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Thomas Fricke: Referendum in Italien – Sind die Italiener die besseren Deutschen?

3. Dezember 2016

Die Italiener passen einfach nicht zur deutschen Stabilitätskultur – also raus mit ihnen aus dem Euro? Blödsinn. Das Land bräuchte viel mehr finanzielle Leichtigkeit.

Die Krisenszenarien stehen schon. Sollten die Italiener am Sonntag gegen die Reform ihrer Verfassung stimmen, könnten die Finanzmärkte Kapriolen schlagen, Banken pleitegehen und Italien am Ende aus dem Euro fliegen. Spätestens da funkeln in Deutschland bei dem einen oder anderen die Augen. Motto: haben wir schon immer gewusst. Der Italiener lebt lieber über seine Verhältnisse, ist zu locker und zu reformfaul – statt deutschen Tugenden zu folgen, wie, äh, wir. Geht eben nicht, so unterschiedliche Kulturen in eine Währung zu packen. Habe fertig.

Der Befund scheint naheliegend, klar – zumindest für alle, die volkswirtschaftliche Analysen für überbewertet halten. Und stattdessen auf volkstümliche Methodik setzen (was bei uns häufiger vorkommt, wenn es um den Südeuropäer geht). Wir fleißig. Ihr faul.

Nur, dass der Faktenbefund bei näherem Hinsehen mittlerweile ein ganz anderer ist. Man kann den Italienern demnach viel vorwerfen (Defensivfußball), nur nicht ernsthaft, dass sie deutsche Hausfrauentugenden nicht befolgen. Im Gegenteil. Was zweifeln lässt, ob hier noch das Problem liegt. Und nicht mittlerweile eher bei uns und unserem Herrn Schäublino. Fakten-Check.

Die Schulden der Haushalte sind niedriger als in Deutschland

Richtig ist, dass Italiens Wirtschaft kaum noch wächst, was manche Bankensanierung noch schwieriger macht. Die Frage ist, warum. Weil Italiener den Gürtel nicht enger schnallen und der Staat zu großzügig ist?

  • Wenn Italiens Staatsschulden so hoch sind, liegt das mehr an Altlasten, weniger am aktuellen Gebaren. Die öffentlichen Einrichtungen verbrauchen heute 4,4 Prozent weniger als 2010 – so einen Rückgang hat es in Deutschland selbst zu posthum verklärten Schröder-Zeiten nie gegeben.
  • Italiens Staatsdefizit liegt dieses Jahr zum vierten Mal seit 2011 unter drei Prozent der Wirtschaftsleistung – trotz krisenbedingt schwacher Steuereinnahmen; an der Marke sind die Deutschen in ähnlicher Lage einst gescheitert. Zieht man die Zinslasten ab, erwirtschaftet Italiens Staat 2016 strukturell mehr Einnahmen als Ausgaben in Höhe von fast vier Prozent – unser Schwarznullmeister kommt auf weniger als ein Prozent (sonst hieße das ja auch schwarze Vier, und nicht Null).
  • Ähnlich gibt sich der Italiener privat – und konsumiert heute fünf Prozent weniger als 2007; dagegen sind wir Schmallippenverbraucher wahre Trumps; ist ja auch kein Wunder, wenn die Löhne im Schnitt in Italien seit Jahren real fallen – von wegen Dolce Vita.
  • Alles auf Pump? Auch Blödsinn. Die Schulden der Haushalte sind mit 90 Prozent der Jahreseinkommen niedriger als in Deutschland (93 Prozent). Toskanische Hausfrau.
  • Italiens Inflation liegt seit drei Jahren bei null, (etwas) tiefer noch als bei uns – wenn es danach ginge, könnte man meinen, die Bundesbank ist heimlich nach Rom geflüchtet; wer stabile Preise haben will, sollte nach Italien auswandern.
  • Zu hohe Kosten für die Wirtschaft? Die Lohnkosten sind seit 2012 um real gerade 1,5 Prozent je produzierter Einheit gestiegen. Zum Vergleich: In Deutschland sind diese Kosten heute 5,7 Prozent höher.
  • Was wiederum dazu beiträgt, dass Italiens Exporteure ihre Preise seit Jahren senken – und sich ihre Wettbewerbsfähigkeit seit 2009 um ein Zehntel verbessert hat: deutlich stärker als bei uns.
  • Ding-Dong: Italien fährt mittlerweile Rekordüberschüsse im Export ein (auch wegen der schwachen Importe natürlich) – in Höhe von drei Prozent der Jahreswirtschaftsleistung. Was übersetzt nichts anderes heißt, als dass das Land unter seinen Verhältnissen lebt. Und nicht drüber.

Jetzt wollen wir nicht sagen, dass der Italiener im Grunde genommen der bessere Deutsche ist (das will der wahrscheinlich auch gar nicht). Und dass es nicht ganz offenbar noch Optimierungsbedarf in der dortigen öffentlichen Verwaltung gibt. Nur ist das etwas anderes als das hochtrabende deutsche Gerede von der unterschiedlichen Stabi-Kultur. Exportüberschüsse, Lohnzurückhaltung und Etatausgleich – können die Italiener auch.

Italiens Wirtschaft investiert heute gut ein Viertel weniger als 2008

Und zum Gegencheck: Was wäre wohl herausgekommen, wenn Gerald Schröder bei fünf Millionen Arbeitslosen 2005 ein Referendum anberaumt hätte, um den Bundesrat zu stutzen, damit die Regierung noch ein paar mehr Hartz-Reformen, Rentenkürzungen und Zuzahlungen machen kann? So ähnlich wie Matteo Renzi gerade. Die deutsche Antwort lässt sich am Ergebnis der Neuwahl von Herbst 2005 erahnen. Tschüss, Gerd.

Das italienische Problem muss anderswo liegen. Und der Reformbedarf am Ende womöglich eher beim folkloristischen Ökonomieverständnis hiesiger Protagonisten. Von Stabilität allein entsteht ja keine Dynamik – logisch. Nach Rechnung der OECD könnte Italiens Wirtschaft heute um vier Prozent stärker wachsen – mit den vorhandenen Mitteln. Ohne Reformbrimborium. Wenn nur die Konjunktur in Gang käme.

Hier liegt das eigentliche Drama. Die Kehrseite des Zurückhaltens und Kürzens ist nach aller Erfahrung, dass zu wenig Geld ausgegeben wird und Unternehmen keinen Grund haben zu investieren. Was wiederum einen Gutteil der Dauerkrise erklären dürfte. Italiens Wirtschaft investiert heute gut ein Viertel weniger als 2008. Wo sollen da Produktivitätsfortschritt und Innovation herkommen?

Wenn das stimmt, bringt es wenig, wenn deutsche Oberlehrer mit dem volkstümlich stoischen Ruf nach Reformen kommen. Oder den Italo-Rauswurf herbeiplappern, weil die angeblich so anders sind. Zumal Renzi 2015 eine gelobte Arbeitsmarktreform durchgedrückt hat, wonach Leute per se erst einmal nur mit beschränktem Kündigungsschutz eingestellt werden. Das hätte mal jemand in Deutschland wagen sollen. Nach OECD-Auswertungen hat kein anderes Land in den vergangenen beiden Jahren so viele Reformen nach Standard umgesetzt wie Italien.

Nur wirkt das eben nicht, solange die Konjunktur nicht läuft. Und dann hat es etwas hochgradig fahrlässiges, wenn ein deutscher Finanzminister in Europa aus lauter falschem Stabi-Verständnis jeden Versuch blockiert, eben jene Investitionen massiv anzuschieben, ohne die es kein wirkliches Ende der Krise gibt.

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Die neue Kolumne „Die Rechnung, bitte!“ erscheint seit dem 15. April 2016 im wöchentlichen Rhythmus auf Spiegel Online (SPON).

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  1. 5. Dezember 2016 um 23:22
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