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Thomas Fricke: Aufstieg der AfD – Abstiegsangst schafft Feinde

16. September 2016

Politiker erklären den Aufstieg der AfD gerne mit der Angst vor Flüchtlingen. Dabei sind die Gründe womöglich viel profaner – und eher im Nachbarsgarten zu suchen als bei Burka tragenden Frauen. Ein Erklärungsversuch.

Der Befund scheint naheliegend. Wenn derzeit fast überall die Populisten von rechts Aufwind haben, dann muss das etwas damit zu tun haben, dass es fast überall eine Menge Verlierer der Globalisierung gibt. Das schafft Unmut. Klar.

Die Frage ist dann nur, warum in Deutschland so viele Leute AfD wählen – als nächstes wohl am Sonntag in Berlin? Wo wir als Land doch zu den (Export-)Gewinnern zählen, es bei uns so wenige Arbeitslose gibt wie lange nicht, die Einkommen steigen und der Staat trotz aller Unkenrufe über teure Flüchtlinge steigende Überschüsse einfährt. Und warum ist der Unmut über alles Mögliche auch unter denen so groß, die gar nicht zu den Tagelöhnern mit Wackeljob und Billigkonkurrenz aus dem Osten zählen, sondern gelegentlich sogar zur Elite der Ingenieure, Chemiker und Ärzte?

Der Grund für die Stimmungslage muss woanders liegen. Eine Erklärung könnten die Ergebnisse einer höchst spannenden Studie einer Forschergruppe um das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) geben.

Die Ökonomen haben ausgewertet, ob und wie stark die wirtschaftliche Unzufriedenheit von Menschen im eigenen Land auf den persönlichen Hang wirkt, Hass auf Ausländer zu schieben. Und zwar weniger gemessen an der absoluten Höhe des Einkommens – also an der Frage, ob man in der Gesellschaft unten oder oben steht – sondern daran, wie man sich im Vergleich gegenüber denen entwickelt, die zum persönlichen Umfeld gehören. Also Familie, Nachbarn und Freunde.

Das Ergebnis birgt auch eine Botschaft an alle, die gerade versprechen, das Unheil in der Welt mit Burka-Verboten zu beseitigen.

Als lebenswirklichen Test nutzten die Forscher Daten und Umfragewerte aus der Zeit kurz nach dem Mauerfall. Dabei waren im Spätsommer 1990 rund tausend Ostdeutsche befragt worden, wie sie es mit Ausländern und rechten Parteien halten – ob etwa Fremde dieselben Rechte wie wir haben sollten. Und sie wurden gefragt, wie groß ihr Unmut darüber ist, dass sie gegenüber den Westdeutschen weniger Einkommen haben – wobei zur besseren Beobachtung der zeitlichen Entwicklung nur jene beobachtet wurden, die schon vor dem Mauerfall Kontakt zum Westen hatten.

Ausdruck sehr viel diffuserer Ängste

Beides führten die IWH-Ökonomen jetzt zusammen – und siehe da: diejenigen (27 Prozent), die mehr oder weniger starken Unmut über das nunmehr offenbar gewordene Einkommensgefälle gegenüber ihren Brüdern und Schwestern im nahen Westen äußerten, gaben stärker als alle anderen an, die politischen Rechte von Ausländern einschränken oder rechte Parteien wählen zu wollen.

Nach Rechnung der Experten lag die Wahrscheinlichkeit, große Vorbehalte gegenüber Ausländern zu haben, bei denen um 35 Prozent höher, die stark unter Westler-Neid litten. Was ganz nebenbei neuere Erkenntnisse darüber bestätigt, wie stark unsere Zufriedenheit davon abhängt, ob der Nachbar einen neuen Mercedes fährt oder nicht (oder ob die Nachbarin schon die neue Schultasche hat). Und weniger von unserem absoluten Wohlstand.

Eine Deutung könnte nun noch darin liegen, dass halt ein starker Zustrom (billiger) ausländischer Kräfte tatsächlich die Gefahr eines wirtschaftlichen Abstiegs geringer qualifizierter Einheimischer erhöht. Das könnte den Unmut über die neuen Bürger erklären. Belege dafür liefert die Studie allerdings nicht, wie IWH-Ökonom Walter Hyll einräumt.

Dagegen spricht auch, dass es zum Zeitpunkt der Ost-Erhebung 1990 noch gar keine so nennenswerte Zuwanderung im Osten gab. Und es würde umgekehrt auch nicht auflösen, warum dann selbst in der Mittelschicht heute so viel Unmut gegen Fremde herrscht – dort muss man ja nicht wirklich die Arbeitsmarktkonkurrenz von unausgebildeten syrischen Flüchtlingen fürchten.

Eine plausiblere Deutung könnte sein, dass der Hass auf das Fremde nicht nur, aber ziemlich oft auch Ausdruck sehr viel diffuserer Ängste ist – etwa davor eben, gegenüber Freunden und Nachbarn abzusteigen oder schlechter dazustehen. Wofür wiederum die Ausländer in der Regel nicht so viel können oder bestenfalls sehr indirekt: Weil die Globalisierungs-Heilslehre zum Dauerkonkurrenzstress führt – und dies Bundesregierungen dazu getrieben hat, alte Sicherungsmechanismen zu kappen. Beispiel: Arbeitslosengeld. Wer seinen Job verliert, droht seit den Schröder-Reformen eben in der Regel schon nach einem Jahr auf Hartz-IV-Niveau zu landen – egal, wie lange er vorher gearbeitet hat.

Unmut – auch in der Mittelschicht

Derlei könnte erklären, warum der Unmut nicht nur bei denen da ist, die zur ökonomischen Billigklasse gehören – sondern auch in der Mittelschicht, wo die wirtschaftliche Fallhöhe größer ist. Die Ergebnisse der Studie könnten auch verstehen helfen, warum, sagen wir, auf Usedom so viele rechts wählen, obwohl es dort kaum Ausländer gibt. Und sie könnten verstehen helfen, warum die AfD just in den Monaten seit Januar noch einmal enorm an Zulauf gewonnen hat, in denen die Zahl der Flüchtlinge stark abnahm und das Abendland bis auf weiteres gerettet scheint.

afd-grafik

Wenn das stimmt, hilft es eben auch schrecklich wenig, gegen die Populisten alle zwei Monate ein neues Gesetz zu beschließen, Regeln zur Integration von Ausländern zu verschärfen, Asylrechte einzuschränken und den Druck auf Geflüchtete zu erhöhen. Oder wie die Seehofers besinnungslos Obergrenzen für etwas zu fordern, was es (im Moment) ohnehin nicht mehr gibt, und mit mehr oder weniger unsinnigen Ideen zur Eindämmung von Islamisten zu kommen (so sinnvoll das eine oder andere auch sein mag).

Das wird jene nicht beruhigen, die sich in Wirklichkeit womöglich davor fürchten, wirtschaftlich den Anschluss an Freunde und Nachbarn zu verlieren.

Dann wäre es sinnvoller, bayerische Politiker würden sich etwas intensiver mit den Tücken der Globalisierung, der dramatischen Ungleichheit von Einkommen und der Grundreform des Finanzsystems beschäftigen. Und weniger mit Burkas. Das bremst weder die AfD – noch wird es den Unmut im Land beseitigen.

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Die neue Kolumne „Die Rechnung, bitte!“ erscheint seit dem 15. April 2016 im wöchentlichen Rhythmus auf Spiegel Online (SPON).

  1. Jonny Walker
    20. September 2016 um 19:10

    da haben ,sie aber wieder die Spaßbrille, aufgesetzt. ‚Ist doch gar nicht so schlimm‘ das sagt auch unsere Kanzlerin. Von Hass kann man bei den meisten, von ihnen Rechtspopulisten genannten Menschen, garantiert nicht reden. Sie haben schlicht und einfach sehr große Bedenken dass das Volk diese Belastung die durch zu viel Migranten erfolgt, zu ihren Lasten geht. Es würde mich nicht wundern wenn sie jemand sind der vor circa 2-3 Jahren Kommentare dazu abgegeben hat, dass die älteren Menschen in Deutschland immer älter werden und die Rentenkassen zu massiv belasten werden. Heute schreiben Sie Juhuu Juhuu wir kriegen neue Bürger die und das wurde ja nun schon festgestellt sehr schwer und auch teilweise gar nicht eingliederbar sind. Wie stellen Sie sich den Generationenvertrag vor der letztlich die Basis ist für die Versorgung der älteren Menschen. Wenn jetzt Zährer, an diesem Generationenvertrag auftauchen die aber vorher nichts einbezahlt haben. So wird etwas, was über Jahrzehnte mühsam aufgebaut wurde, null und nichtig gemacht. Diese Sorgen haben sehr viele Menschen in Deutschland. Da muss man nicht groß rumschwafeln bezüglich Fallhöhe aus dem Wohlstand usw. . Es ist kein Futterneid, sondern eine einfache Rechnung aufzustellen. Wenn der Staat plötzlich sagen wir ruhig Millionen mehr Menschen zu versorgen hat so wird die Sozialleistung nach unten revidiert werden müssen das wiederum stößt sehr vielen Bürgern in der Republik sehr sauer auf und das ist der Hintergrund warum sie laut gegen die Migranten protestieren. Demografieproblem was für ein Unsinn. Durch kaputte Gesetze, eine komplett falsch angelegte Einkommensverteilung und andere dämliche, nur für die Industrie geschaffenen Gesetze/Bestimmungen , in Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften, haben die Regierungen zwar die BRD zum Exportweltmeister gemacht, aber die meisten Mitarbeiter haben nichts davon. Da geht dann die Ehefrau lieber arbeiten, anstelle Kleinkinder zu hüten. Und genau diese Menschen sind es die Rechts wählen. Sie ackern um auch etwas Wohlstand zu haben, z.B. Eine gute bezahlbare Wohnung. Und sie sehen dann, dass es einem Migranten eher gelingt eine von ihren Steuergeldern finanzierte Wohnung zu beziehen als sie selber. Diese Beispiele können Seitenweise geschrieben werden.

  2. 16. September 2016 um 19:56

    Kann Ihnen bei Ihrm Artikel nur voll zustimmen, Herr Fricke. Die Angst, Besitzstand zu verlieren, löst in den Menschen Ängste aus (siehe auch D. Kahneman). Denn die Gruppe „der Betroffenen“ fühlt sich von vielen Seiten bedroht. Die „alte Sicherheit“ verloren. Noch nicht den Anschluss an die „Wessies“ gefunden. Von Computern bedroht. Und nun auch noch von Asylanten, um die sich „mehr gekümmert“ wird. Die Lösung liegt, wie Sie richtig schreiben, nicht bei den Burkas sondern in der Adressierung der Ängste, die da sind.

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