Noch ist die Wahl nicht gelaufen. Noch ist nicht auszuschließen, dass Marine Le Pen doch irgendwie noch Frankreichs erste rechtsextreme Präsidentin wird. Wahrscheinlicher ist, dass der smarte Emmanuel Macron neuer Staatschef wird – und sich Montagfrüh die Merkels und Schäubles überschlagen, um die Franzosen für ihre „gute Entscheidung“ zu loben, als wären es Schulkinder, die kurzzeitig auf Abwegen waren – und jetzt wieder artig sind.
Wenn es so kommt, liegt die Frage tatsächlich nahe: Ist der Spuk schon wieder vorüber, den Populisten mit eher unterdurchschnittlichem Demokratieverständnis in den reicheren Ländern über Monate verbreiteten – nach Brexit-Votum und Trumps Wahlsieg in den seither nicht mehr ganz so Vereinigten Staaten von Amerika?
Seitdem haben die Österreicher dann doch lieber einen Grünen zum Präsidenten gewählt – und die Niederländer gegen Geert Wilders gestimmt. Die Briten lernen, dass sie jener Brexit, den ihnen flüchtige Hütchenspieler angedreht haben, wohl doch mindestens zweistellige Milliardensummen kostet – statt ihnen die versprochenen wöchentlichen 350 Millionen Pfund Ersparnis zu bringen. Und Donald Trump, der ganz rührend mit einem Milliardärsklub den Armen helfen will, wirkt beim Umsetzen seiner Wahlversprechen einfach glücklos und schwärmt dafür neuerdings etwas benommen von „Angela“.
Den Deutschen geht derweil die Alternative aus, jedenfalls expandiert die AfD jetzt tendenziell eher wieder nach unten. Was auch für Martin Schulz gilt, der auf sachtere Art den Nerv im missgestimmten Volk traf – und gerade wahrscheinlich meditiert (was natürlich auch eine ganz ausgetüftelte Taktik sein kann). Gut möglich, dass das Ergebnis des Aufstands bei uns im September schon wieder Merkel heißt – und die Frage nur ist, wer unter ihr mitmachen darf. Wie immer. Und wer sich von Wolfgang Schäuble in Europa künftig zusammenstauchen lassen darf.
Abstand zwischen Gewinnern und Verlierern atemberaubend groß
Es gibt durchaus Gründe, die in nächster Zeit gegen große Erfolge für Populisten sprechen. Klar, will nach der Performance der ersten hundert Tage nicht jeder jetzt unbedingt auch so einen Baumeister Trump, der schon mal die Namen der Länder, die er gerade bombardiert, verwechselt. Dazu kommt, dass fast überall die Konjunktur anzieht und die Arbeitslosigkeit fällt – selbst in Frankreich und Italien. Auch das ist eher blöd für Populisten.
Was aus den Umfragen abzulesen ist, spricht allerdings für ein tieferes Problem: Von den Amerikanern, die in den vergangenen Jahren finanziell verloren haben, stimmten im November 78 Prozent für Trump. Ebenso wie zwei Drittel derer, die glauben, dass der Welthandel im eigenen Land Jobs kostet. Bei den Regionalwahlen in Frankreich stimmten schon im Jahr 2015 sage und schreibe 62 Prozent der Arbeiter mit prekären Jobs für den rechten Front National. Besonders gut schnitt Le Pen im ersten Teil der Präsidentschaftswahl bei denen ab, die in der Globalisierung eine Gefahr sehen; dort bekam sie 30 Prozent der Stimmen, gegenüber 21 Prozent bei allen Wählern. Umgekehrt wählten fast 50 Prozent von denen Macron, die sich als Gewinner einstufen und erwarten, dass sich ihre Stellung in der Gesellschaft längerfristig verbessert.
All das passt zu Zahlen, wonach – auch in Deutschland – eine große Minderheit seit Jahrzehnten real an Einkommen verliert. Und der Abstand zwischen Gewinnern und Verlierern atemberaubend groß geworden ist. Und es passt zum verbreiteten Gefühl, dass nur noch schwer nachzuvollziehen ist, welche Macht Konzerne ausüben. Und wie wenig die Regierungen dem noch entgegenzusetzen haben.
All das lässt sich nicht mit ein bisschen mehr Konjunktur beseitigen. Wie der französische Ökonom Thomas Piketty diagnostiziert hat, gibt es eine fast automatische Verschärfung der Ungleichheit – schon weil mit großem Geld mehr zu verdienen ist als mit harter Arbeit. Und weil die Reichen ihr Geld an die ihren vererben. Ein Trend, den Donald Trump mit seiner Steuerreform drastisch zu verschärfen droht – ebenso wie mit seinem Plan, die Finanzwelt wieder zu deregulieren, was nach aller Wahrscheinlichkeit die Basis für den nächsten umso größeren Crash und die nächste weltweite Krise mit neuen Schüben an Ungleichheit schaffen wird.
Viel Arbeitslosigkeit, viel Unzufriedenheit
Bislang sind kaum ernsthafte Versuche erkennbar, die Krise der Globalisierung anzugehen – abgesehen von ein paar netten Bekundungen, die Verlierer nicht zu vergessen, und dem Aufsagen von Freihandelssprüchen, die allerdings das Problem der Kehrseiten dieses Freihandels nicht lösen.
Das gilt auch für Frankreich und für Emmanuel Macron. Und das in einer Zeit, wo der nächste sehr ähnliche Schock zu wirken beginnt – mit ähnlichen Mustern: Auch beim Digitalisieren wird es Gewinner geben, die profitieren, weil sie gut qualifiziert sind; auch da werden Ökonomen sagen, dass die Sache gesamtwirtschaftlich per Saldo positiv zu werten ist – was, wie bei der Globalisierung, den Verlierern wenig hilft.
Schon jetzt hat fast die Hälfte der US-Wähler für Trump gestimmt, fast die Hälfte der Österreicher für einen FPÖ-Präsidentschaftskandidaten – und wahrscheinlich wird am Sonntag nicht viel weniger als die Hälfte der Franzosen Le Pen wählen. Dass die Quoten in Deutschland noch niedriger liegen, hat auch damit zu tun, dass wir gerade vergleichsweise wenig Arbeitslose haben – und weit mehr exportieren als importieren, weshalb wir die Kehrseiten der Globalisierung auch weniger spüren. Es können nur nicht alle immer Überschüsse haben. Das geht logisch nicht.
Das Jobwunder wird allein konjunkturell einmal zu Ende gehen. Den Exportzauber könnte Donald Trump abwürgen. Und was, wenn die Arbeitslosigkeit bis zur nächsten Wahl auch bei uns wieder ansteigt, Globalisierung plus Digitalisierung vermehrt Verlierer produzieren und noch mehr Leute in Billigjobs geraten – wo es schon bei ziemlich guten Wirtschaftsdaten so bitteren Unmut über alles Mögliche gibt?
Wenn bei den aktuellen Wahlen im Zweifel doch noch die Alten gewinnen, liegt das womöglich auch daran, dass die Verlierer in der Minderheit sind – und die Mehrheit reflexartig gegen große Veränderungen stimmt. Die Frage ist nur, wie lange sich Gesellschaften so etwas leisten können – und ob die Minderheit in der nächsten Krise nicht zur Mehrheit wird.
Egal, wie Frankreichs Wahldrama am Sonntag ausgeht: Für wohlfeile Glückwunschtelegramme ist nicht die richtige Zeit.