Thomas Fricke: Deutscher Schuldenberg – Nicht so schlimm, dass wir zweitausendneunundvierzig Milliarden Euro Schulden haben
Wir hinterlassen unseren Kindern einen gigantischen Schuldenberg. Ob sie uns das später vorwerfen? Zumindest können wir alles ganz einfach erklären.
Ferien überall. Jetzt kommt Omi zu Lisa. Und Max eine Woche zu Onkel Horst. Während Mutti und Helga mit den Kindern an die See fahren. Generationentreff. Wann, wenn nicht jetzt, wäre die Zeit, in lockerer Atmosphäre Stressthemen aufzuarbeiten, die sich aufgebaut haben. Und die kleinen Prinz(essinn)en über ihre künftigen Aufgaben und Verantwortungen aufzuklären. Stichwort: Schuldenberg.
Teilen Sie ihrem kleinen Engel bei passender Gelegenheit also mit ruhiger Stimme mit, dass es nun mal so ist, dass der Staat, also wir alle sozusagen, ganz viel Schulden haben, um genauer zu sein: zweitausendneunundvierzig Milliarden Euro, Stand Ende 2014. So. Kann sein, dass Laura jetzt irritiert schaut, weil sie Schuld eigentlich nur daher kennt, wenn Marie in der Kita Luis wieder von der Schaukel gekickt hat.
Wir brauchen die Kinder ja auch noch für die Rente
Dann sollten Sie zur Veranschaulichung nachlegen und sagen, dass es hier nicht um Moral, sondern ums Geld geht – um das, was sich sozusagen Oma und Opa, also alle Älteren, na ja, der Staat eben, geliehen haben – und ihr, also sie, also der Staat eben, irgendwann zurückzahlen müssen.
Und dass das eine Zahl sei mit, oha, dreizehn Stellen. Und dass das, um es mal konkreter zu machen, für jedes Kind im Alter von heute bis zu 15 Jahren eine Verbindlichkeit von 191.747 Euro bedeutet. Also statistisch. Da muss, könnten sie noch anfügen, Cristiano Ronaldo fast einen ganzen Tag für arbeiten – aufwendig hübsch machen, hinfallen, weinen und Trikot ausziehen.
Sollte jedes Kind künftig ein halbes (Enkel-)Kind kriegen, verringert sich die durchschnittliche Belastung bei 2.049.171.000.000 Euro Staatsschulden auf etwa 127.831 Euro pro Kind und Enkel. Da muss jedes Einzelne auf rund 4300 Besuche im Zoo verzichten. Zoosterben. Am besten sofort auch auf Schokolade, Eis und Kino. Und aufs Handy.
Spätestens an dieser Stelle könnte Lisa verkünden, in ewiges Schweigen zu treten, und Max sich mit dem grünen Kroko zielstrebig in die Ostsee stürzen. Urlaub dahin. Das wollen wir natürlich auch nicht (wir brauchen die Kinder ja auch noch für die Rente). Vielleicht sollten Sie erwägen, an diesem Punkt die Strategie – und den ökonomischen Berater – zu wechseln.
Dann könnten Sie zur Beruhigung anmerken, dass Sie das ja eigentlich auch nur so sagen, weil das Leute sagen, die in Talkshows sitzen und meistens was anderes meinen (jedenfalls oft gar keine Kinder und Enkel haben). Weil sie zum Beispiel nicht wollen, dass überhaupt jemand mehr Geld vom Staat kriegt. Ach so.
Niemand hat je alle Staatsschulden zurückbezahlt
Sie könnten die Dinge ein wenig ins rechte Licht zu rücken versuchen und darauf hinweisen, dass Oma und Opa auch nicht wirklich geprasst haben. Und dass die meisten neuen Schulden gemacht wurden, als wir mit der Einheit auch 16 Millionen zusätzliche Leute bekamen – und dass das ja ein eindeutig guter Zweck gewesen sei, weil Deutschland so blühende Landschaften und viele weltoffene Menschen gewonnen hat.
Abgesehen davon verfügt der Staat ja auch über Geld und Vermögen. Wichtig ist der Saldo von Schulden und Forderungen. Sieht man es so, bleiben netto Schulden von 40 Prozent der Wirtschaftsleistung, statt mehr als 70 Prozent, wie meistens berichtet. Was die Rückzahlung pro Kind und Enkel rechnerisch auf unter 70.000 Euro reduziert. Mehr noch: der Staat besitze ja auch Schulen, Hochschulen und Straßen. Womit sie natürlich nicht sagen wollten, es gebe keine Schulden. Schluchz. Fortwährender Beruhigungsbedarf.
Psychologisch wichtig wäre, an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass es gar keinen Termin gibt, an dem Kinder und Enkel alle Schulden zurückzahlen müssen, die der Staat gemacht hat. Das nimmt noch etwas Druck. Dafür sei erstens der Finanzminister zuständig. Zweitens leihe sich der Staat immer wieder Geld und zahle es zurück. Das geht auch so weiter. Aufatmen. Es gibt auf der Welt auch niemanden, der jemals alle (Staats-)Schulden zurückbezahlt hat, nicht einmal, sagen wir, die Kinder in der Schweiz.
Macht auch keinen Sinn, schon weil es viele Menschen (und Banken) gibt, die ihre Geld gern in sichere Anleihen stecken, also darauf angewiesen sind, dass der Staat solche ausgibt, sich also verschuldet (spätestens ab hier wäre es hilfreich, wenn ihr Kind in der Kita zumindest einen Basiskurs Volkswirtschaftslehre belegt hat). In Japan ist die Staatsschuldenquote mittlerweile dreimal so hoch wie bei uns. Klingt krass. Wichtig sei, die Sache einigermaßen unter Kontrolle zu halten. Vertrauenssache. Ein erstes Lächeln.
Der Joker für Fortgeschrittene
Jetzt können Sie argumentativ noch einen drauflegen und erklären, was es bedeuten würde, wenn der Staat plötzlich ganz viel Geld nutzen würde, um Schulden zurückzuzahlen, und es nicht mehr auszugeben – um damit angeblich die Kinder und Enkel zu erfreuen. Dass dann (noch) weniger in die Reparatur kaputter Straßen und wackliger Brücken investiert würde. Und weniger in die Rettung des Klimas. Dass uns dann noch mehr Polizisten fehlten, die uns vor Terror schützen. Und Lehrer (Achtung, das Argument zählt nur in den ersten Klassen). Und dass eine gute Infrastruktur aller Erfahrung nach wichtig ist, damit die Wirtschaft wächst und Jobs für junge Leute schafft und Steuern zahlen kann. Und der Staat dann weniger Schulden machen muss. Merke: Wer kein Geld verdient, kann auch keine Schulden zurückzahlen. Der Enkel dankt.
Urlaub gerettet? Noch nicht ganz? Dann haben Sie noch einen Joker (für Fortgeschrittene). Erklären Sie mit einfachen Worten, was es zinstechnisch bedeutet, wenn der Staat keine neuen Schuldtitel mehr ausgibt – es aber noch mindestens genauso viele Leute gibt, die ihr Erspartes sicher anlegen wollen. Angebot und Nachfrage. Dann sinkt auch der Erlös, den man auf die Ersparnis noch kriegen kann. Rums: noch länger noch niedrigere Zinsen. Ob auf Opis Staatsanleihe oder Max‘ Sparbuch. Na, herzlichen Glückwunsch.
So bringt man Generationen wieder zusammen. Schönen Urlaub.
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Die neue Kolumne „Die Rechnung, bitte!“ erscheint seit dem 15. April 2016 im wöchentlichen Rhythmus auf Spiegel Online (SPON).