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Thomas Fricke: Debatte um Achtstundentag – Immer für die Bosse

17. November 2017

Schluss mit festen Arbeitszeiten? Deutschlands amtliche Wirtschaftsweise offenbaren, wie sehr sie sich in einem Dogma verloren haben. Es entstand vor 40 Jahren – und wirkt bis heute gefährlich nach.

Es ist in diesen Tagen ja viel vom Deutschen Herbst 1977 die Rede, vom linken Terror und den Folgen fürs Land. Weniger bekannt ist, dass in genau diese Zeit etwas fällt, was ganz friedlich die Republik wahrscheinlich noch viel stärker verändert hat – und womöglich sogar zu den Problemen beigetragen, die das Land heute zu zerreißen drohen.

Fast auf den Tag 40 Jahre ist es her, dass Deutschlands damals amtierende Wirtschaftsweise im November 1977 mit Inbrust jenes Gutachten vorstellten, in dem sie ausgaben, fortan müsse es in der Republik eine andere Wirtschaftspolitik geben – keine mehr, die versucht, Konjunkturschocks aufzufangen oder Geld für alle zu schaffen, sondern: die Angebotsbedingungen der Wirtschaft verbessert. Sprich: es den Unternehmen so schön wie möglich macht, ob über sinkende Steuern, flexiblere Arbeitsgesetze oder sonstige Deregulierung. Weil die dann investieren und Wachstum schaffen – und das am Ende allen zugutekommt. Schöne neue Welt.

Was die Professoren damals noch mit der speziellen Lage nach den Ölschocks begründeten (viel Inflation bei wenig Wachstum), wurde danach zum Dauerdogma über Jahrzehnte: ein paar Jahre später als Grundlage für die FDP-Wende von 1982 zur Wirtschaftslobbypartei – die deutsche Antwort auf Reaganomics und Thatcherismus. Später für Gerhard Schröders Agenda 2010. Und zur Dauerantwort aller, die unsere Sachverständigen seither als Überbringer der ewigen ökonomischen Wahrheit preisen.

Mit dem Nachwirken des damals ausgegebenen Dogmas lässt sich erklären, warum die Sachverständigen so furchtbar gezetert haben, als es darum ging, in Deutschland einen Mindestlohn einzuführen – nicht gut fürs Wohlsein der Unternehmen. Und warum sie schimpften, dass in Südeuropa zu wenig reformiert werde.

Nur so lässt sich wahrscheinlich auch erklären, wie man anno 2017 auf die Idee kommen kann, eine Debatte darüber loszutreten, ob in Deutschland nicht noch mehr Leute auf einen geregelten Arbeitstag verzichten können; während alle Welt gerade darüber sinniert, wie sich angesichts populistischer Wellen die Verlierer von Globalisierungs- und Technologieschocks auffangen ließen (so richtig es auch sein mag, dass die eine oder andere Regel nicht mehr zum digitalen Zeitalter passt). Oder wie man im neuen Gutachten die Devise ausgeben kann, dass jetzt auch mal Schluss sein muss mit dem Umverteilungsgedöns der vergangenen Jahre.

Die Appelle wirken zunehmend leer

Ob die Neudefinition vom Herbst 1977 gemessen an den Umständen damals nötig war, sei dahingestellt. 40 Jahre später wirken die immer gleichen Appelle zunehmend leer. Was schon jene gigantische Finanzsystemkrise nach 2007 zu offenbaren begann, die immerhin just von der Branche ausgelöst wurde, in der die Angebotslehre so schön wie sonst nirgends umgesetzt worden war und in der es am wenigsten reguliert zuging.

Noch nie haben Deutschlands Unternehmen so viel und einfach Gewinne machen können wie derzeit. Seit Jahrzehnten war es nicht so leicht, am Arbeitsmarkt schnell billige Arbeitskräfte zu bekommen; oder die Belegschaft in Bescheidenheit zu halten. Selten gab es für deutsche Firmen so wenig akuten Wettbewerbsdruck und war es für Bessergestellte so einfach, Steuern zu vermeiden.

Warum es gerade jetzt wichtig ist, restgeregelte Arbeitszeiten aufzubrechen, ist analytisch schwer nachvollziehbar – und lässt sich ohne Ritualisierung und herzige Arbeitgeberzuneigung kaum erklären. Zumal es den jetzt so beschleunigten Aufschwung gemessen an all dem Angebotsgötter-Zetern der vergangenen Jahre überhaupt nicht geben dürfte – nach all dem Wehklagen über GroKo, desaströse Mindestlöhne, überteuerte Rentengeschenke und gefährliche Zentralbank-Interventionen; oder über die vermeintlich ach so fatalen südeuropäischen Regelbrüche und mangelnde Reformen.

Absturz? Rezession? Nö. Das Mindestlohndesaster blieb ebenso aus wie das Südländer- oder das Rentendebakel. Fehlprognosen en masse. Und Inflation gibt’s auch nicht. Die Rentenkassen sind voll. Die deutsche Wirtschaft wächst mit mehr als zwei Prozent so stark wie lange nicht – und in den Euroländern sind seit 2014 mehr als 4,5 Millionen Arbeitsplätze entstanden. Fast überall in den vorschnell abgeschriebenen Gebieten wächst die Wirtschaft sogar noch schneller als bei uns. Ganz ohne rabiate Dauerangebotsreformen. Und trotz Umverteilungsgedöns. Vielleicht aber auch deshalb. Gut möglich, dass einfach das Dogma nicht mehr zur Zeit passt.

Kein Ponyhof für Manager

Natürlich ist es wichtig, Unternehmen gute Bedingungen zu bieten. Und natürlich gibt es auch für sie Belastungsgrenzen. Es hat nur anno 2017 etwas Groteskes, stoisch noch immer per se zu zetern, dass wieder zu wenig für die Angebotsbedingungen getan wird – und auf alles zu schimpfen, was in diesen irren Zeiten für stabilere Verhältnisse bei denen sorgt, die keine Unternehmer sind, aber trotzdem mit ihrem Malochen und Geldausgeben zum Wohl der Wirtschaft beitragen. Eine funktionierende Wirtschaft braucht halt beides. Und so eine Gesellschaft ist kein Ponyhof für Manager – oder für Wirtschaftsprofessoren mit alten Ansichten.

Nach 40 Jahren Angebotsdogma gilt es, Exzesse zu korrigieren und ein neues Gleichgewicht zu finden: in einer Gemengelage, in der es den Unternehmen und Reichen alles in allem prima geht, erschreckend viele Leuten dafür aber einen Preis zahlen. Die Realeinkommen dieser Leute sinken, der Druck und die ständige Jobunsicherheit belasten sie. Nicht zufällig steigt die Zahl beruflich bedingter Burn-outs.

Klar, das kennen Professoren nicht so. Dass es auch anders geht, lassen die jüngsten deutschen Erfahrungen erahnen. Nicht jede vermeintliche (Rück-)Verteilung bringt gleich den Wirtschaftsweltuntergang. Im Gegenteil. So etwas kann auch für mehr Zuversicht und Kaufkraft sorgen, die der Wirtschaft hilft. Noch besser wäre eine Politik, die für sehr viel mehr Investitionen sorgt – zugunsten aller.

Höchste Zeit also für eine neue Wende – 40 Jahre nach der vom November 1977. Hin zu einer Lehre, bei der Wohlstand auch daher kommt, dass alle mitgezogen werden und über ihr Schicksal wieder bestimmen können – und nicht allein davon, dass Unternehmen nach ökonomischem Idealbild möglichst leicht Menschen rausschmeißen und über deren Zeit und Angst bestimmen können. Zeit für neue Weisheiten.

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Die neue Kolumne „Die Rechnung, bitte!“ erscheint seit dem 15. April 2016 im wöchentlichen Rhythmus auf Spiegel Online (SPON).

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