Was für ein Jahr! Die Briten haben für einen EU-Austritt gestimmt, bei dem keiner so richtig weiß, wie er jetzt eigentlich ablaufen soll – nur, dass feststeht, dass die Briten zahlen müssen und nicht gewinnen sollen. Die Amerikaner wählten einen Milliardär, der zwar gut twittern und Leute angreifen kann, bei dem aber keiner so richtig weiß, ob er noch so viel mehr kann.
Und was machen die Börsen? Die Aktienkurse liegen bei Briten wie Amerikanern zum Jahresende über ein Viertel höher als noch zum Tiefpunkt im Februar. Der deutsche Aktienindex Dax schnellte sogar fast ein Drittel hoch.
War alles nur Panikmache, das ganze Gerede vom Absturz, der mit den Populisten droht? War 2016 doch nicht die Vorstufe zu etwas, was die Welt in den Dreißigerjahren ins Verderben geführt hat? Weil die Sonne auch in lonely Britannien und unter Twitter-Trump jeden Morgen wieder aufgehen wird, wie mancher Amateurdeuter schon mutmaßt? Gute Aussichten für 2017? Selbst wenn dann plötzlich Marine Le Pen in Frankreich mit markigen Sprüchen gegen die Deutschen regiert? Und die AfD im Bundestag sitzt?
Die Wirklichkeit könnte weit weniger rosig ausfallen. Wenn die Aktienkurse 2016 boomten, hatte das bei näherer Betrachtung ja nur sehr bedingt damit zu tun, dass die Finanzjongleure plötzlich an rumpelnde Populisten und ihre Rezepte glauben – was nicht heißt, dass nicht der eine oder andere verzückt von der Zahl der Milliardäre in Herrn Trumps designierter Charity-Truppe ist. Gestiegen sind die Aktienkurse schon vor der Brexit-Abstimmung, was auch mit dem Ende mancher Krise in Schwellenländern zu tun hatte. Das hilft der Weltkonjunktur gerade.
Dass die britische Wirtschaft trotz Brexit-Ja nicht in Ohnmacht fiel, liegt womöglich auch an dem dort gängigen Hang, Dinge pragmatisch zu nehmen – und an einem Kuriosum: Das britische Pfund stürzte nach dem Votum so drastisch ab, dass britische Waren jetzt weltweit gut zehn Prozent billiger sind als am Tag davor. Ein wundersames Stützungsprogramm – auch für britische Aktien. Zweifelhafter Verdienst der Brexiteers.
In den USA begannen die Aktiennotierungen noch in der Wahlnacht zu steigen, als Donald Trump ein riesiges Investitionsprogramm in Aussicht stellte – und ein paar Geschenke für die Finanzwelt. Gut für die Bauwirtschaft. Und die Wall Street. Auch wenn noch nicht absehbar ist, ob die Geschenke den Menschen helfen, geschweige denn Amerika wieder groß machen – und wer für sie bezahlt. Den betreffenden Branchen wird das schon was Gutes tun.
Was könnte schieflaufen?
In der Wirtschaft seien viele nach den Erfahrungen mit Finanzkrise und Terror vorsichtig geworden, mutmaßt Holger Schmieding, Chefökonom der Berenberg Bank. Was sich positiv so deuten ließe: Man wartet erst einmal ab, statt panisch zu reagieren. Klar: Noch ist weder Britannien aus der EU raus, noch wirkt Trump schon im Weißen Haus. Weniger positiv kann es aber auch heißen: Die Wirtschaft nimmt zwar das schnelle Geld mit, stoppt aus diffuser Sorge über die Politwirren gerade aber längerfristige Engagements – Investitionen in neue Anlagen, Modernisierung, Technologien, Jobs. Britische Unternehmen investieren kaum mehr als vor einem Jahr. In Deutschland wurden die zuvor zart aufgestockten Budgets seit dem Frühjahr wieder gekürzt. Ein Alarmzeichen – mitten im vermeintlich so goldigen Aufschwung.
In der Wirtschaft wird auch einkalkuliert, dass sich die Dinge 2017 zum Schlechten wenden könnten. Und da hilft auch der Verweis auf boomende Börsen wenig. Als Frühwarnboten für Polit-Desaster sind die kurzatmigen Finanzakteure nicht gerade bekannt.
Was könnte schieflaufen? Wenn Brexit und Trump etwas Gefährliches haben, dann liegt das zum einen im enormen Frustpotenzial – wenn klar wird, dass die Heilsengel gar keine wirklichen Retter sind. Zum anderen in der trügerischen Logik der neuen nationalen Trends und Egoismen. Es können schlicht nicht alle auf der Welt vom Rückzug ins Nationale profitieren. Wenn Trump 2017 damit beginnt, Jobs in die USA „zurückzuholen“, müssen anderswo Jobs verloren gehen – was dort den Reflex nähren dürfte, sich ebenfalls abzuschotten.
In Großbritannien hat so mancher darauf gesetzt, dass die liberalen Briten dank Austritt aus der bösen EU ihre (vermeintlich großen) Vorteile auf freien Märkten ausspielen können. Auch das funktioniert natürlich nur, wenn nicht plötzlich die Amerikaner ihre Märkte zumachen, um selber zu exportieren. Und den Europäern womöglich die Begeisterung fehlt, eine Politik zu machen, von der nur die Briten etwas haben.
Wenn Trump dafür sorgen will, dass das US-Außenhandelsdefizit verschwindet, müssen Überschussländer wie China und Deutschland auf die eine oder andere Art mitmachen: viel mehr Geld ausgeben oder auf Export verzichten. Was in Deutschland erfahrungsgemäß auf leichtes Unbehagen in Volk und Politik stößt. Gut, dass Trump bisher nur die Chinesen als böse auserwählt hat und unter Druck setzt (sonst fängt der noch an, mit Sahra Wagenknecht diplomatische Beziehungen aufzunehmen).
Schon mitten in der Entwicklung
Noch scheint kaum vorstellbar, dass all dies sich hochschaukelt und zu regelrechten Handelskriegen führt, wie es sie in den Dreißigerjahren gab. Nur konnten sich die Menschen so etwas damals lange Zeit auch kaum vorstellen. Auch damals hatte es kurz zuvor noch eine große Globalisierung gegeben. Auch damals folgten darauf enorme Finanzkrisen, das Erstarken rechter Bewegungen, das Schimpfen auf Eliten, das Poltern gegen die vermeintliche Lügenpresse, ein Sieg hochkochender Emotionen über das Faktische, das gegenseitige Hochschaukeln vermeintlich nationaler Lösungen und die Bestrafung Fremder. Ergebnis: eine desaströse wirtschaftliche und politische Abwärtsspirale.
Das Tückische ist, dass solche Entwicklungen sich nicht an einem einzelnen Ereignis oder Jahr aufhängen oder messen lassen. Und manches spricht dafür, dass wir schon mitten in der Entwicklung stecken: mit Drohgebärden zwischen Briten und EU-Europäern oder Amerikanern und Chinesen; oder zwischen Deutschen und Südeuropäern; mit internationalen Boykotten und gegenseitigem Ausspionieren; mit einer Globalisierung, deren Kriseln sich schon seit Jahren durch nur noch mager wachsenden internationalen Austausch bemerkbar macht; und mit dem Ende jeder Phantasie, wirtschaftliche Zusammenarbeit über Grenzen hinweg nennenswert noch zu verbessern – selbst da, wo nationale Lösungen definitiv nicht helfen.
Es spricht einiges dafür, dass es auch 2017 nicht von einem Tag zum anderen zum großen wirtschaftlichen Knall kommt. Das Risiko aber steigt. Und es könnte sich in den kommenden Monaten entscheiden, ob die Menschheit diesmal eine bessere Lösung auf die Krise findet – oder ein weiteres Stück näher an jene Abwärtsspirale rückt, die, wenn sie einmal an Tempo gewinnt, schwer zu stoppen sein wird. Die Gewöhnung ans Irre gehört zu den tückischsten Zutaten historischer Desaster.