Thomas Fricke: Schluss mit Krise – Wie Schäuble zum Weltenretter werden kann
Warum verteilt Wolfgang Schäuble keine Schecks, damit sich die Bürger was Hübsches kaufen? Er könnte eine Menge Probleme lösen und so selbst die Deutsche Bank retten – wenn er wollte.
Dabei gibt es durchaus gute Gründe, über das Retten von Wirtschaft und Banken nachzudenken – und mit einem Wurf gleich vier Probleme zu entschärfen: erstens das Bankendebakel; zweitens die Nullzinsen; drittens das Risiko, bald in der nächsten Rezession zu landen – und als Extra das Genöle von Nobelpreisträgern und anderen Kritikern. Was will man mehr?
- Problem eins: Wenn Deutsche Bank und Commerzbank in so große Krisen geraten, hat das nach Meinung zahlreicher Küchenbankanalysten mit einer Reihe von Dingen zu tun – etwa fehlenden Geschäftsmodellen (kann man immer sagen). Und da dürften auch die extrem niedrigen Zinsen eine Rolle spielen, die die Erträge zunehmend schmälern. Was alle Versuche erschwert, mit dem klassischen Einsammeln und Verleihen von Geld wieder Gewinn zu machen.
- Problem zwei: Die besagten Nullzinsen – etwas komplexer. Dass Geld so billig ist, hat ja weniger damit zu tun, dass plötzlich Notenbanker weltweit den Verstand verloren haben. Seit der Finanzkrise wird einfach nicht viel investiert und entsprechend wenig Kredit nachgefragt. Und nach aller historischen Erfahrung ist es auch nötig, dass Notenbanken nach dem Platzen einer Finanzblase wie 2008 auf Jahre hinaus Geld ins System schießen. Weil viele, die sich in der Hochzeit verschuldet haben, jetzt versuchen, Schulden loszuwerden, also Geld abziehen – was im Einzelfall gut ist, aber zu einem gefährlichen Abwärtslauf werden kann, weil keiner mehr Geld ausgeben und konsumieren und investieren will. Ergebnis: Depression. Anschauungsmaterial: Geschichtsbuch – oder mal bei (Ur-)opi fragen.
- Problem drei: Die Krisenrückfallgefahr. Trotz aller guten Wirtschaftsdaten mangelt es selbst in Deutschland seit Jahren an Investitionen in die Zukunft. Leitmotiv: Zögern. Weil alles so unsicher ist. Ohne solche Ausgaben droht dem Aufschwung nur bald jener Schwung auszugehen, den er ohnehin nur bei wohlwollender Beobachtung entwickelt hat. Zumal die deutsche Wirtschaft zunehmend zu spüren bekommt, dass der Welthandel kaum noch wächst – und die Nachbarländer vor lauter Kriseln und Konsolidieren kaum neue Märkte bieten.
Jetzt kann der Finanzminister den Bankern kein neues Geschäftsmodell erfinden (die schwarze Bankennull oder so was). Oder die Unternehmen zum Investieren zwingen. Und gegen Nullzinsen hilft es auch wenig zu schimpfen. Zumal die erwähnte Erfahrung dagegen spricht, die Leitzinssätze jetzt anzuheben. Das hat die US-Notenbank 1936 gemacht (wie heute acht Jahre nach dem Crash), weil sie damals auch dachte, das Land sei aus der Krise raus – worauf 1937/38 dann eine der schwersten Rezessionen der US-Geschichte folgte.
Besser wäre es, noch einmal nachzudenken. Ist es nicht doch schlauer, den Widerstand gegen alle Expertenrufe aus der weiten Welt zu überdenken – und die deutsche Konjunktur endlich richtig anzuschieben, statt den Slowmo-Aufschwung zu ummuttern und gelegentlich homöopathische Steuersenkungen zu verabreichen, die ohnehin keiner merkt?
In Deutschland gibt es allen gängigen Schätzungen zufolge nach wie vor einen dreistelligen Milliardenbedarf für Investitionen in Straßen, Schienen, Schulen, Universitäten und Kitas. Gegen einfallende Brücken und Schimmel in Klassenräumen. Oder für Forschung und Innovation. Wann, wenn nicht jetzt, wo der Finanzminister noch Zinsen geschenkt bekommt, wenn er sich Geld leiht? Der staatlichen Investitionen liegen mit niedlichen 2,2 Prozent der Wirtschaftsleistung nach wie vor niedriger als im Jahr 2001. Fahrlässig.
Ähnliches Potenzial gäbe es, private Ausgaben anzuschieben – etwa über eine Regel, Investitionen wieder schneller abschreiben zu können, wie das in besseren Zeiten üblich war. Würde so ein Bonus zeitlich beschränkt, gäbe das Anreiz, schnell zu investieren – und Nachfrage für andere zu schaffen, die dann auch wieder investieren. Und einstellen. Positivkreislauf statt Abwärtsspirale.
Schecks für alle Bürger
Warum nicht auch ein Paket für jedermann? Statt Steuern zu senken, wo die Entlastung oft bei Reicheren ankommt, die das Geld ohnehin nie ganz ausgeben, könnte es schlauer sein, den Leuten Schecks zu schicken, wie das die Amerikaner praktiziert haben – am besten mit Verfallsdatum: einzulösen bis, sagen wir, Ende 2017. Das würde verhindern, dass das Geld unterm Kopfkissen landet – und dafür sorgen, dass stattdessen tatsächlich mehr gekauft wird. Warum nicht auch gekoppelt daran, das Geld gezielt für wichtige Dinge auszugeben – etwa Klimaschonung.
Je schneller es gelänge, über so ein deutsches und (warum nicht auch) europäisches Paket endlich eine Eigendynamik anzustoßen – bei der umso mehr investiert wird und neue Kapazitäten entstehen, je mehr ausgegeben wird – desto schneller wird für die gescholtenen Notenbanker der Grund wegfallen, im Notfallmodus zu bleiben und ihre Zinsen bei null zu halten. Desto schneller können die Währungshüter aufhören, Geld über irre Anleihekäufe ins System zu pumpen. Desto schneller entfielen dann auch die tückischen Nebenwirkungen auf (überdrehende) Aktien- und Immobilienmärkte.
Dann gäbe es ja dank Aufschwung genug Geld und Dynamik – und das Risiko, in die nächste Depression zu fallen, würde mit jedem Monat schwinden. Dann stiegen mit dem Investitionsbedarf ganz automatisch auch wieder die Zinsen. Und: Dann schwände mit jedem Prozent höherer Zinsen das Risiko für angeschlagene deutsche Großbanken, gerettet werden zu müssen (was nicht heißt, dass das zur Rettung reicht). Zumal bei guter Konjunktur und steigenden Investitionen auch die Nachfrage nach Krediten zulegt – gut für Verleiher. Die Bank dankt.
Über Details lässt sich streiten, klar. Unsinn ist, dass wir dafür kein Geld haben. Nach einer Studie, die das Bundeswirtschaftsministerium gerade veröffentlicht hat, finanzieren sich gut ausgewählte Investitionen in Verkehr, Bildung, Kitas und Forschung nach ein paar Jahren selbst: Weil sie Aufträge, Fachkräfte und Wirtschaftsleistung mit sich bringen – und der Kassenwart darauf ja wieder Steuern erheben darf. Nach Rechnung der Experten kommt so systematisch mehr Geld rein, als der Finanzminister ursprünglich investieren musste. Das Geld in Schulen und Kitas zu stecken, bringt demnach jährlich 14 Prozent Rendite im Etat. Traumhaft.
Richtig ist, dass unser Finanzminister dafür Geld vorschießen muss, sprich: einmal kurz von der schwarzen Null abweichen, im Wahljahr. Aber, was ist das schon, wenn er dafür die deutsche Wirtschaft aus der latenten Investitionslethargie holen, die Deutsche Bank retten und uns von den irren Niedrigzinsen des Mario Draghi befreien kann? Und er beim nächsten Treffen von IWF und Weltbank keine nervige Kritik mehr hören muss? Retter der Welt.
Oder meinen Sie, der will das gar nicht?
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Die neue Kolumne „Die Rechnung, bitte!“ erscheint seit dem 15. April 2016 im wöchentlichen Rhythmus auf Spiegel Online (SPON).
Mit jenem Beitrag haben Sie das SPON-Forum ja heftig aufgemischt…
„Schecks für alle Bürger“ klingt interessant, aber warum soll das auf Basis zusätzlicher Staatsschulden geschehen, wenn der Exportüberschuss Deutschlands doch bei mittlerweile über 250 Mrd. Euro liegt, d.h. über 3000 Euro pro Kopf, bzw. über 10000 Euro pro „statistischer Familie“ (2 Personen+Geburtenrate), und Jahr bzw. 800 Euro Netto monatlich ohne Beeinflussung der Wettbewerbsfähigkeit, weil der erzielte Exportüberschuss ja auf exakt jener Wettbewerbsfähigkeit basiert?
Ein Plus von 800€ mtl. netto würden einer Familie aus zwei Erwachsenen und (statistisch) 1,4 Kindern einen Großteil der Furcht vor dem Abstieg auf Hart4 nehmen und wären zusätzlich (allerdings bei einem Kollaps der Dividenden) ohne Minderung der globalen Wettbewerbsfähigkeit finanzierbar.
Oder würde halt ca. 500€ mtl. zusätzlich für ein Rentnerehepaar bedeuten.
Warum also sollte Schäuble derartige Schecks auf Basis von Neuverschuldung ausstellen, wenn die bundesdeutsche Wirtschaft auf Basis ihrer globalen Wettbewerbsfähigkeit obiges Einkommensplus erwirtschaften kann?
Klar, die 800€ mtl. sind ein theoretischer Maximalwert, welcher Boni und Dividenden verhindern würde, somit Rechte Anderer tangieren würde.
Aber so 500-600€ mtl. wären für einen Haushalt mit statistischen 3,4 Personen gemittelt schon zusätzlich drin…
Aufgrund algorithmischer Effekte würde eine auf Ihrem Vorschlag basierende Neuverschuldung dazu führen, dass „die effizientesten Marktteilnehmer“ über den durch ihren so resultierend überproportional gewachsenen Vermögenszuwachs ebenfalls überproportional gewachsenen Einfluss der Demokratie weiteren Schaden zufügen und so „anders lügenden“ Populisten weiteren Zuwachs bescheren.
Nein, wollte Schäuble derartige „Schecks“ verteilen, müsste er dies über eine gesenkte MwSt realisieren, welche durch erhöhte Steuereinnahmen aus Gewinnen und Einkommen gegen-finanziert werden würde.
Bekäme er dafür eine Mehrheit?
Würde er jenen Vorschlag machen wenn er weiß, dass er dafür keine Mehrheit bekäme und somit nur seine eigene Macht untergraben würde?
Ich tippe diesbezüglich auf nein… Dafür hat er zu viel Erfahrung im politischen Geschäft.
Die „konservative“ Truppe dürfte für solche Vorschläge zu mächtig sein, d.h. derartige Vorschläge schwächen nur die eigene Position.
Zusätzlich erfolgte als Folge Ihres Beitrags eine (aus meiner Sicht unwiderlegbare) Antwort auf die Frage bezüglich der Betrachtung der TARGET2-Salden:
Zitat:
– Geld und Kredit sind zwei Seiten der selben Medaille
– Wird also ein Kredit vergeben, steigt resultierend die Geldmenge
– Steigt die Geldmenge, wurde also irgendwo ein Kredit vergeben
– Bei den TARGET2-Salden steigt die Geldmenge aber nicht…
Oups…
Die TARGET2-Salden stellen somit keine Kredite dar, d.h. HWS‘ Bücher zu jenem Thema sind grob fehlerhaft.