Die Rechnung, bitte! – Widerstand gegen harten Sparkurs: Spaniens vorbildliche Sünden
Kürzlich waren sie noch Vorbilder, jetzt werden Spanier und Portugiesen beschimpft. Dabei machen sie nichts anderes als vorher: die Wirtschaft ankurbeln, statt wie irre zu sanieren. Sündigen für Fortgeschrittene.
Es ist gerade ein paar Monate her, da durfte Mariano Rajoy nach Berlin kommen, sich von Finanzminister Wolfgang Schäuble umarmen und als ultimatives Vorbild vorführen lassen. Dafür, wie man mit hartem Sparen und Reformieren eine Wirtschaft ankurbelt. Für selbiges galt es schließlich damals die Griechen, sagen wir, mit leichtem Nachdruck zu begeistern. Da kam der Spanier ganz gelegen.
Na, was denn jetzt? Sind die Spanier Schäubles Kuschelfreunde? Oder Sünder? Die Auflösung hat es womöglich in sich.
Dass das spanische Staatsdefizit 2015 mit fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts erneut über dem EU-Wunschwert von drei Prozent liegen würde, stand lange vor den Wahlen im Herbst fest, als Rajoy von Schäuble noch umarmt wurde. Seitdem hat sich da so viel nicht verändert. Auch nicht wirtschaftlich: trotz des Wahl-Patts entwickelt sich das Geschäftsklima in Spanien nach Umfragen nicht schlechter als bei uns, dem aktuellen Hort wirtschaftsreligiöser Vorbildlichkeit. Mit rund 2,5 Prozent Wachstum wird Spanien nach jüngsten Prognosen auch 2016 an der Spitze der großen Euro-Länder liegen. Na, so was. Madre mia.
Die weit plausiblere Antwort könnte daher auch eine andere sein: Wenn Spaniens Wirtschaft aus der Rezession gekommen ist, dann gerade weil die Regierung irgendwann aufgehört hat, wie irre Ausgaben zu kürzen und Steuern anzuheben. Und stattdessen die Konjunktur auch mal wieder ankurbelt. Den letzten großen Sanierungsschub gab es gemessen am Abbau des strukturellen Staatsdefizits 2013. Im Jahr 2014 wurde der Fehlbetrag kaum noch abgebaut, will heißen: den Menschen im Land kaum noch Geld abgenommen.
Vergangenes Jahr stiegen dann die staatlichen Konsumausgaben erstmals seit Langem wieder, ebenso wie die öffentlichen Investitionen, die von 2,1 auf 2,5 Prozent der Wirtschaftsleistung stiegen. Vor allem ließ Rajoy im Wahljahr die Steuern senken.
Ist es ein Zufall, dass 2014 auch die Wirtschaft wieder anzuziehen begann? Und dass das Wachstum just 2015 auf mehr als drei Prozent beschleunigte? Dass seitdem die Menschen in Spanien wieder mehr Geld ausgeben und dank des Aufschwungs auch die Arbeitslosigkeit endlich wieder sinkt? Natürlich nicht.
Wirtschaft ist nichts für Sittenwächter
So ist das eben mit den gesamtwirtschaftlichen Wirkungsketten. Nichts für einfache Gemüter oder religiöse Sittenwächter. Wer zu viel kürzt und Steuern anhebt, bekommt irgendwann nur noch Rezession. So sehr solche Sanierungsrunden auch manchmal nötig scheinen. Und so sehr es zusätzlich geholfen haben mag, dass die Regierung die eine oder andere Regulierung am Arbeitsmarkt gelockert hat.
Im Falle Spaniens müssen sich Deutschlands Stabilitätsapostel schon entscheiden. Entweder ist es blöd, dass die Spanier ihre Staatsdefizite nicht schneller abbauen. Das kann man so sehen, sie dann aber nicht gleichzeitig als Vorbilder für hohes Wirtschaftswachstum loben. Und umgekehrt.
Hätte Rajoy die Steuern nicht gesenkt, nicht mehr investiert und stattdessen weiter den Austeritäts-Zampano gegeben, hätte Spanien heute womöglich die Wolfgang-Schäuble-Verdienstmedaille. Aber weder eine so stark sinkende Arbeitslosigkeit noch so hohes Wachstum. Und dafür womöglich noch mehr politisches Kriseln.
Da hilft auch das penetrante Gedröhne der Freunde irre einfacher deutscher Regeln über die ach so bösen Sünder nichts. Es wäre schlauer, von vornherein nur solche Defizitziele festzulegen, die auch Raum dafür lassen, eine Wirtschaft anzukurbeln. Eine hohe Kunst.
Eine wachsende Wirtschaft scheint immer noch die beste Garantie für sprudelnde Steuereinnahmen und sinkende Staatsausgaben, etwa für Arbeitslose. Fragen Sie mal Herrn Schäuble. Der kennt das gar nicht mehr anders.
_______________________
Die neue Kolumne erscheint seit dem 15. April 2016 im wöchentlichen Rhythmus auf Spiegel Online (SPON).