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Fabian Fritzsche: Außenhandel: Verlierer Deutschland

15. März 2017

Mit der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten hat die internationale Diskussion um Leistungsbilanzsalden neuen Schwung erhalten. So sagte der Chef des Nationalen Handelsrats in den USA, Peter Navarro, Deutschland beute seine Handelspartner durch einen schwachen Euro und profitiere von einer extrem unterbewerteten ‚impliziten Deutschen Mark‘. Eine ähnliche Kritik wurde auch an dieser Stelle schon einige Male geäußert, aber auch wiederholt etwa vom IWF, der EU-Kommission oder der französischen Regierung.

Nun war diese Kritik schon bislang in Deutschland auf wenig fruchtbaren Boden gefallen und so war absehbar, dass entsprechende Kritik aus Reihen der neuen US-Regierung auf mindestens ebenso große Ablehnung stößt. Tatsächlich wies Merkel selbst den Vorwurf, Deutschland nutze den niedrigen Euro für unfaire Handelsvorteile gegenüber Partnern aus, umgehend zurück.

Sowohl die Kritik als auch die Antwort zeigen exemplarisch, wie falsch die Diskussion läuft. Tatsächlich wäre eine eigene deutsche Währung deutlich höher bewertet, als es der Euro derzeit ist und damit wären deutsche Produkte auf dem Weltmarkt teurer. Das meint Navarro wohl mit der „impliziten Deutschen Mark“. Sicherlich wäre die Handelsbilanz zwischen Deutschland und den USA ausgeglichener als sie es ist – dafür wären die Währungen vieler anderer Euroländer wohl noch schwächer als der Euro und der US-Handelsbilanz in Summe damit nicht geholfen. Insofern ist die Kritik aus US-Perspektive allenfalls begrenzt angemessen. Und da Merkel die Kritik pauschal zurückweist, scheint sie diese nicht richtig verstanden zu haben. Es dürfte unbestritten sein, dass eine DM höher bewertet wäre als der Euro und dass innerhalb des Eurogebietes die Währungen der Handelspartner überhaupt nicht gegenüber Deutschland abwerten können – dass also die „implizite DM“ unterbewertet ist, ist durchaus korrekt. Insofern gilt natürlich auch, dass die deutschen Handelsbilanzüberschüsse deutlich geringer wären, wenn Deutschland eine eigene Währung hätte. Insofern liegen beide Seiten falsch, Navarro aber weniger falsch als Merkel.

In einem Punkt sind sich beide Seiten allerdings zumindest implizit einig. Ein positiver Handelsbilanzsaldo (oder besser Leistungsbilanzsaldo) wird als Vorteil angehsehen, ein negativer Saldo als Nachteil. Nun zeigt ein Leistungsbilanzdefizit zunächst einmal an, dass in der Volkswirtschaft mehr konsumiert und investiert, als dort selbst produziert wurde, während bei einem Überschuss weniger konsumiert und investiert, als produziert wurde. Da die Überschüsse mit entsprechenden Forderungen gegenüber den Defizitländern verbunden sind, also mithin zukünftigen Konsum ermöglichen und umgekehrt die Defizite mit entsprechenden Verbindlichkeiten und somit zukünftig weniger Verbrauch verbunden sind, könnten Überschüsse wie Defizite zunächst neutral angesehen werden.

Bei dieser Betrachtungsweise bleiben allerdings Veränderungen der kumulierten Überschüsse bzw. Defizite, der sog. Nettoauslandsposition, etwa durch Wechselkursänderungen oder Fehlinvestitionen unberücksichtigt. Ohne derartige Veränderungen sollten die kumulierten Leistungsbilanzsalden identisch sein mit der Nettoauslandsposition, die Realität sieht aber anders aus. Bis Anfang der 1980er Jahre war sowohl in den USA als auch in Deutschland Leistungsbilanz nahezu ausgeglichen, die Nettoauslandsposition war verschwindend gering. Von 1983 bis heute wiesen die USA dann aber nur noch in zwei Quartalen 1991 einen Leistungsbilanzüberschuss und ansonsten nur noch Defizite auf. Bis zum dritten Quartal 2016 summierte sich so ein Defizit von 10,67 Bio. USD auf. Die Nettoauslandsposition liegt zwar auch deutlich im negativen Bereich, allerdings „nur“ mit 7,78 Bio. USD. Hier gibt es also eine Differenz von 2,89 Bio. USD und zwar zugunsten der USA. Im Laufe der letzten Jahrzehnte haben die USA letztlich Güter und Dienstleistungen im Umfang von 2,89 Bio. USD vom Ausland geschenkt bekommen.

USA: Kumulierter Leistungsbilanzsaldo und Nettoauslandsposition (in Mrd. USD)

In Deutschland gab es dann in den 1980er Jahren zunächst relativ hohe Überschüsse und in den 1990er Jahren moderate Leistungsbilanzdefizite, so dass der kumulierte Saldo als auch die Nettoauslandsposition noch Ende 1999 praktisch ausgeglichen waren. Seit Anfang der 2000er Jahre aber erwirtschaftet Deutschland immer größere Leistungsbilanzüberschüsse. Bis Ende 2016 betrugen die kumulierten Überschüsse knapp 2,4 Bio. Euro. Gemäß Zahlen der Bundesbank betrug die deutsche Nettoauslandsposition in Q3 2016 aber lediglich 1,59 Bio. Euro. Hier liegt also eine negative Differenz von 744 Mrd. Euro vor. Um diesen Betrag wurden Güter und Dienstleistungen ins Ausland exportiert, denen nun aber keine Forderungen mehr gegenüber stehen, diese Produktion wurde also letztlich verschenkt.

Deutschland: Kumulierter Leistungsbilanzsaldo & Nettoauslandsposition (in Mrd. Euro)

Unter Berücksichtigung dieser Zahlen sehen vermeintliche Gewinner und Verlierer von Leistungsbilanzüberschüssen bzw. -defiziten auf einmal ganz anders aus. Demnach gehört Deutschland zu den großen Verlierern und zwar nicht trotz, sondern wegen der gigantischen Überschüsse der letzten Jahre.

  1. 17. März 2017 um 14:11

    Danke für den Augenöffner – bloß stellt sich nun die Frage: Wohin sind die 744 Milliarden Euro Kassendifferenz entschwunden?

  2. Michael B.
    16. März 2017 um 16:43

    Stimme Ihnen voll zu Herr Fricke.
    Man sollte aber vielleicht auch erwähnen, dass sich die USA damit einen „Import von Arbeitslosigkeit“ einhandelt und Deutschland einen entsprechenden Export. Auf Dauer ist dieser Umstand für beide Länder m.E. noch schlimmer als das im Artikel beschriebene Szenario. Deutschland profitiert in dieser Hinsicht zwar zunächst, drückt seine Handelspartnern aber durch das Exportieren von Arbeitslosigkeit zunehmend an die Wand.
    Die positiven Effekte des Freihandels werden nur dann nicht von den negativen überdeckt, wenn die Handelspartner – zumindest mittelfristig – ausgegleichene Leistungsbilanzen aufweisen.
    VG
    M.B.

  1. 16. März 2017 um 19:21
  2. 16. März 2017 um 09:36
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