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Fabian Fritzsche: Secular Stagnation

19. Mai 2016

Seit beinahe acht Jahren wird darüber diskutiert, wie es zur Großen Rezession 2008/09 kommen konnte und welche Maßnahmen hätten ergriffen werden müssen bzw. welche noch ergriffen werden sollten. Ein gewisser Grundkonsens besteht allenfalls bei einigen wenigen Ursachen (überschuldete Privathaushalte, zu laxe Kreditvergabe, zu geringe/falsche Regulierung) und darin, dass die USA die Krise irgendwie doch besser gemeistert haben als wir Europäer.

Letzteres ist zwar nach allen objektiven Kriterien richtig, allerdings sind auch die USA seit Ende der Rezession weitaus langsamer gewachsen als es noch vor der Krise normal war. Die naheliegende und offenbar auch von den meisten Ökonomen geteilte Auffassung ist, dass die Krise in Europa noch lange nicht, aber auch in den USA noch nicht vollständig überwunden wurde. Ein solch langer Prozess der Krisenüberwindung ist einerseits sicherlich beunruhigend, andererseits suggeriert diese Auffassung aber auch, die Krise könne – irgendwann – vollständig überwunden werden und dann sei wieder alles wie zuvor. In einer solchen Gedankenwelt ist selbst die Dauerkrise Japans lediglich das Ergebnis einer verfehlten Finanz- und Geldpolitik. Möglicherweise liegt aber genau dort ein großer Irrtum.

Wie an dieser Stelle mehrfach dargelegt, haben die USA die Krise durch eine andere Geld- und Fiskalpolitik besser gemeistert als Europa und vermutlich wäre auch eine deutlich bessere Politik vorstellbar, die zu nochmals besseren Ergebnissen  geführt hätte. Darüber hinaus existieren allerdings weitere Gründe, die ganz unabhängig von der Krise und ihren Ursachen für ein dauerhaft schleppendes Wachstum sprechen. Dies sind im Wesentlichen die Bevölkerungsentwicklung und das Produktivitätswachstum.  Die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter ist in der Nachkriegszeit in den meisten Staaten Westeuropa und den USA rasant gestiegen, das Wachstum hat sich aber fast überall klar verlangsamt, teils sinkt die Zahl der Menschen zwischen 15 und 64 sogar bereits. Dieser Trend konnte zeitweise abgemildert werden durch eine erhöhte Erwerbsbeteiligung von Frauen, doch auch diese Entwicklung nähert sich offenbar dem Ende. Sicherlich kann die Bevölkerungsentwicklung nicht 1:1 in Wirtschaftswachstum umgerechnet werden, doch mittel- bis langfristig kann eine Volkswirtschaft mit stagnierender oder gar sinkender Erwerbsbevölkerung unter sonst gleichen Umständen nicht so stark expandieren wie eine mit deutlich steigender Erwerbsbevölkerung. Erschwerend tritt insbesondere in Europa das Problem des nachlassenden Produktivitätswachstums hinzu. Seit den späten 1960er Jahren hat sich das Produktivitätswachstum in den europäischen Volkswirtschaften fast stetig verringert, in Frankreich oder Italien ist es nahezu vollständig zum erliegen gekommen. Wenn aber die Zahl der potentiell erwerbstätigen Menschen abnimmt und diese ihren Output pro geleisteter Stunde kaum noch erhöhen, wo soll dann dauerhaft Wachstum herkommen? International wird dieses Phänomen unter dem Begriff Secular Stagnation diskutiert, in Deutschland aber bislang kaum.

Inwieweit das  ein grundsätzliches Problem ist wenn der materielle Wohlstand pro Kopf stagniert oder nur wenig wächst, soll an dieser Stelle nicht analysiert werden. Sollten die Überlegungen aber stimmen, wird dies zu einem Umdenken in vielen Bereichen führen müssen. Zinsen von nahe Null etwa sind dann keineswegs mehr eine absurde Ausnahmesituation, die nach Ansicht vieler schnell beendet werden muss, sondern werden dann eher der Normalfall sein. Das schränkt wiederum die Effizienz der Geldpolitik dauerhaft ein. Ein permanent niedrigeres Zinsniveau als in der Vergangenheit ist an sich vorteilhaft für die Aktienkurse, doch werden in einer solchen Situation auch die Unternehmensgewinne deutlich langsamer wachsen als früher, was wahrscheinlich schwerer wiegt als die niedrigeren Zinsen. Trotz niedriger Zinsen werden private Investitionen in der Welt der Secular Stagnation oft nicht rentabel sein und somit unterbleiben, was seinerseits (negative) Auswirkungen auf das Produktivitätsniveau haben wird. Die Implikationen sind vielfältig und drastisch doch werden bislang allenfalls in sehr begrenzten Zirkeln diskutiert. Dabei gilt, je früher wir damit beginnen, desto eher werden wir uns auf die neue ökonomische Welt umgestellt haben.

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