiven Geldpolitik fordert, möchte letztlich, dass der Arzt die Therapie nicht nur beendet, sondern dem Patienten darüber hinaus auch noch schädliche Mittel verabreicht. Über die einzelnen Instrumente der quantitativen Lockerung kann sicherlich diskutiert werden, aber kaum seriös über eine Abkehr von einer expansiven Geldpolitik.
Wen von den Rezepten, die angeblich nicht mehr wirken, die Rede ist, wird die zweite Säule einer aktiven Konjunkturpolitik, die Fiskalpolitik wird entweder ausgeblendet oder es wird auf die stark gestiegenen Staatsschulden verwiesen. Wird die Fiskalpolitik gar nicht erst erwähnt, ist dies möglicherweise auf die Überzeugung zurückzuführen, diese führe ohnehin bestenfalls zu einem Strohfeuer. Streng genommen, wären wir dann aber auch nicht in einer „Anti-Ökonomie“, wenn derjenige glaubt, Fiskalpolitik hat in der Vergangenheit nichts genützt und nutzt auch bewirkt auch heute nichts. Der Verweis auf die Staatsschulden als Beleg für eine angeblich expansive, aber offenbar nutzlose Fiskalpolitik, ist hingegen perfide. Nicht nur, aber insbesondere in den Krisenstaaten der Eurozone sind die Staatsausgaben seit 2009/10 gefallen. Die Fiskalpolitik war also klar restriktiv. Die steigenden Schulden sind kein Beleg für eine expansive Politik, sondern ganz im Gegenteil ein Beleg für das Scheitern der Austeritätspolitik. Die sinkenden Ausgaben haben die Rezession vertieft und verlängert und so am Ende mehr Schulden verursacht. Die Kürzung der Staatsausgaben mitten in der Krise hat letztlich genau zu dem geführt, was hier im Blog und von vielen anderen Kommentatoren von Anfang an prognostiziert wurde. Das alte, seit achtzig Jahren bekannte Rezept – sinkende Staatsausgaben wirken restriktiv – wirkt also wie immer.
Das Problem der Eurozone ist also keineswegs, dass die alten Rezepte nicht mehr wirken oder gar das Gegenteil bewirken. Die Geldpolitik kann schlicht und einfach nicht so expansiv sein, wie es die alten Rezepte verlangen und die Fiskalpolitik hat geradezu das Gegenteil dessen gemacht, was die alten Rezepte in einer derart schweren Krise verlangen würden.