Wirtschaftsdienst exklusiv – Plurale Ökonomik als Antwort auf die Krise der VWL
Die Finanzkrise hat tiefliegende Probleme des ökonomischen Mainstreams offengelegt. Mit welchen Methoden arbeitet der Mainstream? Wo liegen seine Fehler? Und wie sollten Forschung und Lehre in der VWL idealerweise funktionieren? Das sind Fragen, die Dirk Ehnts und Lino Zeddies in ihrem Beitrag zur aktuellen Ausgabe des Wirtschaftsdienst behandeln.
„Würden Ökonomen Brücken bauen, so würden diese vermutlich einstürzen. Doch Ökonomen bauen keine Brücken, sondern sie beschäftigen sich mit Wirtschaftssystemen.“ beginnen die Autoren ihr Plädoyer für eine Plurale Ökonomik. Die Finanzkrise habe es gezeigt: Das Eintreten der Mainstream-Ökonomen für mehr Deregulierung war ein Fehler. Aber auch das weitverbreitete Wachstumsdogma sei angesichts ökologischer Grenzen in Zweifel zu ziehen. Die Autoren beschreiben den Mainstream mit folgenden Charakteristika: Das Menschenbild des Homo Oeconomicus dominiert, kennzeichnend sind außerdem ein methodologischer Individualismus, der theoretische Unterbau der Neoklassik, ein Denken in theoretischen Modellen, ein formal-mathematischer Ansatz und die Grundannahme von Markteffizienz und Marktgleichgewichten. Die Volkswirtschaftslehre versteht sich zudem als positive Wissenschaft mit dem Anspruch, frei von Werturteilen zu sein.
Ehnts und Zeddies kritisieren, dass die VWL – weil sie alternative Ansätze nicht beachtet – vor allem zwei blinde Flecken hat: das Geld- und Finanzsystem und die politische Macht. So würden viele Ökonomen von einer Dichotomie des Geldes ausgehen, reale und monetäre Faktoren seien unabhängig voneinander. Sie kritisieren, dass die VWL sich zwar mit Wettbewerbsfragen beschäftigt, aber „die Problematik von politischer Macht und Lobbyismus fast vollkommen“ ausblendet. Ein weiteres zentrales Problem sei „ihr unterschwelliges Selbstverständnis als mathematisch-exakte Naturwissenschaft“. Aus diesem methodischen Vorgehen folge eine Realitätsferne der Modelle. Implizite Werturteile versteckten sich hinter den ökonomischen Begrifflichkeiten und Modellen, während gleichzeitig postuliert werde, dass die VWL wertneutral sei. Tatsächlich habe die Ökonomik „unmittelbaren Einfluss auf Wirtschaft und Gesellschaft, ihre Erkenntnisse haben politisches Gestaltungspotenzial…“
Warum hält sich der Mainstream so hartnäckig? Zum einen sei das natürlich dem Einfluss der Interessengruppen zu verdanken, zum anderen aber auch dem Berufungssystem mit Zitationskartellen und der Dominanz der Mainstream-Ökonomen in hoch gerankten Zeitschriften. Trotz einzelner Fortschritte nach der Finanzkrise (Piketty!), sehen die Autoren kein Umdenken in der Zunft. Vor allem die deutsche Wissenschaftslandschaft zeichne sich durch besondere Einseitigkeit und einem Festhalten am neoliberalen Ideal aus.
Wie sieht nun die Vision einer Pluralen Ökonomik aus? Sie setzt auf fünf Säulen: Methodenpluralismus, historische Fundierung, wissenschaftstheoretische und ethische Reflexion, Interdisziplinarität und Transdisziplinarität. Es gibt nicht die einzelne Wahrheit, vielmehr sollten unterschiedliche Ansätze bedacht werden: auch die Marx´sche und die postkeynesianische Ökonomik oder die Sichtweise der Verhaltensökonomen. Ansätze und Methoden sollten stärker hinterfragt werden: Was sind die Grenzen des gewählten Ansatzes? Sind die Annahmen angemessen? Bisher setzt sich ein international eingebettetes Netzwerk Plurale Ökonomik für diese Reformbewegung ein. Die Autoren schließen: „Erforderlich ist daher ein grundlegender Wandel des ökonomischen Denkens hin zu einer neuen, einer Pluralen Ökonomik. Deren Ideal ist es, der Vielfalt ökonomischer Theorien und Methoden Raum zu geben, die Lösung realer Probleme in den Vordergrund zu stellen sowie Selbstkritik, Reflexion und Interdisziplinarität in der VWL zu fördern. Falls sich ein solches neues Denken irgendwann durchsetzt, dann können Ökonomen vielleicht auch „Brücken bauen“, die tragfähig sind. Doch bis dahin ist es wohl noch ein langer Weg.