Der Franzose will nur unser Geld. Oder gleich eine Transferunion, bei der wir armen deutschen Steuerzahler die Schluderer durchfüttern. So oder so ähnlich liest sich, was aus Deutschland als Antwort auf Emmanuel Macrons Vorschläge zur dauerhaften Sicherung des Euros bislang eingebracht worden ist. Neben viel Schweigen. Bloß kein Eurobudget, kein Finanzminister – und keine gemeinsame Einlagensicherung!
Nein, nee, nö. Außer vielleicht, nach Schäuble-Manie künftig noch mehr zu kontrollieren, was andere Regierungen machen. Top-Idee. Warum nicht gleich eine größere Spende an die rechtspopulistische Internationale überweisen? Deutsche Europavisionen. Neurotisch.
Was sich an Ideenarmut da gerade offenbart, könnte viel damit zu tun haben, dass sich die Deutschen in den Jahren Schäuble’scher Zuchtmeisterallüren in eine absurd-selbstgerechte Vorstellung davon verabschiedet haben, welche Art von Krise Europa gerade erlebt. Knappe Formel: Wir sind vorbildlich, die anderen eine Katastrophe – selber schuld. Na gut, wir helfen.
Höchste Zeit für eine Aufarbeitung. Vielleicht ist es gar nicht so abwegig, was Macron da vorschlägt.
Im deutschen Märchen geht die Krise immer noch so: Da waren einmal furchtbare südliche Regierungen, die zu viele Schulden machten, deshalb von den Finanzmärkten ordnungsgemäß bestraft wurden – und am Ende barmherzig von uns gerettet und zur Ordnung gerufen werden mussten. Heiliger Schäuble, klar.
Das Ganze hat etwas Halluzinierendes. Klar gab es Verfehlungen in anderen Ländern. Allerdings gehört zur Wahrheit auch, dass kein anderer in der Eurokrise so schwerwiegende Fehler gemacht hat wie unser alter Finanzminister – und daraus so atemberaubend wenig Lehren zieht.
Als die Eurokrise Anfang 2010 inmitten der Nachwehen des globalen Crashs von 2008 zu eskalieren begann, warnten Experten wie Nobelpreisträger Joseph Stiglitz, in so einer Finanzkrise, die sich – Angst schafft Angst – zu verselbständigen drohe, müssten schnell Hilfen bereitgestellt werden. Antwort Schäuble: nix da. Bis im Mai die Krise derart eskalierte, dass Notenbanker und Finanzminister an einem dramatischen Wochenende genau das tun mussten, weil sonst das Bankensystem kollabiert wäre. Fehleinschätzung Schäuble.
Unser oberster Kassenwart wehrte sich gegen günstige Zinsen auf griechische Staatsschulden – zur Züchtigung dortiger Politiker – bis klar war, dass hohe Zinsen in einer akuten Krise nur alles noch schlimmer machen, weil sie den Schuldenabbau erschweren. Eigentlich logisch.
Später drängten Kanzlerin und Minister auf Beteiligung privater Gläubiger an einer Umschuldung – bis klar war, dass so eine Drohung in einer akuten Finanzkrise nur für noch mehr Panik sorgt und keinem hilft. Was damals die Krise in Irland erst eskalieren ließ – mit deutschem Beistand.
Kurz darauf stemmte sich Schäuble dagegen, dass der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) womöglich ankündigt, den Euro mit allen Mitteln zu stützen – bis Mario Draghi sich 2012 (zum Glück) darüber hinwegsetzte und die Eskalation der Eurokrise so stoppte. Grazie.
Die Deutschen lenkten immer zu spät ein
Bis etwa 2013 ließ Schäuble in den Krisenländern auch ein Austeritätsprogramm nach dem anderen durchdrücken – bis klar wurde, dass so etwas auf Dauer weder politisch durchzuhalten ist, noch wirtschaftlich Sinn ergibt, sondern die Rezession nur noch verschärft, was dann wieder für mehr Schulden sorgt. Krisenverlängernde Maßnahmen. Seither werden die Defizitziele pragmatischer gehandhabt. Und siehe da: Seitdem zieht die Konjunktur in diesen Ländern an.
All diese Fehler räumen heute auch orthodoxere deutsche Ökonomen ein. Selbst die Bundesregierung musste am Ende stets einlenken, trug Draghis Rettungsaktion mit, ebenso wie die neuen Ziele für die Krisenländer – nur eben immer erst so spät, dass es richtig teuer wurde.
Wenn die Eurozone heute wieder wächst, dann gerade weil die Zinsen gesunken sind, Spanier, Portugiesen sowie (zuletzt selbst die) Griechen nicht mehr so irre kürzen und Steuern anheben müssen – und Draghi 2012 die Panikspirale unterbrochen hat. Wer Krisen überwinden will, braucht halt eine emphatischere Finanzpolitik.
Die Deutsche Lesart passt mit der Realität nicht zusammen
Das Irre ist, dass all das nicht dazu geführt hat, die deutsche Krisendeutung zu revidieren. Dabei liegt genau hier die Crux. Wenn es wirklich (wie nach altdeutscher Lesart) so wäre, dass alle Krise vom schludernden Südländer ausgeht, ist die Antwort logisch: mehr Druck, mehr Regeln – und bloß keine gemeinsamen Schulden oder Budgets.
Der Haken ist, dass diese Deutung eben mit der Wirklichkeit nicht so recht zusammenpasst. Sonst wären Iren und Spanier anfangs gar nicht in die Krise gezogen worden – die hatten bis 2008 ja sogar Überschüsse in ihren Staatshaushalten. Und sonst hätte auch die Austerität der ersten Krisenjahre helfen müssen.
Es gibt etliche Indizien dafür, dass zum Eurodebakel 2010 vielmehr auch die vorausgegangene Finanzkrise beigetragen hat. Und dass es um mehr als schludernde Regierungen geht: um Banken und Immobilienspekulanten – nicht nur die im Süden, sondern auch unsere. Und es gibt heute etliche Studien, die zeigen, dass das Problem mehr die Schulden von Privatleuten sind – und Staatsschulden eher ein Nebenprodukt. Und dass es ohnehin nichts bringt, in der Rezession wild zu sanieren.
Wenn das stimmt, hilft es wenig, zur Krisenbekämpfung Renten zu kürzen oder Mehrwertsteuersätze zu erhöhen. Oder den zehnten nochmals verschärften Stabilitätspakt für öffentliche Haushalte zu erfinden. Oder immer wieder zu drohen, dass es keine Hilfen mehr gibt. Dann lag genau darin in Wahrheit die Katastrophe. Dann wäre es besser gewesen, die Griechen schon Ende 2009 aufzufangen, statt bis zur Eskalation der Bankenpanik zu warten. Dann hätte die EZB viel früher als Retterin in letzter Instanz eingreifen müssen, wie das alle aufgeklärten Notenbanken der Welt nach Ausbruch der Finanzkrise taten. Dann wäre die Krise womöglich 2010 schon gestoppt worden. Ein deutsch-europäisches Drama.
Dann reicht es vor allem nicht, zur künftigen Sicherung der Eurozone mal wieder stärkere Kontrolle anderer Regierungen zu fordern. Oder fast jeden anderen Vorschlag mit deutschen Neurosen zu kontern.
Wenn in derartigen Krisen die Gefahr besteht, dass sich Abwärtsspiralen über Schulden- und Bankenkollapse verselbständigen, ist es wichtig, dass eine Zentralbank im Notfall einspringt und die Währung garantiert. Dann ist es womöglich in unserem eigenen deutschen Interesse, zur Absicherung von Spareinlagen bei allen beizutragen, mit denen wir nun mal die Währung teilen. Wer weiß, ob wir Obermeister im Flughafen- und Bahnhofbauen nicht auch irgendwann mal wieder Hilfe brauchen werden.
Dann ist es womöglich auch für uns eine gute Idee, sich für einen gemeinsamen Eurohaushalt einzusetzen – nicht um einseitige Transfers zu etablieren (das hat auch Macron nie gesagt), sondern etwa dazu, in der nächsten Finanzkrise dafür sorgen zu können, dass Regierungen nicht in der Panik noch mehr kürzen und damit Konjunktur und Schuldenabbau wieder zertrümmern.
So ein Budget könnte auch helfen, große Europrojekte etwa zum Klimaschutz oder bessere digitale Netze zu finanzieren – für die uns unsere Kinder dankbar wären (weil dann das WLAN überall besser funktioniert).
Dann könnte es auch einen gemeinsamen Finanzminister brauchen, der nicht nur den Kontrollfreak gibt, sondern sortieren hilft, ob Länder durch eigenes Verschulden in die Krise gekommen sind – oder nicht.
Über die Details lässt sich streiten. Solche Ideen aber gleich mit dumpfen Mutmaßungen abzutun, hat etwas Fahrlässiges. So eine Eurokrise lässt sich nicht mit den Bordmitteln der Teletubbies wegmachen. Höchste Zeit für Visionen aus deutschen Landen.
Die nächste Krise kommt bestimmt.