Zu den häufigsten Ausrufen seit Donald Trumps Wahlsieg vor gut zehn Tagen gehört der entrüstete Vorwurf, dass das keiner vorhergesagt hat. Meist gefolgt von Wehklagen über Meinungsforscher, Eliten und Medien. Was ein bisschen so klingt, als wäre alles prima, wenn vorher ordentlich prognostiziert worden wäre, dass Trump gewählt wird. Nach dem Motto: Wenn irgendwann die Welt untergeht – bitte vorher Bescheid sagen. Dann ist okay.
Nun geht mit Trumps Wahl natürlich ohnehin nicht sofort die Welt unter. So etwas dauert. Trotzdem lohnt es, schon jetzt der Frage nachzugehen, was er denn nun vorhat – und ob das jenen zugutekommt, die in ihn so offenbar hohe Erwartungen stecken.
Dabei scheint noch umstritten, was die Erwartungen und wer die Erwartenden sind.
Theorie eins: Es sind die weißen, eher älteren Männer, die mit so viel Immigration und kultureller Durchmischung Probleme haben. Dafür spricht, dass Trump bei weißen und älteren Wählern besonders gut abgeschnitten hat. Und dass auch Bessersituierte ihn wählten.
Theorie zwei geht eher ins Ökonomische: Danach waren es die Abgehängten und Verlierer, die den Demokraten davon liefen. Dafür spricht, dass die meisten der Wähler mit keinem oder nur geringem Bildungsabschluss für Trump stimmten – während der Milliardär unter Top-Ausgebildeten nur (noch) ein gutes Drittel bekam. Dafür spricht auch, dass nur noch eine knappe Mehrheit der Geringverdiener (unter 30.000 US-Dollar im Jahr) wie traditionell Demokraten wählten. Noch 2012 waren es fast zwei Drittel. Die anderen liefen zu Trump.
Ein atemberaubender Bruch in nur vier Jahren, der kaum mit kulturellem Unbehagen zu erklären ist. Zumal 78 Prozent der Trump-Wähler sagen, ihre eigene finanzielle Lage habe sich in letzter Zeit verschlechtert – was nur 19 Prozent der Clinton-Wähler erklären. Und 80 Prozent die Wirtschaftslage Amerikas für ganz schlecht befinden (nur 15 Prozent bei Hillarys Wählern). Und 65 Prozent finden, der Handel mit anderen Ländern koste die USA Jobs – was oft ebenfalls die eigene Erfahrung spiegeln dürfte: Bei den Clinton-Wählern sehen das nur 31 Prozent so.
Im realen Leben mag sich beides oft vermengen. Wer sich abgehängt fühlt, neigt dazu, anderen die Schuld geben. Wogegen eine kulturell-konservative Haltung nicht per se in die Armut führt. Also: Mauer nach Mexiko. Nur sind die tieferen Ursachen der Wut dann immer noch wirtschaftlich. Und wenn das auch nur ansatzweise die Erwartungen spiegelt, hat Trump jetzt eine Menge zu tun.
Zu den hilfreicheren Ideen könnte zählen, viel Geld in die Infrastruktur zu investieren, die das nach allgemeiner Diagnose nötig hat. Das bringt in der Regel viele Jobs und zusätzliches Wachstum. Der Haken sei, so der frühere Finanzminister Larry Summers, dass Trumps Berater voraussichtlich vor allem private Investoren gewinnen wollen. Das allerdings verringert die Chancen, dass das Geld in Projekte gesteckt wird, die – wie die Erneuerung von Brücken und Schulgebäuden – langfristig nutzen, aber kurzfristig kein schnelles Geld abwerfen.
Trumps Steuersenkungen: 40 Prozent mehr Netto für die Reichsten
Fast alles andere scheint eher weniger als mehr zum Kracher für die Benachteiligten zu taugen – um es möglichst frei von Vorverurteilungen zu formulieren: Nach Berechnungen des Urban-Brookings Tax Policy Centers (TPC) würde Trumps großes Steuersenkungspaket bei den oberen 0,1 Prozent der Einkommensbezieher zu atemberaubenden 14 Prozent mehr Netto führen – was in der Oberklasse mal locker 1,1 Millionen Dollar pro Nase macht. Da gibt es am Monatsende bestimmt mal ein Klünkerchen extra.
Beim untersten Fünftel kämen 110 Dollar heraus. Im Jahr. Kein wirkliches Antiwut-Programm. Ähnliches gilt für Trumps Vorhaben, die Erbschaftsteuer zu streichen. Oder die Finanzbranche mal wieder zu deregulieren – was nach aller Erfahrung vor allem Vermögenden zugutekommt und den Abstand zu den Armen erhöht. Und die Chancen auf die nächste Finanzkrise erhöht.
Die Amerikaner haben selbst schon einmal erlebt, wie schnell so eine Steuersenkungs-Sause zu einem Schuldenschub führen kann – weil sie eben nicht so viel mehr Wirtschaftswachstum bringt, dass die Einnahmen, die der Staat daraus wieder abbekommt, die ursprünglichen Steuerausfälle wettmachen. Damals hieß der Präsident Ronald Reagan. Wie die TPC-Experten errechneten, könnten die Bundesstaatsschulden selbst unter optimistischen Annahmen in zehn Jahren um sieben Billionen Dollar höher sein als heute. Es sei denn – Trump beginnt, die Steuerausfälle durch massive Kürzungen an anderer Stelle auszugleichen.
Sie dürfen raten, wen das zu treffen droht. Bestimmt nicht die Reichen, die ohnehin wenig vom Staat bekommen.
Als ziemlich müßig könnten sich Trumps Versuche erweisen, alte Industrien wie die Kohle oder das Öl wiederzubeleben. Das wird den Niedergang bestenfalls verzögern. Zum Drama drohen die Vorstellungen globaler Ökonomie zu werden. Und dafür muss es nicht einmal zur (drohenden) Eskalation immer neuer Import- und Strafzölle zwischen Amerikanern und anderen kommen. Das Poltern gegen die Mexikaner hat dazu geführt, dass der Peso noch in der Wahlnacht abgestürzt ist und der Dollar stieg – was US-Waren im Ausland auf einen Schlag verteuert hat und jetzt noch mehr jener US-Arbeitsplätze bedroht.
Klar, noch ist viel unklar. Nur spricht auch nicht so viel dafür, dass der neue US-Präsident seine Vorstellungen schon bald so grundlegend ändert,
- dass plötzlich doch nicht mehr die Reichen die größten Steuergeschenke bekommen,
- der Schutz vor neuen Finanzkrisen ausgebaut wird,
- die Politik auf neue, statt alte Industrien setzt,
- es keine Drohungen gegen Handelspartner mehr gibt und der große Zins- und Schulden- und Dollar-Schock ausbleibt.
Und dann drohen die Verlierer und Benachteiligten aus drei Jahrzehnten entgleister Globalisierung sich bald zu wundern, wie wenig sich für sie ändert – zumindest zum Besseren.
Ein Desaster? Wenn die Wütenden noch wütender werden? Möglich. Vielleicht aber auch eine Chance, die nächsten vier Jahre zu nutzen, um eine Alternative zum trumpschen Poltern aufzubauen – und Ideen für eine Wirtschaftspolitik und eine besser kontrollierte Globalisierung zu entwickeln, die wirklich denen helfen, die bisher verloren. Statt nur so zu tun.